Berichten über Notfälle – Positive Folgen für Journalisten

14. Januar 2023 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Journalisten passiert es immer wieder: Sie werden zu Berichterstattern über Notfälle und Katastrophen. Und das bleibt nicht folgenlos. Neben vielen negativen Auswirkungen stellen Journalisten aber auch positive Folgen fest. Eine aktuelle Forschungsarbeit beschäftigt sich mit diesem posttraumatischen Wachstum.

Ob die Attentate in Hanau und Volkmarsen im Jahr 2020, die Amokfahrt auf dem Berliner Weihnachtsmarkt 2016, der Anschlag in Nizza im selben Jahr oder die Germanwings-Katastrophe in den Alpen ein Jahr zuvor: Journalisten werden (immer wieder) zu Berichterstattern über Notfälle. 80 bis 100 Prozent der Journalisten, so zeigt ein Überblick des Dart Center for Journalism and Trauma über verschiedene Studien zwischen 2001 und 2017, sind arbeitsbedingt traumatischen Ereignissen ausgesetzt. Damit handelt es sich weder um ein neues Phänomen, noch sind nur die großen Katastrophen gemeint, die international Schlagzielen machen: Es geht dabei auch um (Auto-)Unfälle und Brände, Morde und Entführungen. Es sind Themen, die jedem Lokaljournalist begegnen und sie nachhaltig prägen können. Im öffentlichen Diskurs wird – bei großen Ereignissen – die Rolle der Medien beleuchtet und immer wieder auch journalistisches Handeln kritisiert. Wissenschaftliche Arbeiten konzentrieren sich meist auf die Qualität und die Folgen der Berichterstattung. Der Fokus wird bei Letzterem oft auf die Opfer und Interviewpartner oder auf das Trauma der Journalisten gelegt. Die berufsbedingte Traumaexposition haben beispielsweise Frauke Teegen und Maike Grotwinkel schon 2001 untersucht und festgestellt, dass 13 Prozent der befragten Journalisten an einer vollausgeprägten und 15 Prozent an einer partiellen Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) litten. Doch das Erleben eines Notfalls kann auch positive Folgen haben. Diese positiven Folgen nennt man auch posttraumatisches Wachstum – eine Veränderung, die das prätraumatische Level übersteigt. Bisher liegen dazu allerdings nur wenige Forschungsergebnisse vor.

Werden diese positiven Folgen oft erst gar nicht erfasst oder zumindest in Frage gestellt, wie es im Lehrbuch „Notfallpsychologie“ von Frank Lasogga und Bernd Gasch heißt, finden sie aber in einer derzeit laufenden Forschungsarbeit Beachtung. In der Studie zu Konflikten, Belastungen und Folgen für Journalisten abseits der Kriegs- und Krisengebiete von Anna-Carina Zappe, Promovierende an der TU Dortmund am Institut für Journalistik, werden auch die positiven Folgen für Journalisten nach der Berichterstattung über Notfälle untersucht. Im Rahmen der Forschung wurden u.a. Interviews mit 30 Journalisten über ihre Erfahrungen bei konkreten Notfällen geführt und die Folgen dieser mitunter sehr konfliktreichen Berichterstattungssituationen analysiert.

Vorläufige Ergebnisse der Forschung zeigen: Journalisten können im privaten und beruflichen Kontext an den Erfahrungen, bei Notfallereignisse berichtet zu haben, wachsen. Sie hatten unter anderem existenzielle Einsichten: Sie schätzten z.B. ihr eigenes Leben mehr, da sie sich der (eigenen) Vergänglichkeit bewusstwurden. Sie legten aber auch mehr Wert auf eigene Bedürfnisse und achteten mehr auf ihr Wohlergehen. Diese Einsichten können, das haben bereits andere Arbeiten wie die von Clemens Hausmann konstatiert, in weiteren Notfallsituationen vor Traumatisierung schützen.

Die vorläufigen Ergebnisse der Forschung von Anna-Carina Zappe legen auch nahe, dass Journalisten nach einer Notfallberichterstattung ein gestärktes Gemeinschaftsgefühl erleben können.  Die Gemeinschaft war für die Journalisten in den untersuchten Notfällen das Dorf, die Stadt oder gleich das ganze Land. Im Berliner Morgenpost-Artikel „Fürchtet euch nicht“ illustriert Hajo Schumacher genau dieses Gefühl nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt. Teile, der in der Studie befragten Journalisten, beschrieben dieses gestärkte Gemeinschaftsgefühl auch in ihren Redaktionen. Sie benannten ein positives Teamgefühl und größeren Zusammenhalt. Damit einher ging auch das Gefühl, dass die Redaktionen aus der jeweiligen Extremsituation etwas gelernt hätten. Reflexionsrunden können so wie veränderte oder eingeführte Notfallpläne ihren Beitrag dazu leisten, dass einzelne Journalisten wie Redaktionen an einer solchen Berichterstattung über Notfälle wachsen. Denn auch einige der befragten Journalisten berichteten, dass sie persönlich das Gefühl hatten, nun kompetenter und besser vorbereitet mit Notfällen umgehen zu können. Dazu zählten sie einerseits die gewonnene mentale Kompetenz, gelassener auf Ausnahmesituationen reagieren zu können. Andererseits schätzten sie auch die mediale Reaktion insgesamt als reflektierter und qualitativ hochwertiger nach der Berichterstattung über die jeweiligen Notfallereignisse ein.

Ein wichtiger Punkt im Zusammenhang mit positiven Folgen einer Notfallberichterstattung bleibt das Feedback für die Journalisten. Das legen auch die vorläufigen Ergebnisse der Forschung von Anna-Carina Zappe nahe. Als positive Folgen wurde auch ein eigener Karrieresprung oder die Markensteigerung des eigenen Medienunternehmens festgestellt. Diese gingen z.B. auch mit einem positiven Feedback einher. Bereits die Studie von Trond Idås und Kollegen zeigt, dass 35 Prozent der befragten norwegischen Journalisten, die über die Terroranschläge in Norwegen im Juli 2011 berichtet hatten, eine positive Veränderung erlebten. Dabei hatten Journalisten, die mehr Anerkennung für ihre Arbeit während der und über die Terroranschläge erhielten, auch ein größeres posttraumatisches Wachstum.

Überschneidungen zwischen positiven Folgen und Feedback zeigen sich auch in der aktuellen Forschung. Die Journalisten erlebten jedoch beides: sowohl positive Rückmeldungen und Anerkennung für die eigene Arbeit und den Umgang mit der Ausnahmesituation als auch redaktionsinterne Kritik und öffentliche Reaktionen, die von kritischen Kommentaren in sozialen Medien bis zu Beschwerden beim Presserat oder gar Anzeigen reichten. Negative Kritik kann Nährboden für Schuld- und Schamgefühle sein. Schuldgefühle nach einer Berichterstattung über traumatisierende Ereignisse stehen, so zeigten auch die Ergebnisse von Tess Brown und Kollegen, im Zusammenhang mit einem höheren Ausmaß an PTBS-Symptomen.

Dass es neben den vielen negativen Auswirkungen, wie etwa einer Traumatisierung der Journalisten, überhaupt auch positive Folgen im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Notfälle gibt, ist eine wichtige Erkenntnis. Aus dieser lassen sich zahlreiche Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen ableiten. Diese könnten unter anderem Antworten darauf geben, inwieweit Redaktionsleiter, Medienkritiker und Social Media-User durch ihr Feedback direkten Einfluss auf die Folgen für Journalisten nach der Notfallberichterstattung nehmen.

Bildquelle: Pixabay

 

 

 

 

 

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