Fotojournalismus im Zeitalter der Postfaktizität

17. September 2020 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Schon seit einigen Jahren sind die Begriffe „Fake News“ und „Post-Truth“ ständige Begleiter unserer medialen und politischen Debatten. Im Vordergrund steht dabei meist die Frage, wie sich der Journalismus und die politische Kultur unter den Vorzeichen von „Fake News“ und „Post-Truth“-Debatten verändern. Nur selten wird jedoch diskutiert, was diese Debatte für die Fotografie und insbesondere den Fotojournalismus bedeutet. Der folgende Essay will hierzu eine Annäherung vornehmen.

Als kurz nach der Amtseinführung des neuen amerikanischen Präsidenten Donald Trump im Jahr 2017 erste Bilder der öffentlichen Veranstaltung kursierten, konstatierte die amerikanische Presse aufgrund der zum Teil leeren Flächen vor dem Washingtoner Capitol, es wären weniger Menschen anwesend gewesen, als bei der Amtseinführung des Vorgängers Barack Obama acht Jahre früher. Die Reaktion von Donald Trump kam prompt. Er bezichtigte die Presse der Verbreitung von „Fake News“. Seine Version der Ereignisse ließ er mit sogenannten „Alternative Facts“ untermauern, wozu auch beschnittene Bilder gehörten, die seine Version der Ereignisse stützten. Letztlich hatte seine Argumentation zum Ziel, den Wert der Bilder als Dokument an sich in Zweifel zu ziehen.

Im Handeln Donald Trumps und seines Pressestabes kristallisiert sich bereits eine bestimmte Verwendungsart des Begriffs „Fake News“ heraus, und zwar dessen Nutzung als eine Art Etikett oder Label. Dahinter steht eine politische Instrumentalisierung des Begriffs, um die etablierten Nachrichtenmedien zu deligitimieren und die eigene – wenngleich nachweislich falsche – Deutungshoheit über Ereignisse zu legitimieren. Davon zu unterscheiden ist eine zweite Variante des Begriffes „Fake News“ und zwar „Fake News“ als ein Genre. Die Kommunikationswissenschaftler Fabian Zimmermann und Matthias Kohring verstehen darunter die vorsätzliche Herstellung pseudo-journalistischer Falschinformation. Grundsätzlich geht es bei „Fake News“ und „Alternative Facts“ nicht darum herauszufinden, was tatsächlich stattgefunden hat, sondern eine Version zu verbreiten, die der Ideologie des Senders der Botschaft möglichst nahekommt.

Die öffentliche Debatte um „Fake News“ und „Alternative Facts“ hat einige Autor*innen und Wissenschaftler*innen verlasst darüber nachzudenken, ob wir in einem Zeitalter der „Post-Truth“ oder „Post-Faktizität“ leben. Als Kristallisationspunkt kann hier sicherlich die politische Debatte um den globalen Klimawandel gelten. Hier wird, ähnlich wie in Bezug auf journalistische Berichterstattung, wissenschaftlichen Daten, die eine menschengemachte Klimaveränderung nachweisen, die Legitimation abgesprochen bzw. die Beweiskraft dieser Fakten in Frage gestellt. Unter „Post-Truth“ kann ein gesellschaftliches und soziales Panorama gefasst werden, in dem Objektivität und Rationalität als Gradmesser von Entscheidungen zugunsten von Emotionen zurückgestellt werden. Was in einer post-faktischen Gesellschaft zählt, ist die gefühlte Wirklichkeit der jeweiligen Akteur*innen.

Fotokritik und das dokumentarische Bild

Unabhängig von der aktuellen Debatte um „Fake News“ gibt es in der Foto-Community seit Jahrzehnten eine Debatte, die sich kritisch mit der Repräsentationsleistung von Fotografie im Allgemeinen und des Fotojournalismus bzw. der dokumentarischen Fotografie im Besonderen beschäftigt. Autor*innen wie Martha Rosler, Allan Sekula, Abigail Solomon-Godeau oder Susan Sontag haben Zeit ihres Lebens damit verbracht, das vermeintlich „Dokumentarische“ bzw. „Objektive“ der (journalistischen) Fotografie zu dekonstruieren. Im Vordergrund stand dabei oft eine macht- und herrschaftskritische Analyse, die sich um das Verhältnis von Fotograf*in zu Fotografierten dreht sowie die Beschäftigung mit der Verdinglichung und Festschreibung fotografierter sozialer Realitäten durch die Fotografie.

Ob einkalkuliert oder nicht ist die Folge dieser medien- und repräsentationskritischen Beschäftigung mit der Fotografie ein weitreichender Skeptizismus gegenüber journalistischer Fotografie und der Funktion von Bildern als Dokumenten. Gefördert oder bestärkt wurde diese Tendenz durch den Übergang von Analog auf Digital und das – vermeintlich oder tatsächlich – höhere Manipulationspotential digitaler Fotografie. Abseits der tagesaktuellen journalistischen Fotografie oder Wettbewerben wie World Press Photo scheinen innerhalb der Fotografie-Community fotografische Ansätze und Praktiken, die sich auf das Abbilden nachrichtenrevelanter Ereignisse und einer Vermittlung des Gesehenen beschränken, kaum noch Legitimation zu besitzen. En vogue sind stattdessen künstlerisch-dokumentarische Ansätze, die mit den Grenzen von Fiktionalität und Faktizität spielen und grundsätzlich mit einem repräsentationskritischen Ansatz daherkommen.

Postmoderne Fotokritik und die Postfaktizitäts-Debatte

Vergleicht man die von postmodernen bzw. konstruktivistischen Theorien beeinflussten repräsentationskritischen Debatten in der Foto-Community mit den Argumentationsmustern der „Fake News“ bzw. Lügenpresse-Kampagnen, so gibt es – zumindest vordergründig –  erstaunliche Parallelen. Primär liegen diese darin, Medien die Fähigkeit abzusprechen, gesellschaftliche Wirklichkeit abzubilden und einem grundsätzlichen Skeptizismus gegenüber journalistischer und fotografischer Wissensproduktion zu frönen. Obgleich der ideologische Unterbau und die politische Intention grundverschieden sind, so erscheinen die Gemeinsamkeiten auf der Ebene einer angewandten Medienkritik jedoch frappierend. So ist zu fragen, was sich dem „Fake News“ Etikett entgegensetzen lässt – das ja ganz zentral auf die vermeintliche Bild- und Informationslüge zurückgreift – wenn die Foto-Community selbst die Glaubwürdigkeit von Bildern immer wieder selbst dekonstruiert.

Damit einher gehen eine ganze Reihe von konkreten Fragen: Wie lassen sich heute Informationen sinnvoll mit Fotografie vermitteln, wenn der Fotografie gleichzeitig grundsätzlich jede Dokumentenfunktion abgesprochen wird? Wie soll der politisch motivierten Manipulation von Bildern und deren manipulativen Einsatz etwas entgegengesetzt werden, wenn innerhalb der Fotocommunity selbst kein Konsens darüber zu erzielen ist, was erlaubte und was nicht erlaubte Bildbearbeitung ist? Wie kann angesichts riesiger Unterschiede in der Bild- und Medienkompetenz unserer Gesellschaft mit Bildern im Journalismus kommuniziert werden, wenn diese sich immer öfter der klaren Zuordnung fiktionaler oder faktualer Produktion verweigern? Und was hilft uns der allgegenwärtige Zweifel an jeder Nachricht, jedem dokumentarischen Bild, an jeder Information, wenn gleichzeitig diejenigen, die die politische Macht haben, weiterhin zielstrebig ihre Interessen durchsetzen?

Um nicht missverstanden zu werden: mir geht es an dieser Stelle in keinster Weise darum, nahtlos an das naive Fotografieverständnis von Fotografie gleich Realität des frühen 19. Jahrhunderts anzuknüpfen, das sich in unterschiedlichen Ausprägungen bis ins 19. Jahrhundert gehalten hat. Und keineswegs möchte ich hier die grundsätzliche Relevanz repräsentationskritischer Arbeiten hinterfragen. Aber was mir in der Debatte um die Zukunft der Fotografie und vor allem des Fotojournalismus fehlt, ist ein praktikabler Konsens darüber, wie und mit welchen Bildern kommuniziert werden kann, um darüber einen Informationsaustausch und letztlich demokratische Teilhabe und Willensbildung zu ermöglichen. Ich bin der Meinung, dass dies nur möglich ist, wenn es einen – von mir aus eher konservativ oder klassisch betitelten – Kanon von klar kommunizierten Regeln gibt, auf den sich Produzent*innen, Redakteur*innen wie Konsument*innen berufen können.

Die Zukunft des Fotojournalismus

Was bedeutet dies nun für die Praxis? Grundsätzlich müsste beim Sprechen über Fotografie sehr viel stärker darauf geachtet werden, um welche Gebrauchsformen es geht und auf welche Veröffentlichungskontexte, Präsentationsformen und welches Publikum man sich bezieht. Während etwa bestimmte Debatten wie Praktiken innerhalb der Kunst Sinn machen können, mögen Sie im Journalismus eher fragwürdig oder gar absurd erscheinen. Im Journalismus erscheint es notwendig, sehr viel stärker als bisher die Visualisierungspraxis ob ihrer Ziele zu hinterfragen und stärker auf eine inhalts- anstatt visualisierungsbezogene Bebilderung zu drängen. Wir müssen nicht visueller werden, wie es immer wieder gefordert wird, sondern die Visualisierungspraxis im Journalismus stärker an der Frage ausrichten, was, warum wie dargestellt werden soll.

Während Begriffe wie „Visuelles Storytelling“ heute fast synonym im Journalismus wie in der PR benutzt werden, sollte es im zeitgenössischen Fotojournalismus darum gehen, klarere Grenzen zwischen den Feldern Journalismus, PR, Werbung und Kunst zu ziehen. Konkret würde dies etwa ein Verzicht auf PR-Bilder sowie Stockfotografien im redaktionellen Teil journalistischer Publikationen bedeuten. Dazu gehört auch eine Kennzeichnungspflicht von Bildmanipulationen, die Namensnennung von Fotograf*innen sowie ausführliche Bildunterschriften. Auch die Veröffentlichung von Meta-Daten – etwa Online durch Mouse-Over Effekte – ist denkbar. Unabdingbar erscheint mir auch, das Fotojournalist*innen und Redaktionen das eigene Handeln in der Produktion wie auch der Auswahl stärker transparent machen.

All das hat bedeutet nicht, zum naiven Glauben an die Wahrheit und die Objektivität der Fotografie zurückzukehren. Aber ich glaube, dass wir ebenso viel Zeit, wie wir für die Dekonstruktion der Fotografie und ihrer Praktiken verwenden, in die Frage investieren sollten, was sie KANN und wie sie im JOURNALISMUS funktionieren soll. Dabei ist es unabdingbar zu klären, welche Funktion der journalistischen Fotografie in Zukunft zukommen soll, um zu einer demokratischeren Gesellschaft beizutragen. Das Ziel muss dabei pragmatisch sein, wie es die Medienwissenschaftler Eva Schauerte und Sebastian Wehlken in einem Aufsatz zum Thema Faktizitäten schreiben: „Nicht der Beweis einer vor den Dingen liegenden, höheren Wahrheit, sondern eine fortwährende Handwerksarbeit zu Herausstellung und Nutzbarmachung des Faktischen“ ist anzustreben.

 

Der Aufsatz ist zuerst als Debattenbeitrag in der Zeitschrift Photonews (7/8 2020) erschienen.

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