Diversität in den Medien: Es braucht Motivation von innen

14. Dezember 2020 • Internationales, Qualität & Ethik • von

Der Journalismus und die Medien können eine treibende Kraft für mehr soziale Gerechtigkeit sein. Gleichzeitig sind die meisten Redaktionen aber weit davon entfernt, selbst die Vielfalt der Gesellschaft widerzuspiegeln. Bei der von der UNESCO veranstalteten World Press Freedom Conference 2020 erzählten fünf Medienmacher*innen von ihren Erlebnissen – und was sich noch ändern muss: die US-Journalistin Soledad O’Brien, Luisa Ortiz Pérez, Aktivistin für Gleichberechtigung, die niederländische Journalistin und Aktivistin Clarice Gargard, Blake Harrop von der Werbeagentur Wieden & Kennedy und der niederländische TV-Moderator Humberto Tan.

Der Tod von George Floyd und die Black Lives Matter Bewegung in den USA oder die Debatte um Sinterklaas und seinen schwarz geschminkten Begleiter in den Niederlanden: Gesellschaftliche Debatten werden in den Medien ausgetragen. Und wer nicht mit am Redaktionstisch sitze, dessen Stimme werde nicht gehört, argumentiert die US-Journalistin Soledad O’Brian: „Bei Diversität und Inklusion in den Medien geht es darum, Zugang zu schaffen. Ich habe oft den Eindruck, dass in Redaktionen eine alt-etablierte Weisheit gilt. Und Menschen, die nicht mit am Tisch sitzen, können nicht mitreden. Sie können nicht sagen: Der Dreh in Eurer Geschichte ist uninformiert, falsch oder veraltet.“

O’Brian moderierte jahrelang auf CNN. Mittlerweile ist sie CEO ihrer eigenen Produktionsfirma und Host einer wöchentlichen Polit-Talkshow. Zwar habe sie den Eindruck, dass mittlerweile mehr Diversität vor der Kamera herrsche und sich auch hinter der Kamera etwas tue. Aber in den Redaktionsleitungen und den Vorständen der Medienunternehmen, da wo entschieden wird, welche Geschichte erzählt wird und wofür Geld bereitgestellt wird, ändere sich kaum etwas.

In der Chefetage bleibt Diversität weiter die Aufnahme: Anfang Dezember 2020 wurde Rashida Jones zur Präsidentin von MSNBC ernannt. Sie ist die erste und einzige schwarze Frau, die einen der großen US-amerikanischen Nachrichtensender leitet. Auch in Deutschland sieht es nicht anders aus: Nach einer im Mai 2020 veröffentlichen Studie der Neuen deutschen Medienmacher*innen haben nur sechs Prozent der Chefredakteur*innen in den deutschen Massenmedien einen „Migrationshintergrund“, davon die Hälfte aus Deutschlands Nachbarländern und der Rest aus der EU. Niemand sei schwarz oder muslimisch.

Ich wünschte, wir könnten aufhören, in Diskussionsrunden über dieses Thema zu sprechen. (Soledad O’Brian)

Wenn eine Frau in der Führungsetage eines Medienunternehmens einen Posten übernimmt, sei der Fakt, dass sie eine Frau ist, immer noch eine Schlagzeile wert – darüber müsse man hinauskommen, fordert O’Brian, da dies zeige, dass Frauen in Führungspositionen immer noch nicht ‚normal‘ seien.

Sind Quoten die Lösung?

Dr. Luisa Ortiz Pérez ist Kommunikationsexpertin und setzt sich für die Gleichstellung der Geschlechter ein. Sie hält Quoten für notwendig, um wenigstens ein Minimum an Diversität zu gewährleisten. Allerdings sieht sie Quoten auch als Abbild des Problems.

Quoten zeigen, wir tolerant wir gegenüber der großen Ungleichheit waren. Wir haben Privilegien toleriert und wir haben uns drauf verlassen, dass Menschenrechte sich schon von allein festigen und irgendwann für alle gelten. (Luisa Ortiz Pérez)

In vielen Redaktionen herrsche an der Basis bereits Vielfalt und Diversität, erklärt Ortiz Pérez. Das Problem sei aber, dass davon in der Führungsebene nichts ankomme. Frauen könnten innerhalb des Systems nur schwer aufsteigen. Das führe dazu, dass viele das System verlassen und ihre eigenen Medien gründen. Diese würden zwar tolle Arbeit leisten, aber dadurch ändere sich in den etablierten Medien erstmal nichts.

Auch die Journalistin Clarice Gargard sieht Quoten kritisch. Ihrer Meinung nach brauche es für einen Wandel eine Motivation von innen. Solch eine grundlegende Änderung könne man als riesige Herausforderung sehen – oder aber als Chance.

Wenn man darüber nachdenkt, wie man Dinge nicht nur für sich selbst verbessern kann, sondern für alle in der Gesellschaft, gibt einem das Energie. Und wir können alle daran teilhaben. (Clarice Gargard)

Vom Druck, Außergewöhnliches zu leisten

Die Journalistin und Aktivistin Clarice Gargard wurde in Liberia geboren. Sie ist die erste schwarze Frau mit einer eigenen Kolumne in der niederländischen Abendzeitung NRC.

Die Erste zu sein baut viel Druck auf, Außergewöhnliches zu leisten. Wenn du nicht alles genau richtig machst, gibt es keinen Platz für Menschen wie dich, die nach dir kommen. (Clarice Gargard)

Der niederländische Fernsehmoderator Humberto Tan ergänzt, er sei zwar gerne ein Vorbild für viele Schwarze, sei ein Befürworter von Diversität und Vielfalt, aber er sagt auch: „Meine Hautfarbe hat nichts mit meinem Job zu tun.“

Gargard spricht auch davon, wie sie 2018 über eine Demonstration gegen die Ankunft des Sinterklaas und seines Begleiters Zwarte Piet berichtet hat. Für die Figur des Zwarten Piet wird weißen Menschen die Haut dunkel geschminkt. Eine Tradition, die vielfach als rassistisch angesehen wird. Der Vorwurf: Blackfacing. Gargard erzählt, dass sie in den Kommentaren zu dem Livestream enormen Hass erlebt habe, rassistisch und sexistisch beleidigt, mit dem Tod bedroht worden sei. Tausende solcher Kommentare gegen sie kamen zusammen. Gargard zog vor Gericht, die Täter wurden in diesem Jahr verurteilt. Es habe emotional viel von ihr abverlangt. Aber sie denkt, es habe sich gelohnt, um einen Präzedenzfall zu schaffen und eine Diskussion darüber anzuregen.

Für viele Journalist*innen, vor allem aus Minderheiten, gehört Hass zum Alltag. Luisa Ortiz Pérez hat mit Vita-Activa.org eine Plattform geschaffen, die hilft, mit Hass im Netz umzugehen. Die spanischsprachige Plattform bietet Journalist*innen und Aktivist*innen ein Unterstützungsnetzwerk.

Social Media macht es für viele Menschen leichter, an Informationen zu kommen – aber leider auch leichter, Geschichten voll Hass zu glauben. Dieser Fall [von Gargard] ist nicht der einzige, solche Fälle sind sehr häufig. Aber wir sind da, um zu aufklären: Journalistinnen haben Rechte und unsere Rechte sind Menschenrechte. (Luisa Ortiz Pérez)

Doch wie Clarice Gargard erklärt, habe Social Media auch einen positiven Einfluss auf Diversität. So sei vielen Minderheiten zwar der direkte Weg in die Medien verwehrt, durch Social Media sei aber sozusagen ein Quereinstieg möglich. Außerdem böten sie einen direkten Kommunikationskanal zwischen den Redaktionen und den Mediennutzerinnen und Mediennutzern. O’Brian ergänzt, dass viele Redaktionen, die noch nicht sehr divers seien, Social Media nutzten, um Themen zu finden. Die Redaktionen achteten darauf, was im Netz viel geklickt werde und richteten danach ihre Berichterstattung aus. Darunter seien dann auch Themen, auf die sie sonst nicht gekommen wären.

Werbeindustrie als Vorbild?

Diversität und Vielfalt könnten auch einen finanziellen Vorteil bieten, erklärt Blake Harrop, Geschäftsführer des Amsterdamer Büros der Werbeagentur Wieden & Kennedy. In der Werbeindustrie würden immer mehr Firmen erkennen, wie wichtig Authentizität sei, um eine Verbindung mit den Konsument*innen aufzubauen.

Doch während in den Werbespots Diversität gefeiert wird, sah es in den Agenturen lange Zeit anders aus. Die Initiative 3PercentMovement hat ihren Namen von drei Prozent Frauenanteil, den es in den künstlerischen Leitungen von US-Werbeagenturen lange gab. Mittlerweile sei dieser Anteil auf 29 Prozent gestiegen.

Clarcie Gargard ist aber kritisch, ob sich das so einfach auf den Journalismus übertragen lasse. Schließlich sei für die Firmen immer das Wichtigste, etwas zu verkaufen. Ein Nachrichtenmedium verkaufe zwar auch seine Geschichten, müsse dabei aber immer kritisch bleiben.

 

Bildquelle: pixabay.com

 

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