Nach München, Köln, Wien und Biel hat nunmehr auch Luxemburg seine Medientage.
Im Kleinstaat, der noch immer Europas Fernsehschwergewicht RTL beheimatet, haben die Veranstalter vom Institut Pierre Werner das einzig Sinnvolle getan, um in der Konkurrenz mit den Größeren zu bestehen: Sie haben ihren Event konsequent europäisch ausgerichtet und aus aller Herren Länder Referenten eingeladen.
Die Vorträge leuchteten aus, wie und weshalb das Internet und seine „sozialen Netzwerke“ in den unterschiedlichen Ecken, Kulturen und Sprachräumen Europas die öffentliche Kommunikation verändern und den herkömmlichen Journalismus gefährden. Und weil sich auf den Podien auch ein paar Luxemburger tummelten, wurde man auch gewahr, wie vielfältig anders als bei den großen Nachbarn Deutschland und Frankreich die Medienlandschaft in dem kleinen Ländchen ausgestaltet ist – vielleicht eher anderen eigenwilligen Kleinstaaten ähnlich wie der Schweiz, Österreich oder den Niederlanden, obschon sich diese natürlich auch nicht über einen Kamm scheren lassen.
Die Gutmütigkeit der Tagungsteilnehmer wurde allerdings einem Härtetest unterzogen. Am Centre National de l‘Audiovisuel im Provinznest Dudelange, in das die Teilnehmer per Autobus verfrachtet wurden, tagte man bis abends um acht. Es gab keine Möglichkeit, etwa zum Sightseeing auch nur ein Stündchen in die Altstadt Luxemburgs auszubüchsen. So konnte, wer etwa partout einem Vortrag zum Satellitenfernsehen nicht lauschen wollte, eigentlich nur in den Kinoplüschsesseln im halbdunklen Saal mit virtuellem Sternenhimmel vor sich hin träumen.
Nolens, volens hielten die meisten abends im Hotel bis zum Dinner Speech von Dennis McQuail durch, der auf 22 Uhr (!) angesetzt war. Dem Doyen der Kommunikationsforschung in Europa gelang dann immerhin auf bemerkenswert virtuose Weise das Unmögliche: In zehn Minuten ließ er fünfzig Jahre europäische Kommunikationsgeschichte Revue passieren, um zu dem Schluss zu gelangen, Europas Medien hätten sich „glücklicherweise“ der Amerikanisierung widersetzt und die „De-Regulierung der Medien“ habe der „Re-Regulierung“ Platz gemacht.
Die Euro Media Research Group, ein loser Verbund von Kommunikationsforschern, dem als treibende Kräfte Werner A.Meier (Universität Zürich) und Josef Trappel (Universität Salzburg) angehören, nutzte die Gelegenheit und stellte in Luxemburg ihr neuestes Opus magnum der staunenden Weltöffentlichkeit vor: „Media in Europe Today“ ist das Buch betitelt, das einen Streifzug durch die zerklüftete Medienlandschaft des alten Kontinents verheißt. Im Schlussbeitrag arbeitet Jeremy Tunstall, Emeritus von der City University in London, heraus, wie Europa nach dem Kalten Krieg von den Amerikanern die Oberherrschaft über den internationalen Nachrichtenfluss als „World News Leader“ allmählich zurückgewonnen hat.
Wobei er natürlich auf unstrittige Erfolgsgeschichten wie die von Reuters und der BBC verweist, aber merkwürdigerweise unerwähnt lässt, welch grossen Einfluss Titel wie der Guardian, der Economist oder die Financial Times im Internetzeitalter weltweit und bis tief in die amerikanischen Provinzen hinein ausüben.
Zwei bedeutende Rankings, welche die differenten europäischen Wirklichkeiten ausleuchten, blieben indes sowohl im Büchlein als auch auf der Tagung unerwähnt: Im globalen Index, den Reporters sans Frontières jährlich zur Pressefreiheit erstellt, teilt sich die Schweiz zusammen mit anderen meist kleineren (nord-)europäischen Staaten wie Finnland, Island, den Niederlanden, Norwegen und Schweden den ersten Platz. Estland und Litauen haben es als einzige Länder aus dem früheren Ostblock unter die ersten 15 geschafft; Österreich und Irland gehören ebenfalls zur Spitzengruppe.
Im „Corruption Perception Index“, einem von Transparency International erstellten Ranking, gehören nahezu dieselben Länder zu den 15 weltweit am wenigsten von Korruption gefährdeten Nationen – darunter auch die Schweiz, Deutschland und Österreich. „World News Leader“ – das hat ganz offensichtlich ein „Mehr“ an Pressefreiheit als anderswo zur Voraussetzung. Und dieses Mehr scheint auch seine Wirkung zu entfalten, wenn es darum geht, der Korruption vorzubeugen und entgegenzuwirken.
Lese-Tipps:
Josef Trappel et al. (eds.): Media in Europe Today, Bristol/Chicago: Intellect, 272 Seiten, 29 €
Reporters sans Frontières, Press Freedom Index 2010:
http://en.rsf.org/press-freedom-index-2010,1034.html
Transparency International Corruption Perception Index: http://transparency.org/policy_research/surveys_indices/cpi/2010/results
Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist Nr. 12/2010 und 1/2011
Schlagwörter:Corruption Perception Index, Dennis McQuail, Euro Media Research Group, Europa, Institut Pierre Werner, Internet, Luxemburg, Medientage, Pressefreiheitsindex, soziale Netzwerke