Täglich verstoßen serbische Journalisten gegen Richtlinien des serbischen journalistischen Ethikkodex. Das zeigt eine Studie, die die Berichterstattung der serbischen Tageszeitungen Politika, Danas, Blic, Vecernje Novosti, Kurir und Alo zwischen dem 10. und 16. Oktober 2011 untersucht. Die sechs analysierten Zeitungen haben in diesem Zeitraum insgesamt 109 Mal den Ethikkodex missachtet.
Am häufigsten – 39 Mal – wurde das Persönlichkeitsrecht der Personen, über die berichtet wurde, verletzt (35,8 Prozent der Verstöße). Am zweithäufigsten – in 36 Fällen – wurde die Unschuldsvermutung außer Acht gelassen (33 Prozent der Verstöße). Versteckte Werbung fand sich 23 Mal (21,1 Prozent der Verstöße). Es traten auch Fälle von Diskriminierung und Sensationsberichterstattung auf, diese machten aber nur 3,7 Prozent bzw. 2,8 Prozent der Verstöße aus.
Verletzungen der Persönlichkeitsrechte äußern sich in der serbischen Presse in verschiedenen Formen. Vor allem treten sie jedoch in der Berichterstattung über Verbrechen auf, stellte der Autor fest. Obwohl der Kodex es untersagt, die Identität Verdächtiger preiszugeben, haben die sechs analysierten Zeitungen in dem untersuchten Zeitraum 26 Artikel veröffentlicht, in denen Name und Foto des Verdächtigen sowie private Informationen über ihn publiziert wurden.
In 13 Fällen wurden zwar die Namen der Verdächtigen nicht genannt, dafür aber Informationen über ihr Alter, ihren Wohn- und Geburtsort, ihre Arbeitsstelle und ihre Verwandte preisgegeben.
Der publizistische Grundsatz der Unschuldsvermutung wurde von allen untersuchten Zeitungen missachtet. In 34 von 36 Fällen wurde er schon in der Überschrift verletzt, indem Verdächtige dort als „schuldig“ befunden wurden. In den Artikeln selbst wurden die Personen dann als „Verdächtige“ bezeichnet. Der ethische Grundsatz wird in den Artikeln also befolgt, in den Überschriften aber missachtet – wahrscheinlich, um die Story auf den ersten Blick interessanter und aufregender zu gestalten.
Um Leser vor versteckter Werbung zu schützen, sieht der serbische journalistische Ethikkodex vor, dass werbliche Artikel klar und deutlich gekennzeichnet werden sollen. Auch wenn Vertreter der analysierten Zeitungen sagen, dass werbliche Inhalte immer in einem anderen Format und Schriftsatz als journalistische Beiträge veröffentlicht würden, fanden sich im analysierten Zeitraum insgesamt 23 „PR-Artikel“ in den sechs Zeitungen. Versteckte Werbung erschien dabei sowohl in Nachrichtenartikeln und Reportagen als auch in Interviews.
40 der insgesamt 109 Missachtungen des Ethikkodex traten in Überschriften auf, die oftmals beim Leser einen stärkeren Eindruck als die Artikel selbst hinterlassen und zudem häufig die einzige Informationsquelle für Leser sind. In den Überschriften wurde nicht nur die Unschuldsvermutung missachtet, sondern auch zu sensationell berichtet. Die Überschriften „Das Ozon wird uns töten“ (Alo), „Geisteskrankheiten verbreiten sich rasant in Serbien“ (Kurir) und „Der Weltuntergang hat begonnen“ (Kurir) könnten unbegründete Ängste unter den Lesern auslösen.
Mit der Überschrift „Frau schneidet Baby aus Schwangerer heraus“ stellte die Zeitung Alo zudem Gewalt unangemessen sensationell dar; die Überschrift „Es war ein Kroate, der die Bilder gestohlen hat“ derselben Zeitung kann als ethisch diskriminierend aufgefasst werden, da ein Bezug zwischen Nationalität und Straftat nicht zu erkennen ist.
Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass serbische Qualitätszeitungen dem Ethikkodex mehr Beachtung schenken als Boulevardzeitungen. So hat der Kurir mit 36 Verstößen während der Untersuchungswoche am häufigsten den Kodex verletzt. Blic hat 30 Mal gegen die ethischen Richtlinien verstoßen, Novosti und Alo je 16 Mal. Die Qualitätszeitungen Politika und Danas dagegen haben „nur“ fünf- bzw. sechsmal ethische Grundsätze missachtet.
Übersetzt aus dem Englischen von Tina Bettels.
Originalartikel auf Serbisch: Izbledela etika domaće štampe
Schlagwörter:Alo, Blic, Danas, Diskriminierung, Ethik, Ethikkodex, Kurir, Persönlichkeitsrecht, Politika, Sensationsberichterstattung, Serbien, Unschuldsvermutung, Vecernje Novosti, Werbung