Whistleblower haben im vergangenen Jahrzehnt wichtige Anstöße für Veränderungen in demokratischen Gesellschaften gegeben. WikiLeaks, Snowden und die Enthüllungen über Cambridge Analytica haben nicht nur erneut gezeigt, welch wichtige Rolle Journalisten und ihre Quellen spielen. Sie helfen auch zu verstehen, wie die heutige Datengesellschaft funktioniert.
Obwohl sie sich in einigen Punkten unterscheiden, haben vor allem die Fälle Snowden und Cambridge Analytica viele Hinweise geliefert, anhand derer sich die Verbindungen zwischen den Machtsphären Technologie und Politik untersuchen lassen. Sowohl die Aufdeckung des größten Massenüberwachungsapparats der Geschichte als auch die Enthüllung des millionenfachen Datenmissbrauchs lösten eine globale Diskussion in der Politik, auf Internetplattformen und schließlich auch in der Öffentlichkeit aus.
Diese Fälle haben uns auch gezwungen, generell über die weitreichenden Auswirkungen der datafizierten Gesellschaft und über die Rolle der Daten bei der Gestaltung von Staatsbürgerschaft, Rechten und Propaganda nachzudenken – und über das, was Soshanna Zuboff „Überwachungskapitalismus“ nennt: eine neue Marktform, in der Menschen nur noch Quelle eines kostenlosen Rohstoffs sind – ihren Verhaltensdaten.
Eine letzte Zuflucht
Ein wesentliches Merkmal der beiden Fälle Snowden und Cambridge Analytica ist, dass die Whistleblower durch die Zusammenarbeit mit Journalisten und journalistischen Institutionen Fehlverhalten ans Licht gebracht haben. Sie folgten demselben Muster wie WikiLeaks, das uns 2010 erstmals gezwungen hat, die Konzepte von Transparenz und Diplomatie neu zu bewerten.
Whistleblowing oder das Durchsickern von Beweismitteln an die Medien geschieht nur selten in so großem Stil und auf internationaler Ebene, aber wenn doch, führt dies in der Regel zu einem Moment des Umbruchs. Investigative Journalisten verlassen sich routinemäßig auf die Beiträge der Informanten, aber wir sollten nicht vergessen, dass diejenigen, die einen solchen Schritt unternehmen, dies in der Regel als letztes Mittel tun. Es handelt sich um eine der extremsten Folgen, die sich aus einem Ungleichgewicht zwischen Macht und Zugang zu Informationen ergibt.
Whistleblowing kann notwendig werden, wenn Rechtsverletzungen nicht auf weniger radikale Art und Weise aufgedeckt werden können oder wenn es den Whistleblowern nicht gelingt, sich auf andere Weise öffentlich Gehör zu verschaffen. Ebenso kann es zu Whistleblowing kommen, wenn die Geheimhaltung stärker gewichtet wird als das Recht der Öffentlichkeit auf Information.
Unter dem Schleier der Geheimhaltung
Es überrascht nicht, dass es in vielen der bekanntesten kürzlichen Fälle von Whistleblowing um Technologie und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft ging. Diese Fälle geben jedoch Anlass zur Sorge, denn die wachsende Zahl von Leaks im Zusammenhang mit Technologie ist symptomatisch dafür, wie sehr einige Prozesse, die von existenzieller Bedeutung für die Demokratie sind, in aller Heimlichkeit betrieben werden – zum Beispiel die Art und Weise, wie Algorithmen den Zugang zu Nachrichten im Internet steuern.
In seinem wegweisenden Buch The Black Box Society verwendet Frank Pasquale die Metapher der „Black Box“, um die Mechanismen einiger gesellschaftlicher Funktionen im Kontext des „Überwachungskapitalismus“ zu definieren. Pasquale veranschaulicht anhand des Bildes der „Black Box“, wie wir „von Unternehmen und Regierungen immer genauer beobachtet werden“, aber „keine klare Vorstellung davon haben, wie weit ein Großteil dieser Informationen gestreut wird, wie sie verwendet werden oder welche Folgen sie haben“.
Diese Informationsasymmetrie beherrscht den öffentlichen Raum, in dem die von Big Tech kontrollierten Algorithmen weitreichende Auswirkungen auf die Öffentlichkeit haben, über die sie aber in Unkenntnis gehalten wird. Angesichts der wachsenden Bedeutung von maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz, die hauptsächlich auf der Analyse großer Datenmengen basieren, dürfte dieses Thema in naher Zukunft noch dringlicher werden. Derzeit liegen die wesentlichen Möglichkeiten in den Händen der Big-Tech-Unternehmen.
Gegensätzliche Forderungen
Die fortschreitende Privatisierung des öffentlichen Raums verstärkt die Spannungen, die aus dem Konflikt zwischen Transparenz und Geheimhaltung entstehen. Dieses Muster ist aus dem Regierungsbereich bekannt, wo es seit langem die Tendenz gibt, viele Informationen aus dem öffentlichen Sektor und dem Bereich des Militärs als „Staatsgeheimnisse“ zu deklarieren.
Solche Spannungen werden zu immer mehr Whistleblowing und Leaks führen. Einige Firmen im Silicon Valley waren schon von Whistleblowing betroffen. Im Juni 2017 veröffentlichte ProPublica eine Enthüllungsstory über Facebooks Richtlinien zum Löschen von Inhalten. Die Informationen stammten aus internen Dokumenten, die ihnen ein Insider hatte zukommen lassen. Einen Monat zuvor hatte The Guardian eine Investigativrecherche zum selben Thema publiziert – auf Basis von rund 100 Handbüchern für Content-Moderatoren, die von einer internen (und anonymen) Quelle stammten.
Im August 2017 veröffentlichte die italienische Website Valigia Blu Details darüber, wie auf Facebook die Content-Moderation und die Zensur von Inhalten im italienischen Kontext funktioniert. Auch hier stammten die Beweise von einem Mitarbeiter eines Unternehmens, das für Facebook die Moderation von Inhalten übernimmt. Im Oktober 2018 schließlich erschien auf Breitbart, dem Sprachrohr der radikalen Rechten in den USA, eine geleakte interne Publikation von Google, in der es um die Position des Unternehmens zur Zensur von Inhalten ging.
Im öffentlichen Interesse
Im Dezember 2018 sorgte der ehemalige Google-Mitarbeiter Jack Poulsen für Aufsehen, als er der London Times berichtete, das Verhindern von Leaks sei Googles erste Priorität. Vermutlich wird es in Zukunft noch mehr Leaks aus dem Silicon Valley geben. Dabei müssen Journalisten natürlich zwischen echtem Whistleblowing im Sinne des öffentlichen Interesses und Wirtschaftsspionage unterscheiden.
2015 merkte der Journalistikprofessor und Tech-Experte Dan Gillmor an, wie wichtig es sei, dass Journalisten sich an den Diskussionen über die Rolle von Big Tech in der Gesellschaft beteiligten. Gillmor betonte, dass Journalisten, die die „Watchdog“-Funktion der Medien vorantreiben wollten, das Verständnis für solch komplexe Themen verbessern, die „Black Boxes“ der Gesellschaft öffnen und für mehr Transparenz eintreten müssten. Zweifellos werden dazu auch Whistleblower weiterhin einen entscheidenden Beitrag leisten.
Dieser Beitrag erschien zuerst im Online-Kultur-Magazin „La Nostra Città Futura” der Fondazione Feltrinelli. Er wurde auch auf der italienischen EJO-Seite und der englischen EJO-Seite veröffentlicht.
Übersetzung aus dem Englischen: Johanna Mack
Bildquelle: Chatham House / Flickr | Lizenz: CC BY-SA 2.0
Schlagwörter:"Überwachungskapitalismus", Big Tech, Cambridge Analytica, Daten-Gesellschaft, Facebook, Frank Pasquale, Journalisten, Leaks, öffentliches Interesse, Soshanna Zuboff, The Black Box Society, Whistleblower