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24. März 2006 • Qualität & Ethik • von

Neue Zürcher Zeitung, 24. März 2006

Italiens Zeitungsjournalismus durch «La Repubblica» aufgemischt
Sie ist kein Zentralorgan der italienischen Linken, aber fraglos deren Forum und erklärtermassen auch ihre Stimme, und sie hat wie kaum ein anderes Blatt den italienischen Zeitungsjournalismus revolutioniert: «La Repubblica», Italiens zweitgrösste Tageszeitung, feierte Anfang 2006 ihren dreissigsten Geburtstag. Der Publizistikwissenschafter Angelo Agostini hat ihr aus diesem Anlass ein Buch gewidmet, in dem er zu klären versucht, warum gerade diese Zeitung so prägend auf den Journalismus in Italien gewirkt hat.

Werkstatt der linken Identitäten»

Aus seiner Sicht war und ist «La Repubblica» von ihrem Beginn an so etwas wie die «Werkstatt der Identität, oder vielleicht besser: der Identitäten der italienischen Linken». Diese Identität, die «ihrer selbst stets unsicher» sei, werde von der Zeitung konstruiert, und zwar «nicht nur politisch, sondern auch kulturell und auf Lebensstile bezogen». Mit den Worten des derzeitigen Chefredaktors Ezio Mauro ergebe sich diese Identität «nicht als Antwort auf die Frage: Wem fühlst du dich zugehörig?», sondern eher auf die viel allgemeinere Frage: Wer bist du?

Agostini arbeitet verschiedene Besonderheiten des Blatts heraus: Von Anfang an war «La Repubblica» eine überregionale Zeitung, und zwar die erste Italiens mit wirklich nationaler Verbreitung und Ausstrahlung. Sodann nennt Agostini die politische Kontinuität; sie sei auch daran ablesbar, dass «La Repubblica» die einzige bedeutende Zeitung Italiens sei, die in dreissig Jahren nur zwei Chefredaktoren hatte – ihren Gründer Eugenio Scalfari während der ersten zwei Jahrzehnte, und seither Ezio Mauro, der auch heute noch fest im Sattel sitzt. Dagegen habe es beim direkten Konkurrenten, dem «Corriere della Sera», im selben Zeitraum neun Chefredaktoren gegeben – das ist immerhin nicht ganz so häufig, wie vor Berlusconis Zeiten in Italien die Regierung gewechselt hat.

Vor allem aber habe «La Repubblica» dem italienischen Journalismus seine eigenen Konzepte übergestülpt – insbesondere eine Blattstruktur, die ganz stark auf Themenseiten bzw. -strecken ausgerichtet ist. Die ersten 16 Seiten sind jeweils nur drei oder vier Tagesthemen gewidmet, die auf diese Weise zum Problemaufriss und auch zur Tagesagenda werden, also weit mehr sind als blosse Nachrichten. So werde das Geschehen von den italienischen Zeitungen nicht mehr nur registriert, sondern sie würden täglich neu zum Agendasetter. Dieses Modell der «tematizzazione» werde zwar einerseits oftmals zum Korsett und werfe Fragen auf – zum Beispiel, ob für andere wichtige Themen noch genügend Platz bleibe. Das «Repubblica»-Konzept habe aber so viel Erfolg gehabt, dass es seither alle anderen Zeitungen nachahmten; es sei schlichtweg «zum einzig denkbaren Modus geworden, wie man sich in Italien eine Tageszeitung vorstellt».

Üppiger Bildband

Darüber hinaus ist in einem üppigen Bildband festgehalten, wie die Zeitung selbst ihre Erfolgsgeschichte sieht. Auf 480 Seiten wurden 2000 Fotos und 500 Artikel nachgedruckt, dazu eine Chronologie, Tabellen und andere vertiefende Informationen. Auch auf der Website – mit 4,7 Millionen Besuchern das meistgenutzte Online- Angebot Italiens im Nachrichtenbereich – findet sich eine umfassende Dokumentation zu den drei Jahrzehnten Blattgeschichte (www.repubblica.it).

 

* Angelo Agostini (2005). La Repubblica. Un'idea dell'Italia (1976-2006), Bologna, il Mulino, 170 pp.

** La Repubblica (2006). Il libro dei trent'anni, 1976-2006, 480 pp.

Neue Zürcher Zeitung, 24. März 2006, s. 75

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