Britische überregionale Zeitungen: Kaum Frauen

23. Oktober 2017 • Internationales, Qualität & Ethik • von

Bei überregionalen britischen Zeitungen sind hauptsächlich Männer tätig – dabei sind die Hälfte der Medienschaffenden in Großbritannien Frauen. Der Großteil der Nachrichten, der Artikel im Wirtschaftsressort und der Kommentare werden von Männern geschrieben. Dies ist das Ergebnis einer EJO-Studie, die vier überregionale Zeitungen in Großbritannien untersucht hat.

Die Daily Mail führt 16 männliche und 5 weibliche Kolumnisten auf.

Wie die Analyse der gedruckten Ausgaben der Times, Financial Times, des Guardian und der Daily Mail zeigte, wurden rund drei Viertel (77 Prozent) der Kommentare von Männern geschrieben. Das gilt auch für etwa zwei Drittel (65 Prozent) der Artikel auf den Nachrichten- und Wirtschaftsseiten und für Fotos, die Leitartikel illustrieren. Waren darauf Frauen zu sehen, so wurden sie oft im Bikini oder leicht bekleidet abgebildet. Dies stellte die Analyse sowohl bei Boulevard- als auch bei Qualitätszeitungen fest.

Die Diskussion über das Geschlechterverhältnis in britischen Medien startete vor einigen Monaten, nachdem Journalistinnen der BBC und der Financial Times gedroht hatten, wegen ungleicher Bezahlung zu streiken. Sie verdienten 13 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Die EJO-Studie soll einen Überblick darüber bieten, wie viele Frauen und wie viele Männer für britische Printmedien arbeiten. Laut einer Studie von 2016 arbeitet beinahe die Hälfte der britischen Journalisten noch für Zeitungen.

Die Analyse der Anzahl der Kommentare zeigt große Unterschiede zwischen den einzelnen Zeitungen. In der Daily Mail wurde an sieben verschiedenen Tagen keiner der Kommentare von einer Frau geschrieben; in der Financial Times war es etwa einer von zehn Kommentaren (11 Prozent) und in der Times einer von drei Kommentaren (33 Prozent). Im Guardian aber schrieben Frauen mit 51 Prozent sogar knapp mehr Kommentare als Männer.

Die Kolumnisten der Financial Times

Die Times war die Zeitung, in der am seltensten Frauen Nachrichten oder Wirtschaftsartikel verfassten. Nur einer von vier Artikeln (25 Prozent) in den sieben untersuchten Ausgaben stammte von Journalistinnen. In der Financial Times schrieben Journalistinnen 31 Prozent der Nachrichten und Wirtschaftsmeldungen. Im Guardian waren es 40 Prozent und in der Daily Mail 44 Prozent.

Während die Hälfte der Fotos in allen vier Zeitungen Männer zeigten, waren Frauen auf nur 32 Prozent der Bilder zu sehen. 18 Prozent bildeten Männer und Frauen ab.
Besonders auffällig war der Unterschied bei der Financial Times, wo in den sieben Ausgaben fast zwei Drittel (62,5 Prozent) der Fotos Männer zeigten, während Frauen nur auf 18 Prozent der Fotos auftauchten (19,5 Prozent zeigten beide). In einer der untersuchten Ausgaben zeigten die Nachrichten-, Wirtschafts- und Kommentarseiten der FT insgesamt nur fünf Bilder von Frauen, auf dreien davon waren sie spärlich bekleidet. Ein Foto zeigte eine Pornoschauspielerin – in ihrer Arbeitskleidung.

Obwohl die Daily Mail im Gegensatz dazu mit 44 Prozent relativ häufig Bilder von Frauen veröffentlichte, trugen die dargestellten Frauen oft nur einen Bikini oder ähnliches. Eine Ausgabe beinhaltete 14 Bilder von Prinzessin Diana im Bikini und fünf Fotos von Kate Middleton. Auch in den anderen Ausgaben tauchten regelmäßig offenherzige Fotografien von Frauen auf – aber nicht von Männern.

Die EJO-Studie zeigt, dass Frauen in Großbritannien häufiger in den Journalismus einsteigen als Männer. Dennoch sind ihre Karrierechancen auf hochrangige Positionen offensichtlich schlechter. Nach Angaben von UCAS, der Studienvergabestelle in Großbritannien, haben zwischen 2007 und 2014 mehr Frauen als Männer einen Bachelor im Journalismus absolviert. Obwohl Frauen einen relativ großen Anteil der britischen Journalisten ausmachen (45 Prozent), schlussfolgert eine Studie des Reuters Institute/Worlds of Journalism study aus dem Jahr 2016 aus einer Befragung von 700 Journalisten und Journalistinnen, dass Frauen weniger gut bezahlt werden und seltener in Führungspositionen arbeiten. Außerdem befinden sich mehr Frauen als Männer am unteren Ende der Gehaltsskala.

Suzanne Franks, Professorin für Journalistik an der City University in London,veröffentlichte 2013 das Buch Women and Journalism, eine Studie über Geschlechterunterschiede in den Medien. Sie glaubt, dass Führungspositionen im Journalismus selten von Frauen besetzt werden, die eine Familie oder sonstige andere Verpflichtungen haben. „Die wenigen Frauen, die solche höheren Positionen einnehmen, sind mit einer höheren Wahrscheinlichkeit kinderlos, als das bei Männern der Fall ist“, schreibt Franks. Sie schlussfolgert, dass Zeitungen flexibler werden müssten, wenn sie für Frauen als Arbeitgeber attraktiver werden möchten.

Eine Reporterin, die bei einer britischen überregionalen Zeitung festangestellt ist – sie ist eine von nur zwei Frauen, die dort in Vollzeit arbeiten – stimmt dem zu. Sie sagt, die langen, unregelmäßigen Arbeitszeiten würden viele Frauen abschrecken. Sie glaubt, dass männliche Personaler „nur Leute einstellen, die ihnen ähnlich sind, für die die Arbeit an erster Stelle steht und für die es kein Problem darstellt, auch mal bis zwei Uhr nachts zu arbeiten.“

Vier Monate zuvor habe sie darum gebeten, an manchen Tagen von zu Hause aus arbeiten zu dürfen, erklärt die Journalistin, die seit zehn Jahren ihren Arbeitsplatz in der Redaktion hat. Dies hätte ihr ermöglicht, die Arbeit besser mit ihrem Familienleben zu arrangieren. Am Ende der Studie wartete sie noch immer auf eine Antwort.

„Ich habe nie eine Frau getroffen, die auch nur die geringste Chance hätte, in einer Nachrichtenredaktion zu arbeiten. (…) Frauen können ganz einfach keine harten Nachrichtengeschichten machen, aber sie sehen sich selbst als Expertinnen für Frauenthemen.“ Seit ein Chefredakteur der BBC in den 1970er Jahren in einem internen Bericht mit diesen Worten zitiert wurde, hat sich im Journalismus Einiges bewegt.

Von den Hauptkolumnisten der Times sind 31 Prozent weiblich.

Aber haben sich die Grundeinstellungen in den vergangenen 50 Jahren wirklich verändert? Die BBC gab kürzlich bekannt, dass nur ein Drittel ihrer 96 Topverdiener Frauen sind. Die sieben Angestellten mit den höchsten Löhnen sind Männer. Besonders auffällig ist dieser Unterschied bei den Moderatoren des Nachrichtenprogramms „Today“ von Radio 4. Der Journalist und Moderator John Humphreys verdient zwischen £600,000 und £649,999 pro Jahr; seine Kollegin aus derselben Show, Sarah Montague, nur £150,000.

2010 nahm die Kampagne Women in Journalism (WIJ) vier Wochen lang die Autorenzeilen auf den Titelseiten von sieben überregionalen britischen Zeitungen unter die Lupe. Ihre Ergebnisse stimmen mit denen der EJO-Studie überein. Die WIJ-Studie, die sowohl Qualitäts- als auch Boulevardzeitungen untersuchte, ergab, dass 78 Prozent aller Beiträge auf den Titelseiten von Männern geschrieben wurden und damit nur 22 Prozent von Frauen. Bei 81 Prozent der Titelstorys, die gemeinsam von einem Mann und einer Frau geschrieben wurden, wurde zuerst der männliche Name genannt. Die Studie bezieht sich nur auf Printmedien, da es bisher nur wenig Forschung zu Geschlechterunterschieden im digitalen Journalismus gibt. Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass auch in den größten Technologieunternehmen Männer dominieren.

Mehr als 60 ehemalige und aktuelle Mitarbeiterinnen von Google bereiten momentan eine Sammelklage wegen Sexismus und niedrigeren Löhnen für Frauen vor. Sie werfen dem Konzern vor, weniger verdient zu haben als ihre männlichen Kollegen, obwohl sie genauso gut qualifiziert waren. Ihr Anwalt sagte kürzlich gegenüber dem Guardian, den Frauen wäre es auch durch eine „frauenfeindliche Atmosphäre“ schwer gemacht worden, ihre Kariere bei Google voranzutreiben.

Zofia Smardz, Kommentatorin bei der Washington Post, schrieb 2005 einen Blogpost mit dem Titel „Just Give it a Shot, Girls“. Darin drückte sie ihre Frustration über die Schwierigkeiten aus, mit denen Frauen konfrontiert werden, wenn sie Kommentare schreiben wollen. Sie seien zu befangen, bräuchten zu viel Zeit, würden nicht einfach etwas „raushauen”. Sie fügte hinzu, dass auf jeden von einer Frau veröffentlichten Kommentar sieben Kommentare von Männern kämen.

Sheryl Sandberg, Geschäftsführerin von Facebook, ist eine der wenigen Frauen in den Führungsriegen des Silicon Valley. Sie glaubt dass Frauen davor zurückschrecken, sich selbst in den Vordergrund zu rücken und Risiken einzugehen, weil es ihnen an Selbstvertrauen fehle. In ihrem Buch, „Lean In“, schreibt Sandberg, dass Frauen unter einem Betrüger-Syndrom leiden. Dies gebe ihnen das Gefühl, nicht gut genug zu sein, um große Verantwortung zu übernehmen. Sandberg fordert Frauen auf, härter an der Überwindung ihrer Selbstzweifel zu arbeiten und ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Als einen weiteren Grund für den Frauenmangel in Führungspositionen vermutet sie, dass viele hochqualifizierte Frauen in Teilzeit arbeiten oder sich ganz aus dem Berufsleben zurückziehen, sobald sie eine Familie gründen. Sie argumentiert, Firmen müssten flexibler werden, wenn sie ihre weiblichen Angestellten behalten wollten, aber bis es genügend weibliche Personalmanager gebe, sei damit nicht zu rechnen.

Ein ehemaliger Chef eines internationalen Rundfunkunternehmens, der stolz auf seine vielfältige Belegschaft ist, sagte gegenüber dem EJO, dass er hart gegen Vorurteile gegen Journalistinnen in seinem Betrieb vorgegangen sei. Er sagte, es bräuchte einen grundlegenden Kulturwandel, der nur durch ein kontinuierliches Bewusstseinstraining erreicht werden könne. „Es geht um Bewusstsein, Bewusstsein, Bewusstsein“, sagte er. „Positive Diskriminierung,Quoten und so weiter werden keinen Unterscheid bringen, solange es keinen Kulturwandel gibt.” Ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis sei kein Luxus, sondern eine kommerzielle Notwendigkeit. „Wir wollten ein Reporterteam, das die Diversität unseres Publikums widerspiegelt – und Frauen sind exzellente Journalistinnen.“

Originalversion auf Englisch: Where are all the Women Journalists in UK Newspapers?

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1 Responses to Britische überregionale Zeitungen: Kaum Frauen

  1. IrlandCall sagt:

    Und Dicke sind auch unterrepräsentiert. Und Migranten. Und Lesben. Und Moslem. Was ist mit einer dicken, lesbischen, moslemischen Migranten Frauenquote?

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