Fit for News: Die Herausforderung, Nachrichten-Kompetenz zu vermitteln

1. November 2024 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Bildquelle: Flickr

„Eine grosse Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland hat kein Vertrauen in die Medien: 76 Prozent misstrauen demnach Zeitungen, 72 Prozent misstrauen Journalistinnen und Journalisten.“ Mit diesem nicht nur für die Medienbranche erschreckenden Umfrage-Ergebnis einer Studie von 2022 macht der emeritierte Journalismus-Forscher Michael Haller darauf aufmerksam, wie sehr Informationskompetenz zum Schlüssel geworden ist, um sich in der digitalen Medienwelt zurechtzufinden.   

In der Tat ist es eine der großen Herausforderungen für die Bildungspolitik und die demokratische Gesellschaft, ausreichend Medienkompetenz an Jugendliche zu vermitteln. Bislang scheitern die meisten Schulen und Berufsausbildungsstätten kläglich an dieser Herausforderung. Mit dem Projekt „Fit for News“, das das Europäische Institut für Journalismus- und Kommunikationsforschung in Leipzig angestossen hat, versucht Haller mit seinem Team, dem entgegenzuwirken.

Jetzt hat er einen Wegweiser zu den „Schlüsselkompetenzen in der Mediengesellschaft“ vorgelegt, der gratis herunterzuladen ist (https://fitfornews.de) und allen, die sich gegen die wachsende Flut von Halbwahrheiten und Lügengeschichten wehren wollen, das nötige Grundwissen liefert. Sowohl diese Broschüre als auch das umfassendere Projekt selbst richten sich an Lernende und Lehrende zugleich: Schüler, Auszubildende und Studenten sollen lernen, wie man Nachrichten beschafft, prüft und nutzt, ohne auf Akteure hereinzufallen, die sie mit Nebelkerzen einlullen. Und, vielleicht wichtiger noch, Lehrer und Dozenten, die den Kids das nötige Wissen beibringen wollen, erhalten einen Überblick über weitere Projekte, die sich diesem Anliegen widmen – sowie eine solide Einführung, wie wir mit künstlicher Intelligenz (KI) umgehen können, ohne von ihr manipuliert zu werden.

Angesichts der „Wunderprogramme“, mit denen KI inzwischen Texte generieren und Bilder, ja sogar Videos fälschen kann, muss allerdings auch Haller kapitulieren: dank der „exzellent funktionierenden Bildgenerierungssoftware“ seien „deep fakes als Fälschung praktisch nicht mehr erkennbar“. Viele mit KI erzeugte Audio- und Videoprodukte verwischten inzwischen den Unterschied zwischen „real“ und „fake“, zwischen echt und erfunden.

Wichtig, um Informationskompetenz auszubilden, ist also, dass man von diesen Manipulationsmöglichkeiten weiß. Es wird im übrigen auch immer wieder gezielte Versuche geben, selbst Journalisten und Wissenschaftler dazu zu bringen, Falschnachrichten weiterzuverbreiten. Solches Meta-Wissen zu den Kompetenzgrenzen der Forscher und der Profis im Nachrichtengeschäft zu vermitteln, da wären eben nicht nur Schulen und Hochschulen, sondern auch die Medien selbst gefordert – jedenfalls all diejenigen, die sich gerne mit dem Prädikat „Qualitätsjournalismus“ schmücken und es dennoch immer wieder versäumen, ihr eigenes journalistisches Handeln nachvollziehbar und transparent zu machen.

Die ersten Bausteine für solch eine Wissensvermittlung liefert Haller mit seinem Projekt: Seine Unterrichts- und Trainingsprogramme wurden an drei Berufsschulzentren in Sachsen erprobt. Für den Präsenzunterricht wurden neun Lehreinheiten entwickelt, die modular konzipiert sind, sich also unabhängig voneinander einsetzen lassen. Diese wurden von den Lehrkräften, aber auch durch Schülerbefragungen kontinuierlich verbessert. Drei Selbstlernkurse sind ebenfalls im Angebot: „Wie ich mich zuverlässig informiere“, „Kann ich Bildern trauen?“ und „Mit sozialen Medien kompetent umgehen“ sind die Themen der Kurse. Das Lehrmaterial enthält aktuelle Beispiele aus der Alltagswelt von Jugendlichen. Soweit sie den Nachrichtenmedien entstammen, werden sie periodisch aktualisiert. Die Broschüre schließt mit Einblicken in die Vermittlungspraxis, also mit Beispielen aus der Lehre und mit Hintergrundtexten aus dem Manual für Lehrkräfte, die mit den „Fit for news“-Lehrprogrammen arbeiten wollen. Insgesamt ist das eine wahrlich durchdachte, vielschichtige Arbeitshilfe, die dem Aberwitz trotzt, den „zweckmässigen Gebrauch von Werkzeugen“ zu lehren, „wenn sich deren Einsatzmöglichkeiten fortwährend ändern“, und darauf pocht, dass der Kern der Informationskompetenz nicht „technisches Know how zum Inhalt hat, sondern in erster Linie kognitive Fähigkeiten, die vorgestern ebenso gültig waren wie sie auch übermorgen gültig sein werden,“ so Haller.

Ob die eingangs genannten Zahlen zum Vertrauensverlust von Journalisten bei Jugendlichen anders aussehen würden, wenn letztere im Sinne von Haller informationskompetent wären? Womöglich ist es ja unter den heutigen Umständen sogar eine gesunde Reaktion, den Medien zu misstrauen. Aber ein riesiger Fortschritt wäre es schon, wenn die Betroffenen eine Nachricht von einem Kommentar unterscheiden könnten, wenn sie wüssten, wem sie mit mehr und wem mit weniger Skepsis begegnen sollten, und warum – und wie sich mitunter eben doch durch Recherche herausfinden lässt, ob eine Nachricht stimmt, ob es sich um eine aufgeplusterte Halbwahrheit oder gar eine Lügengeschichte handelt.

Europäisches Institut für Journalismus- und Kommunikationsforschung: Fit for News. Medienkompetenz für Jugendliche  in den Schulen und der Berufsbildung, Leipzig 2024

 

Dieser Artikel wurde zuerst am 25. Juli in der Druckversion und am 30. Juli 2024 online in der österreichischen Zeitung “Die Furche” veröffentlicht

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