Cross-Border-Teamarbeit schafft neue Perspektiven

8. März 2021 • Aktuelle Beiträge, Internationales, Qualität & Ethik • von

Eine neue Studie von Annett Heft nimmt Beweggründe von Journalisten, sich an grenzüberschreitenden Recherchekooperationen zu beteiligen, unter die Lupe.

Für ihre Studie, die vergangene Woche im Fachjournal Journalism Studies erschienen ist, hat Annett Heft, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der FU Berlin, sich bewusst für die Befragungen von Journalistinnen und Journalisten entschieden, die in grenzüberschreitenden Bottom-up-Kooperationen tätig sind.

Zwischen Februar und Mai 2019 wurden für ihre Studie Journalistinnen und Journalisten, die auf der Plattform Hostwriter registriert sind oder an einer der Dataharvest-Konferenzen teilgenommen haben, online befragt. Wie es heißt, beantworteten 152 Befragte die wichtigsten Teile des Fragebogens und 61 alle für sie zutreffenden Fragen.

Hostwriter ist ein 2013 in Berlin gegründetes Netzwerk, das Journalistinnen und Journalisten dabei unterstützt, über Ländergrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Laut eigenen Angaben vernetzt Hostwriter derzeit über 5.700 Medienschaffende aus mehr als 150 Ländern weltweit. Auf der Konferenz Dataharvest – the European Investigative Journalism Conference von Arena for Journalism in Europe treffen sich jährlich rund 500 Journalisten, Datenwissenschaftler und andere Akteure aus ganz Europa, um sich auszutauschen, zu vernetzen und Ideen zu generieren, die oft zu gemeinsamen Projekten führen.

Zwar zögen die groß angelegten, grenzüberschreitenden Top-down-Netzwerke wie das International Consortium of Investigate Journalists (ICIJ) oder die European Investigative Collaborations (EIC) mehr Aufmerksamkeit auf sich, so Heft, aber gerade Bottom-up-Kollaborationen trügen dazu bei, dass die Praxis des Cross-Border-Journalismus niedrigschwelliger und alltäglicher werde. Sie ermöglichten eine neue Denkweise und machten die Verbreitung neuer Praktiken und Routinen in den Arbeitsalltag wahrscheinlicher.

Im Fokus der Studie standen drei Fragen:

  • Was sind die Beweggründe von Journalistinnen und Journalisten, sich an grenzüberschreitenden Recherchekoooperationen, wie sie von Hostwriter und Dataharvest – The EIJC ermöglicht werden, zu beteiligen?
  • Welche Arten von grenzüberschreitenden Kooperationen werden praktiziert und welche Merkmale haben sie?
  • Was sind Vorteile und Herausforderungen ihrer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit?

Wie die Ergebnisse zeigen, war für 80 Prozent der Befragten die Verbesserung der Qualität ihrer journalistischen Berichterstattung und Produkte ein wichtiger Beweggrund, sich an Cross-Border-Projekten zu beteiligen. Dies spiegele gut die allgemeine Stimmung unter Journalisten wider, die unzufrieden mit der Ressourcenknappheit in etablierten Medienunternehmen und deren negativen Auswirkungen seien und deshalb nach neuen Wegen suchten, um qualitativ hochwertigen Journalismus zu produzieren, betont die Studienautorin.

62 Prozent der Befragten arbeiteten grenzüberschreitend, um den Einfluss ihrer journalistischen Arbeit zu verstärken, etwas mehr als 50 Prozent möchten damit ein breiteres Publikum erreichen. Für knapp die Hälfte der Befragten waren die Synergien, die mit Teamarbeit im Allgemeinen einhergehen, ein Beweggrund für grenzüberschreitende Zusammenarbeit. 40 Prozent kooperierten mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland, um Ressourcen teilen zu können. Lediglich für ein Drittel der Befragten war es relevant, dass sie in solchen Cross-Border-Projekten besser mit großen Daten- und Materialmengen umgehen können und nur für etwas mehr als ein Fünftel spielten Sicherheitsüberlegungen eine Rolle. Das mache deutlich, so Heft, dass Bottom-up-Kooperationen sich nicht nur auf datenjournalistische und investigative Zusammenarbeit beschränken.

Auf die Frage, für was und in welcher Intensität die Befragten grenzüberschreitende Kooperationen nutzen, antworteten etwa zwei Drittel, dass sie von diesen bisher eher in Form eines unverbindlichen Netzwerks Gebrauch machten, indem sie außerhalb von gemeinsamen Projekten informell kleinere Informationen austauschten, Feedback gaben oder bekamen. Etwa die Hälfte der befragten Journalisten tauschte bereits Informationen und Material zur individuellen Nutzung durch einen Kollegen aus. Ebenso nahm bereits fast die Hälfte der Befragten eine einzelne Arbeitsleistung von einem ausländischen Kollegen in Anspruch, um von dessen lokaler oder thematischer Expertise oder von seinem kulturellen Hintergrund und seinen Sprachkenntnissen zu profitieren.

Rund die Hälfte der Befragten machte aber auch bereits Erfahrungen mit enger Zusammenarbeit, indem sie gemeinsam für eine journalistische Geschichte oder ein Projekt recherchierten. 45 Prozent nutzten mit ihren Partnern aus dem Ausland gemeinsam Informationen, Material und Daten und etwas mehr als 40 Prozent produzierten eine gemeinsame Geschichte.

Die Antworten zeigten, so die Studienautorin, dass weniger institutionalisierte Praktiken und weniger intensive Formen der Zusammenarbeit häufiger seien als integrierte, enge Kooperationen. Dies decke sich mit den Selbsteinschätzungen der Befragten zu ihren Erfahrungen mit grenzüberschreitender journalistischer Zusammenarbeit: Mehr als ein Drittel stufte sich als „relativ erfahren“ ein, jeweils ein Viertel als „wenig erfahren“ und „sehr erfahren“.

1. Vorteilsbereich: journalistischer Arbeitsprozess

Die größten Vorteile grenzüberschreitender Zusammenarbeit wurden von den Befragten mit dem journalistischen Arbeitsprozess verknüpft, allen voran die gegenseitige Unterstützung der Kooperationspartner und die Vielfalt der Perspektiven. So führten die Journalistinnen und Journalisten „neue Ideen, Blickwinkel, Geschichten“ oder „eine rundere Vision“ der Geschichte als Vorteile auf. Zudem schätzten sie den Austausch von Wissen zwischen den Partnern, sowohl was wirtschaftliche und politische Prozesse als auch was unterschiedliche redaktionelle Standards und Strategien der Berichterstattung betrifft. Auch die Sprachenvielfalt und damit die „Möglichkeit, mit mehrsprachigem Material zu arbeiten“, wurde positiv erwähnt.

2. Vorteilsbereich: journalistischer Nutzen

Als zweitwichtigster Vorteil wurde der individuelle journalistische Nutzen genannt. Die Befragten schätzen die Erweiterung des eigenen Horizonts durch kontinuierliche Lernprozesse, die „Inspiration“ bieten, ihre „eigenen Perspektiven öffnen“ und ihre „Arbeit aufschlussreicher machen“. Auch der Netzwerk-Aspekt spiele hier eine entscheidende Rolle, so Heft. Journalisten, die in Bottom-up-Kooperationen arbeiten, seien sogar noch besser in der Lage, persönliche Netzwerke für ihre eigenen Zwecke aufzubauen als Journalisten, die in größeren Kooperationen mit einer von oben gesetzten Infrastruktur arbeiten, heißt es in der Studie.

3. Vorteilsbereich: gemeinsame Nutzung von Ressourcen

Ein weiterer Vorteil ist die Bündelung und gemeinsame Nutzung von Ressourcen, wobei die Befragten dabei keine wirtschaftlichen meinten, sondern sich vor allem auf den – schnelleren und einfacheren – Zugang zu neuen Informationen, Daten und Quellen bezogen.

4. Vorteilsbereich: Ergebnisse und Wirkung der journalistischen Arbeit

Laut der Befragten verbessert sich durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit auch die Qualität und Tiefe der Berichterstattung. Als weitere Vorteile führten sie eine größere Sichtbarkeit und Wirkung ihrer Berichterstattung, eine größere – globale oder transnationale – Reichweite und die Erschließung neuer Zielgruppen auf.

Es sei festzuhalten, so Heft, dass sich die Vorteile, welche von den Journalisten aus den Bottom-up-Kooperationen genannt wurden, nicht von denen unterschieden, die in früheren Studien zu großen datengetriebenen und investigativen Top-down-Kollaborationen ermittelt wurden.

Allerdings, so betont die Studienautorin, seien Bottom-up-Kooperationen mit teilweise anderen Herausforderungen konfrontiert. Bei den Panama Papers und Paradise Papers sei beispielsweise der Umgang mit der Komplexität des Themas und der Daten von den Teilnehmenden als wichtigste Herausforderung genannt worden.

1. Herausforderung: Teamarbeit

In Hefts Untersuchung aber drehen sich die meisten der von den Befragten angesprochenen Herausforderungen um das Thema der grenzüberschreitenden Teamarbeit. So wurden „keine Face-to-Face-Meetings“, „lange Skype-Konferenzen“ und „sehr lange Mail-Threads“ als häufige Schwierigkeiten genannt; die Koordination der Teamarbeit wurde von den Befragten oft als „kompliziert“ beschrieben.

Besonders hier würden die Unterschiede zwischen Top-down- und Bottom-up-Kooperationen deutlich, betont Heft. Während Projekte, die den Top-down-Ansatz verfolgen, Infrastruktur und Ressourcen für z.B. das Projektmanagement und die Planung von Meetings bereitstellten, fehlten Projekten mit Bottom-up-Konzept solche Strukturen.

Die Befragten empfinden Teamarbeit vor allem dann als herausfordernd, wenn ihre Kolleginnen und Kollegen unterschiedliche redaktionelle Standards, Methoden und Arbeitsethiken haben.

2. Herausforderung: Mangel an Ressourcen

Knappe Ressourcen, sowohl in finanzieller als auch in zeitlicher Hinsicht, wurden von den Journalistinnen und Journalisten als zweithäufigste Hindernis für grenzüberschreitende Projekte genannt. Niemand wolle ein Cross-Border-Team über einen längeren Zeitraum finanzieren, sagte ein Befragter, ein anderer führte „volle Terminkalender“ von sich und anderen als Problem an.

3. Herausforderung: Teamorganisation

Der Prozess der Teambildung wurde als weitere Herausforderung genannt. Es sei schwierig, einen „zuverlässigen und professionellen Partner“ zu finden, der „gleichermaßen“ motiviert sei, hieß es von Seiten der Befragten.

4. Herausforderung: Inhalte der journalistischen Arbeit

Als herausfordernd betrachten die Befragten sowohl einen Mangel an Material und Inhalten für ihre journalistischen Beiträge als auch eine zu große Menge an gesammeltem Material, in dem man sich „verlieren“ könne. Auch der Prozess der Themenfindung wird erwähnt: „Es ist schwer, Themen zu finden, die für beide Seiten interessant sind“.

Für die Zukunft von Bottom-up-Kooperationen im Cross-Border-Journalismus sei relevant, wie den Hindernissen entgegengewirkt werden könne, betont die Studienautorin. Während für einige Herausforderungen, wie z.B. Kommunikation oder Koordination, Trainingsangebote zu Verbesserungen führen und die weitere Zusammenarbeit fördern könnten, spielten für andere, wie z.B. Finanzierung, organisatorische und externe Faktoren eine Rolle. Herausfordernd bleibe auch die Aufgabe, Unterschiede in journalistischen Kulturen und Praktiken zu überwinden, betont Heft. Hier sei Offenheit und eine „kollaborative Denkweise“ vonnöten.

 

Bildquelle: pixabay.com

 

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