„Authentizität bedeutet, dass ich im Lokaljournalismus lokale Bebilderung brauche“

16. Juli 2021 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik, Ressorts • von

Als Vorsitzender der Fachgruppe Bildjournalismus des Bayerischen Journalisten-Verbands (BJV) sowie mit 30 Jahren Berufserfahrung im Bereich Pressefotografie ist Thomas Geiger ein leidenschaftlicher Streiter für Qualität im Bildjournalismus. Was ihm dabei wichtig ist und wo für ihn die Herausforderungen im Lokaljournalismus liegen, darüber sprach er mit Felix Koltermann.

Thomas Geiger / Foto: © Thomas Geiger

Felix Koltermann: Im deutschen Zeitungsjournalismus gibt es immer weniger festangestellte Fotograf*innen. Warum braucht es diese weiterhin?

Thomas Geiger: Es geht schon auch mit Freien, aber dann fällt ein Alleinstellungsmerkmal weg, das ich als Zeitung mit meinen eigenen Fotograf*innen habe. Die kann man mitnehmen, wenn man mal eine ausführlichere Hintergrundgeschichte machen will. Das geht natürlich theoretisch auch mit Freien, aber mit Festen ist das der bessere Weg. Das sind halt meine Leute. Der Freie ist mir zwar vertraglich verpflichtet, aber bleibt immer ein Fremder und wird nie so richtig zum Redaktionsteam dazugehören. Das macht schon einen riesen Unterschied. Und natürlich auch von der Bezahlung her: als Fester ist man mit Redakteursgehalt in einer sicheren Position. Als Freier muss man schon extrem viel arbeiten, um entsprechend zu verdienen.

Immer öfter ist im Journalismus der Einsatz von Stock- und Symbolfotos zu beobachten. Was ist aus bildjournalistischer Perspektive daran problematisch?

Es ist dann problematisch, wenn die Authentizität fehlt. Denn Journalismus hat ja ganz zentral mit Authentizität zu tun. Wenn ich aber irgendein beliebiges Bild nehme, nur weil es vom Motiv her passt, dann hat das mit Authentizität nichts zu tun. Mein Lieblingsbeispiel der letzten Monate zeigt das gut. Meine Lokalzeitung schrieb, dass die Schulen im Landkreis wieder öffnen, dass Corona soweit einigermaßen im Griff ist und dass wieder Wechselunterricht stattfindet. Bebildert wurde der Text dann mit einem Adobe Stock Foto mit asiatischen Kindern mit einer asiatischen Lehrerin. Der Raum war ohne Fenster, mit Schultischen, die bei uns nicht zugelassen sind und das auch noch im Frühjahr, wo es bei uns kalt und nass war. Dies für einen Artikel zu nutzen bei dem steht „Lokale Schule öffnen wieder“ geht gar nicht. Klar sitzen die asiatischen Kinder auch mit Maske da und es war vielleicht auch ein gutes Bild, aber es hat halt mit Lokaljournalismus überhaupt nichts zu tun.

Löst für Sie der Zusatz „Symbolfoto“, der ja vom Pressekodex eigentlich für solche Situationen vorgegeben ist, das Problem?

Das Problem ist komplexer. Und vor allem müsste es auch dabeistehen, was es aber oft nicht tut. Wenn es in der Bildunterschrift steht, kann man noch irgendwie sagen „Das ist ein Symbolfoto“ und der Leser, wenn er ein aktiver Leser ist, ist zumindest vorgewarnt. Aber das ist halt eine ganz schwierige Sache, weil der Leser meist gar nicht so intensiv liest und oft gar nicht weiß, was „Symbolfoto“ eigentlich heißt. Wir sind ja da in einer Welt, wo es sehr viel Fachwissen braucht, um das zu verstehen.

Sie haben eben vom Begriff der Authentizität gesprochen. Was genau verstehen Sie darunter?

Nehmen wir nochmal das Beispiel mit den lokalen Schulen. Da ist es doch ein Einfaches, meinen Fotografen, sei er nun fest angestellt oder frei, hinzuschicken – wenn er es nicht sogar im Archiv hat – und zu sagen „Schau mal, dass Du eine Klasse kriegst wo statt 25 nur 10 Schüler mit ihren Masken drinsitzen“. Authentizität bedeutet, dass ich im Lokaljournalismus lokale Bebilderung brauche. Es geht vielleicht nicht immer, etwa wenn ein Artikel ein Thema in der Zukunft behandelt, aber wenn ich es machen kann, dann muss ich es doch lokal haben. Früher hat man immer von Leser-Blatt-Bindung gesprochen. Das heißt konkret, dass die Menschen sich selber sehen wollen. Sie denken „Ach ja, so schaut jetzt die Grundschule in Hintertupfingen aus“ weil sie selbst mal dort waren. Das ist Authentizität. Und wenn ich einen Politiker interviewe, dann möchte ich nicht das Bild von vor drei Jahren, sondern ein aktuelles Bild haben. Wenn ich von meinen Landtagsabgeordneten immer dasselbe Bild im Blatt habe, weil das vielleicht von ihm oder seinem Referenten kommt, ist das einfach kein guter Journalismus.

Meiner Beobachtung nach zeichnet sich der Lokaljournalismus dadurch aus, dass es dort keine Bildredakteur*innen, geschweige denn Bildressorts gibt. Was ist Ihre Meinung? Braucht es Bildredakteur*innen im Lokaljournalismus?

Das würde unheimlich helfen. Das findet also zumindest bei den Lokal- bzw. Regionalzeitungen, die ich kenne, eigentlich nicht statt. Ich weiß nur von einer Münchner Lokalzeitung, bei der es einen Bildredakteur gibt. Und die Süddeutsche Zeitung, klar, die hat als überregionale Zeitung natürlich eine Bildredaktion. Ansonsten wüsste ich keine. Bei meiner Lokalzeitung, den Nürnberger Nachrichten, gab es das noch nie. Auch nicht vor 30 Jahren, als ich da angefangen habe als Fotograf. Da hat immer der CVD oder der Chefredakteur/ Blattmacher, also der, der die Zeitung gebaut hat, die Bilder ausgesucht. Und nicht immer die besten. Auch als festangestellter Fotograf hatte man da kaum Mitsprachemöglichkeit.

Ein großes Thema bei den Verbänden in den letzten Jahren war die Einführung der DSGVO. Was hat sich Ihrer Meinung nach rückblickend dadurch verändert?

Die Bildsprache ändert sich. Man hat als Fotograf*in einfach immer eine Schere im Kopf, die man früher nicht hatte. Man fotografiert viel dezenter, überlegt jedes Mal, ob die auf dem Bild etwas dagegen haben könnten. Im Journalismus kann man einfach nicht jeden fragen. Natürlich gibt es auch gewisse künstlerische Freiheiten. Aber wenn ich heute Bilder anschaue, sind viele Köpfe nur noch von hinten zu sehen. Wobei selbst das ja laut DSGVO nicht geht, weil ich sie ja eigentlich fragen müsste, bevor ich sie überhaupt fotografiere, da sie sich ja auch von hinten erkennen könnten. Aber es gibt mir halt eine gewisse Sicherheit, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich der- oder diejenige jetzt darüber aufregt, relativ gering ist.

Sie sind Vertreter in der Fachgruppe Bildjournalismus beim BJV. Worin besteht die Aufgabe des Gremiums?

Wir sind die Vertretung der Bildjournalist*innen innerhalb des Verbandes und nach Außen. Wir kümmern uns darum, dass wenn irgendwo bei den Kolleg*innen Probleme auftauchen, dies publik wird und dass im Verband drüber geredet wird. Man überlegt dann, wie man demjenigen helfen kann. Verbindungen zur Politik zu schaffen ist deswegen sehr wichtig. Wir haben schon Gespräche mit dem Innenminister gehabt und im lokalen Bereich mit Verantwortlichen von der Polizei oder der Feuerwehr geführt.

Und was sind die häufigsten Anliegen, die an euch herangetragen werden?

Das letzte Jahr ist natürlich ganz schwierig durch Corona, weil sich da unglaublich viel geändert hat. Aber was immer das Problem von einigen Kolleg*innen ist, auch bundesweit, ist das Thema Feuerwehr, Rotes Kreuz und Polizei, BOS wie das bei uns heißt, also Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben. Im Grunde genommen die ganzen Blaulichtgeschichten. Kurz gesagt werden da unter dem Deckmantel der Öffentlichkeitsarbeit journalistische Bilder kostenlos – oder teilweise mit Kosten, wie bei der Berufsfeuerwehr München –  an die Medien gesendet. Die Medien nehmen das natürlich mit Kusshand an, weil es nix oder wenig kostet.

Dann kommen Kolleg*innen und erzählen, dass sie Medien ihre Bilder angeboten haben und dann die Antwort kommt „Nein, das passt nicht. Wir haben die Bilder schon von der Feuerwehr gekriegt“. Damit verkauft man halt nichts mehr. Ein Problem ist auch der Pressekodex. Bei den Feuerwehren macht die Bilder halt irgendjemand, der mit dem Pressekodex überhaupt nichts am Hut hat. Und dann tauchen immer wieder Bilder auf, die zu schnell veröffentlich wurden und auf denen Opfer identifizierbar sind. Das ist ein Thema, mit dem wir uns in Bayern leider sehr häufig auseinandersetzen müssen.

In diesem Jahr waren Sie in der Jury des Wettbewerbs Pressefoto Bayern. Was verbirgt sich hinter dem Preis?

Ursprünglich war es nur ein Pressefoto Unterfranken. Der kürzlich verstorbene Rainer Reichert hat das damals in die Wege geleitet. Daraus entstand dann ein Jahr später der Pressefoto Bayern Preis, weil man gesagt hat, das soll nicht nur in einem Bezirk stattfinden, sondern ganz Bayern einschließen. Es gab auch immer mal wieder Gedanken, das im DJV insgesamt zu machen, aber das kam nie zustande. Inzwischen ist das ein absolutes wichtiges Leuchtturmprojekt für uns Fotograf*innen, weil wir da wirklich sehr viel Präsenz kriegen. Und auch eine Wertschätzung, die wir sonst einfach nicht haben. Teilnehmen kann jeder, der entweder aus Bayern stammt, an einer Bayerischen Hochschule studiert, eine Ausbildung in Bayern macht, seinen Lebensmittelpunkt in Bayern hat oder eben ein bayerisches Thema bearbeitet.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Thomas Geiger ist seit über 30 Jahren freier Bildjournalist. Sein Spezialgebiet sind Reportagen und Portraits aus Industrie und Wirtschaft. Seine Kunden waren und sind in diesen 30 Jahren neben den bekanntesten deutschen Printmedien, wie Spiegel, Stern, Focus, Manager Magazin, Capital, Welt oder Handelsblatt auch Unternehmen wie SIEMENS, AUDI, Bayern Innovativ oder die NürnbergMesse. In den 1980er Jahren war er als Fotograf bei den Nürnberger Nachrichten angestellt. Seit Juli 2015 ist Thomas Geiger Vorsitzender der Fachgruppe Bildjournalisten im Bayerischen Journalisten Verband (BJV) und war bis Mitte 2019 Mitglied im Bundesfachausschuss Bild des DJV. Er vertritt den DJV in der Stiftung Kulturwerk der VG Bild-Kunst und als Stellvertreter im Verwaltungsrat der VG Bild-Kunst. Er ist Co-Vertreter des DJV in der Mittelstandsgemeinschaft Foto-Marketing (MFM).

 

Das Interview ist Teil eines Projektes zur Bildredaktionsforschung von Felix Koltermann am Studiengang Fotojournalismus und Dokumentarfotografie der Hochschule Hannover.

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