Die Relevanz der Langeweile

7. Oktober 2016 • Qualität & Ethik • von

Schon wieder eine Studie zur Medienqualität. Und schon wieder wissenschaftlicher Schabernack.

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Hauptproblem des Medienqualitätsratings 2016: Es kann nicht zwischen Lastwagen (NZZ) und Sportwagen (Blick) unterscheiden

Welches Auto hat die größere Qualität? Ein Lastwagen von Mercedes oder ein Sportwagen von Ferrari?

Wenn man Medienwissenschaftler fragt, ist die Antwort klar. Der Mercedes hat die viel höhere Qualität. Er ist volkswirtschaftlich relevant, sachorientiert und befriedigt gesellschaftlichen Bedarf. Der Ferrari hingegen ist individualistisch, emotionell und für das soziale Fortkommen ohne Relevanz.

Der Lastwagen ist ein Qualitätstransporter, der Sportwagen ist ein Nonsensgefährt. Der Lastwagen bekommt darum in einem Qualitäts-Ranking die hohe Note 8,6. Der Ferrari bekommt die tiefe Note 4,0.

Im September ist in der Schweiz wieder mal eine dieser Qualitätsstudien zum Journalismus erschienen. „Medienqualitätsrating 2016“ heißt sie. Getestet wurde das News-Angebot der 43 führenden Zeitungen, Online-Sites, TV- und Radiogefäße. Ausgeführt wurde die Studie von den Medienprofessoren Mark Eisenegger, Diana Ingenhoff und Vinzenz Wyss. Ihre Resultate sind völlig überraschungsfrei.

Das weitaus beste Deutschschweizer Blatt ist demnach die Neue Zürcher Zeitung, gefolgt von NZZ am Sonntag, Tages-Anzeiger, Aargauer Zeitung und Weltwoche. Die qualitativ schlechtesten Angebote im Land bieten Blick, Sonntagsblick, 20 Minuten, Watson und Tele Züri.

Überstrahlt allerdings werden sie alle vom öffentlichen Funk. Das beste News-Angebot des Landes liefert das „Echo der Zeit“, die zweitbeste Redaktion hat das „Rendez-vous am Mittag“. Auch „Tagesschau“ und „10 vor 10“ liegen, mit Ausnahme der NZZ, vor allen gedruckten Titeln.

Spitzenreiter „Echo der Zeit“ kommt auf 8,6 Qualitätspunkte. Der Blick schafft gerade mal 4,0.

Und damit wären wir beim Hauptproblem der Studie. Sie ist zwar sorgfältig und fleißig gemacht, scheitert aber am Mercedes-Ferrari-Problem. Sie kann nicht zwischen Lastwagen und Sportwagen unterscheiden.

Die Stärke eines Blick

Journalistische Qualität bewertet sie an vier Kriterien: Relevanz, also gesellschaftliche Bedeutung, Vielfalt, also möglichst breite Information, Einordnung, also Analyse von Zusammenhängen, sowie Professionalität, also emotionslose Objektivität.

Die höchste Qualität hätte damit eine nüchtern-hintergründige Analyse der aktuellen österreichischen Flüchtlingspolitik mit Verweis auf die Folgen für Eurosur und unter Berücksichtigung der Türkenbelagerung von 1529. Die tiefste Qualität hätte damit ein emotionelles Interview mit einem überarbeiteten Flüchtlingsbetreuer aus Chiasso, der seinen individuellen Frust beklagt.

Es ist wissenschaftlicher Humbug, die NZZ und den Blick an exakt denselben Kriterien zu messen. Doch genau das tut die Studie. Bei einer NZZ sind Relevanz, Vielfalt, Einordnung und Objektivität tatsächlich vorrangige Qualitätsmerkmale. Bei einem Boulevardmedium wie Blick oder 20 Minuten erzeugen dieselben vier Kriterien das pure Gegenteil von Qualität.

Die Stärke eines Blick ist es ja gerade, irrelevante, aber interessante Storys auszugraben, singuläre Einzelschicksale des Alltags, und diese dann emotionell und subjektiv abzuhandeln. Die Qualitätsanforderung an die Blick-Gruppe ist nicht die umfassende Analyse der CVP-Familienpolitik von Vaterschaftsurlaub bis Wohnbauförderung. Die Qualität besteht darin, wie geschehen, als Erste über den Seitensprung des früheren CVP-Präsidenten und dessen Fruchtfolgen zu berichten.

Ich glaube, wir sollten unsere abgehobenen Medienwissenschaftler in die tägliche Medienrealität zurückholen. Wenn es nach ihnen ginge, dann hätten wir im Journalismus bald die höchste Qualität – und die höchste Langeweile.

Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 22. September 2016

Bildquelle: pixabay.com

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