Der Kampf mit den harten Fragen

29. Juli 2013 • Qualität & Ethik • von

Es ist Wahlkampfzeit und Sommerloch – deshalb bekommen sie im Moment wieder viel Beachtung: die Sommerinterviews der ARD und des ZDF sind unbestritten ein relevantes Format im Wahlkampf und für die Politiker ist es wichtig, dass die Gespräche gut laufen. Doch davon können nicht alle Politiker gleichermaßen ausgehen, denn oft zeigt sich bei politischen Interview-Reihen eine Verzerrung.

Eine aktuelle Studie eines schwedischen Forscherteas analysiert nun, wie sich die Interviews mit verschiedenen Politikern hinsichtlich der Aggressivität der Fragen unterscheiden.Mats Ekström, Professor für Medien und Kommunikation an der Universität Göteborg, und seine Kollegen sind der Frage nachgegangen: Warum gehen Journalisten manche Politiker härter an als andere? Sie kommen zu dem Schluss: Sowohl Muster in der journalistischen Arbeitsweise als auch das Verhalten der Politiker in der Interview-Situation spielen eine große Rolle.

Die Wissenschaftler untersuchten Interviews aus den jeweiligen Monaten vor den drei schwedischen Parlamentswahlen 2002, 2006 und 2010 auf das Ausmaß aggressiver Interview-Führung. Es handelte sich dabei um die groß angelegten, 50-minütigen Interviews, die das schwedische öffentlich-rechtliche Fernsehen zur Wahlkampfzeit traditionell mit den jeweiligen Spitzenkräften der politischen Parteien organisiert. Ekström und sein Team konzentrierten sich jeweils auf die zwei größten Regierungsparteien und die zwei größten Oppositionsparteien, untersuchten insgesamt also zwölf Interviews.

Ähnlich wie bei den deutschen Sommerinterviews sitzen beim schwedischen Format jeweils zwei Interviewer dem Politiker gegenüber und hangeln sich an einem streng geplanten Interview-Skript entlang. So erhielt das schwedische Forscherteam insgesamt 2.500 Frage-Antwort-Sequenzen, die sie nach vier Kriterien auf das Maß der Aggressivität untersuchten: Wie viele feindselige Fragen, also etwa solche, die dem Politiker Fehler aus der Vergangenheit vorwerfen, wurden gestellt? Wie viele Fragen forderten eine Rechtfertigung oder Beweise für die Richtigkeit bisheriger Handlungen des Politikers? Wie oft bedienten sich die Interviewer Suggestiv-Fragen? Wie oft unterbrachen sie den Gast in seinen Erklärungen?

In der bisherigen Forschung zu Verzerrungen in politischen Interviews wird meist den Interviewern die Verantwortung dafür zugeschrieben, dass verschiedene Politiker unterschiedlich hart behandelt werden. Die Wissenschaft arbeitet mit zwei Theorien, um die Verzerrungen zu erklären: Zum einen gibt es den so genannten Partisan-Bias, also eine Verzerrung dadurch, dass der Journalist Interviewpartner, die ihm und seiner Redaktion sympathisch sind, weniger hart angeht als die politischen Gegner. Hinzu kommt der strukturelle Bias, der durch die Arbeitsabläufe in einzelnen Redaktionen und der Medienbranche insgesamt bedingt ist. Hier gehen Wissenschaftler davon aus, dass Regierungsvertreter anders behandelt werden als Oppositionspolitiker: Wegen ihrer größeren Macht gelangen sie leichter in die Medien, da ihre Äußerungen an sich schon als Nachrichtenwert angesehen werden. Gleichzeitig folgen viele Medien dem Motto „Große sollen kritisch hinterfragt werden“.

Tatsächlich zeigt die Studie aus Schweden strukturell bedingte Unterschiede zwischen den Interviews mit verschiedenen Politikern auf – also Ungleichheiten, die sich aus den Schablonen ergeben, in welche die Journalisten die Politiker pressen: Ein Oppositionsführer erfüllt dramaturgisch eine andere Rolle in der Berichterstattung als ein Regierungskoalitionär.

Strukturelle Verzerrungen führten etwa dazu, dass die Politiker der Regierungsparteien (2002 Linke, 2010 Rechte) jeweils mehr feindselige Fragen gestellt bekamen. Die Oppositionsparteien wurden öfter nach Rechtfertigungen oder Erklärungen ihrer Konzepte gefragt und erhielten mehr Suggestivfragen , während die Vertreter der konservativen Regierungskoalitionäre öfter unterbrochen wurden.  Insgesamt zeigt sich, dass Politiker, die wenig Chancen auf den Posten des Premierministers hatten, tendenziell feindseliger befragt wurden, wohingegen die ernst zu nehmenden Kandidaten sich häufiger rechtfertigen mussten. Außerdem kamen die Forscher zu dem überraschenden Schluss, dass Frauen seltener feindselige Fragen gestellt bekamen als Männer und sich seltener rechtfertigen mussten.

Dies scheint beim deutschen Format nicht unbedingt gegeben. Die einzelnen Sommerinterviews der beiden deutschen öffentlich-rechtlichen Sender ähneln sich thematisch zwar immer sehr stark. Aber egal ob Kanzlerin Angela Merkel oder andere wichtige Personen der politischen Parteienlandschaft wie die Spitzenfrau der Grünen, Katrin Göring-Eckhardt, oder der Parteichef der FDP, Philipp Rösler, zu Gast sind – es geht immer ums Gleiche, im Jahr 2013 vor allem darum: NSA-Affäre, Steuerpolitik, Energiewende, Türkei und Ägypten. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Auch in den Sommerinterviews von ZDF und ARD werden nicht alle gleich behandelt. Während Angela Merkel durchgängig mit „Frau Bundeskanzlerin“ angesprochen wird und sich umfassend zur Datenschutzpolitik der Regierung äußern kann, wird der Redefluss anderer Politiker mit provokativen und oberflächlichen Fragen gestört, wie Wolfgang Lieb, Mitherausgeber des politischen Watch-Blogs Nachdenkseiten analysiert.

Er kritisiert die Personalisierung von Politik, die etwa im Fall von Katrin Göring-Eckhardt eindeutig auch darauf abzielt, sie als die schwache Frau neben dem Spitzenkandidaten der Grünen Jürgen Trittin darzustellen. So provozierten die Interviewer etwa mit der Aussage „Trittin führt Sie so, dass man Sie nicht wahrnehmen soll“ oder fragen „Sind Sie so etwas wie die Merkel der Grünen?“ – als ob es nur eine erfolgreiche Frau in der deutschen Bundespolitik geben könnte. Wolfgang Lieb vergibt bei seiner Kritik auch Kategorien wie „Fragen, die aus dem Konrad-Adenauer-Haus (also der Zentrale der CDU in Berlin) stammen könnten“ und meint damit Fragen, die suggestiv und feindselig angelegt sind. Dazu zählt er etwa die Frage an Göring-Eckhardt: „Warum wollen Sie unbedingt die Lastesel, die schon heute ein Drittel des Gesamtsteueraufkommens bezahlen,…nochmals besonders steuerlich bestrafen, Sie treffen damit den Mittelstand?“ oder die Aussage von ARD-Urgestein Ulrich Deppendorf: „Das Ehegattensplitting wollen Sie nun auch noch für die „Altehen“ abschaffen, verletzen Sie damit nicht den Vertrauensschutz einer ganzen Generation?“ Wolfgang Lieb findet es problematisch, dass das Steuerthema von CDU und FDP in „populistischer Manier“ gegen Göring-Eckhardt verwendet wird.

Ein weiteres Beispiel dafür, wie hart Politikerinnen in den deutschen Sommerinterviews angegangen und dabei teils bewusst auf ihr Geschlecht reduziert werden, ist das Interview mit Linken-Chefin Katja Kipping aus dem vergangenen Jahr. ZDF-Journalist Thomas Walde unterbrach sie am laufenden Band und stellt sie als die Frau dar, welche die streitenden alternden Herren innerhalb der Linkspartei nicht zusammenbringen kann. Das Interwiew landete auf Youtube, wo sich die Nutzer in den Kommentaren mehr über den Rahmen des Interviews echauffierten als über den Inhalt.

Nutzer Hans Meyer bringt es so auf den Punkt: „Also wie der die Kipping teilweise angegangen hat, war ja schon echt feindselig. Die Propaganda von wegen Griechenlandhilfen durch den ESM und den Fiskalpakt mal nur nebenbei erwähnt. Kaum versucht Kipping zu argumentieren, dass die Hilfen aus dem ESM nicht dem griechischen Bürger, sondern nur den Banken zugutekommen, fällt der ihr schon wieder ins Wort. Respekt, dass die so ruhig geblieben und vor allem sitzen geblieben ist.“

Diese Nutzer sind also der Ansicht, die ZDF-Interviews unterlägen einem Parteilichkeits-Bias. Immer wieder gibt es – bedingt durch die Affäre um ZDF-Intendant Nikolaus Brender und Anrufe des CSU-Pressesprechers beim ZDFDiskussionen, ob die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland zu sehr von den Partei-Vertretern ihrer Rundfunkgremien gelenkt werden, doch es gibt zu den deutschen Interview-Formaten keine aktuelle Studie, welche wissenschaftlich untersucht, ob Parteilichkeit besteht.

Die schwedischen Forscher kommen in ihrer aktuellen Untersuchung zu einer ganz klaren Aussage: Zumindest im schwedischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen gibt es keinen Parteilichkeits-Bias; die Journalisten fungieren vielmehr  als kritischer Watchdog. Im Dreijahresdurchschnitt bekamen demnach sowohl Vertreter von linken als auch von rechtskonservativen Parteien relativ gleich oft aggressive Fragen gestellt.

Die eher links orientierten Politiker mussten  mit 51 Prozent feindselig gestellten Fragen zurechtkommen, zehn Prozent der Fragen forderten eine direkte Rechtfertigung, 17 Prozent der Fragen waren suggestiv. Bei fast jeder dritten Antwort wurden sie von den jeweiligen Interviewern unterbrochen.

Für die eher rechtskonservativ ausgerichteten Politiker ergab sich ein ähnliches  Bild: Im Schnitt wurden auch ihnen die Hälfte der Fragen feindselig gestellt (52 Prozent), jede zehnte Frage forderte eine Rechtfertigung von ihnen und 16 Prozent der Fragen waren suggestiv. Auch die Konservativen wurden im Schnitt bei jeder dritten Antwort (30 Prozent) unterbrochen.

Daneben zeigt die Studie außerdem eine interessante Gesamtentwicklung auf, die auch auf die deutschen TV-Formate zutreffen dürfte: Das Ausmaß an Aggression in den politischen Interviews hat stark zugenommen, 2010 wurden durchweg mehr feindselige, nach Rechtfertigung fordernde und suggestive Fragen gestellt als in den Kampagnen-Jahren zuvor. Lediglich die Zahl der Unterbrechungen nahm ab.  Erklärungsansätze liegen zum einen in der Kommerzialisierung der Medien und im immer größer werdenden Konkurrenzkampf. Doch möglicherweise trägt auch das immer professionellere und von etlichen Beratern gelenkte Auftreten der Politiker seinen Teil bei.

Die Analyse des schwedischen Forschungsteams widmet sich dieser Perspektive und wirft einen Blick darauf, welchen Einfluss der Politiker selbst auf den Gesprächsverlauf hat.

Die schwedischen Forscher untersuchten die Interaktion zwischen Interviewern und Kandidaten im Jahr 2006. Dazu verglichen sie, ob die Unterschiede, die sich in der Aggressivität gegenüber verschiedenen Politikern abzeichneten, auch schon in den Fragelisten gegeben waren, welche die Interviewer vorbereitet hatten.  Waren die unfair verteilten Provokationen also geplant oder ergaben sie sich aus der Interview-Situation selbst?

Trotz penibler Planung wichen die Interviewer  im Wahljahr 2006 relativ häufig von ihrem Skript ab. Die Sozial-Demokraten bekamen so 147 statt 107 Fragen gestellt, die Linken sogar 194 statt 115 Fragen und die Konservativen 138 statt 107 Fragen. Von vornherein planten die Interviewer unterschiedlich viele feindselige Fragen für die beiden Top-Kandidaten für den Posten des Premierministers ein: Während der damals amtierende Premier Göran Persson 28 solcher Fragen (26 Prozent) gestellt bekommen sollte, waren für den Herausforderer Fredrik Reinfeldt 42 feindselige Fragen eingeplant, was 39 Prozent aller Fragen ausgemacht hätte. Doch die Gespräche nahmen andere Wendungen. So fing sich Persson schließlich 79 aggressive Fragen ein (54 Prozent), während Reinfeldt mit 64  Angriffen (46 Prozent) umgehen musste.

Ein Ausschnitt aus dem Persson-Interview vermittelt einen Eindruck davon, wie sich das Gespräch hochgeschaukelt hat. Persson, der gerade zur Energiepolitik befragt wird: „Wir können uns nicht selbst in diese Situation bringen, dass die Strompreise die grundlegendste Industrie vertreiben.“ Journalist: „Aber ist es Zeit, Göran Persson, könnte es Zeit sein, den Markt zu reregulieren?“ Persson: „Ich habe das bereits einige Male gesagt.“ Journalist: „Wie oft sagen Sie es noch, bis etwas passiert?“

Etliche solcher Situationen trugen schließlich dazu bei, dass das Gespräch kippte.  Die Autoren folgern: Das zeigt, „wie die Aggressivität der Politiker zur Steigerung der Aggressivität im Interview insgesamt beiträgt, indem Fragen gekontert werden und den Raum für eine kritische ungeplante Folgefrage öffnen. Das aggressivste Gespräch war jenes, in dem der Kandidat die Fragen der Interviewer am häufigsten anzweifelte oder sie auf die Probe stellte.“

Die Forscher nehmen damit die Journalisten ein wenig aus der Schusslinie. „Diese Studie zeigt deutlich, dass es keine einfache Erklärung dafür gibt, wenn verschiedene Politiker unterschiedlich hart angegriffen werden. Sowohl strukturelle als auch eher situative Faktoren üben bedeutenden Einfluss aus.“

Sie empfehlen deshalb, vor allem die Interaktion zwischen Politikern und Journalisten noch eingehender zu erforschen und nicht nur nach der Verantwortung der Journalisten zu fragen. Dies käme wohl auch deutschen Interview-Formaten zugute, zumindest in den Augen von Wolfgang Lieb von den Nachdenkseiten, der das Problem so gelagert sieht: „Unter der Käseglocke des Berliner Journalistenzirkels reduziert sich der kritische Journalismus darauf, die Propagandaphrasen der etablierten Parteien zu wiederholen und ihnen dann gegenseitig vorzuhalten. Die politische Diskussion wird so auf das Spektrum der parteipolitischen Propaganda eingeengt.“

Mats Ekström, Göran Eriksson, Bengt Johansson & Patrik Wikström (2013): Biased interrogations? A multi-methodological approach on bias in election campaign interviews. In: Journalism Studies Jg.14, H. 3, S. 423-439.

Bildquelle: Flickr / Lynne Featherstone

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