Frauen im Journalismus weiter unterrepräsentiert

24. April 2024 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Jährlich analysiert das Reuters Institut im Rahmen der Langzeitstudie „Women and leadership in the news media“ die Geschlechterverteilung unter Top-Redakteur: innen. Die aktuelle Erhebung zeigt, dass es auch 2024 weltweit keine Geschlechterparität in journalistischen Führungsetagen gibt – auch nicht in Deutschland. Hier sind vor allem Frauen im Sportjournalismus betroffen.

Laut dem Factsheet zur diesjährigen Studie wurden zehn führende Online-Nachrichtenagenturen und zehn führende Offline-Nachrichtenagenturen in 12 verschiedenen Märkten betrachtet. Dazu gehören beispielsweise die Huff Post UK oder das ZDF.Die Analyse zeigt vor allem eins: weibliche Redakteurinnen sind in den Nachrichtenmedien unterrepräsentiert. Im Durchschnitt sind 40 Prozent der Redakteur: innen und nur 24 Prozent der Top-Redakteur: innen weiblich.

Prozentsatz weiblicher Top-Redakteurinnen in den untersuchten Märkten seit 2020

Abbildung aus: Reuters Institut (2024). „Women and leadership in the news media 2024: Evidence from 12 markets”. https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/women-and-leadership-news-media-2024-evidence-12-markets#header--2

Abbildung aus: Reuters Institut (2024). „Women and leadership in the news media 2024: Evidence from 12 markets”. https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/women-and-leadership-news-media-2024-evidence-12-markets#header–2

Die Mehrheit der Top-Redakteure ist also männlich – auch in den Ländern, in denen mehr Frauen als Männer journalistisch tätig sind. Der Anteil von Frauen in leitenden redaktionellen Positionen ist dabei von Markt zu Markt sehr unterschiedlich. Das reicht von 0 Prozent in Japan bis 43 Prozent in den USA. Bei einer gleichmäßigen Entwicklung geht das Reuters Institute davon aus, dass 2074 eine Geschlechterparität in den redaktionellen Führungsetagen erreicht werden könnte.

Situation in Deutschland ähnlich schlecht

Auch in Deutschland geht es nur langsam voran. Das zeigen zumindest Studien des Vereins ProQuote e.V., der sich für Geschlechterparität in den deutschen Medien einsetzt. Im Februar 2024 lag der sogenannte Frauenmachtanteil der neun ausgewerteten Print- und Online-Leitmedien lediglich bei 39,5 Prozent.

Frauenmachtanteil

Ohne die taz, die sich mit einem Frauenmachtanteil von 65,1 Prozent an der Spitze befindet, läge dieser sogar nur bei 36,9 Prozent. Vor allem Focus, Welt und FAZ sind weiterhin männlich dominiert. Bei der Frankfurter Allgemeinen ist nach wie vor keine Frau oberhalb der Ressortleitungsebene vertreten. Edith Heitkämper aus dem ProQuote Vorstand merkt dazu an : „Ein Drittel ist zu wenig! Von echter Gleichberechtigung sind wir in den Leitmedien noch weit entfernt. Einige Medien scheinen es sich in den unteren Rängen unserer Zählung gemütlich eingerichtet zu haben – offenbar haben Focus, Welt oder FAZ keine Ambitionen, mehr Frauen in Verantwortung zu nehmen. Das ist sehr bedauerlich“.

RangRedaktionGewichteter FrauenmachtanteilVeränderung zu Juli 2023
(in Prozentpunkten)
Rang im Juli 2023
1.taz65,1%↓ – 1,61.
2.Süddeutsche44,8%↓ – 0,62.
3.Spiegel44,3%↑ + 0,94.
4.Stern42,1%↓ – 2,13.
5.Zeit42,1%↑ + 0,55.
6.Bild36,9%↑ + 5,26.
7.Focus30,0%↓ – 0,87.
8.Welt26,4%↑ + 0,58.
9.FAZ23,9%       0 %9.

Quelle: ProQuote (29.02.2024). Frauenmachtanteile in den Leitmedien: Leitmedien bleiben im Ungleichgewicht. https://www.pro-quote.de/leitmedien_bleiben_im_ungleichgewicht

Im Rundfunk sehen die Zahlen nicht besser aus. Mit dem Titel „Welchen Anteil haben Frauen an der publizistischen Macht in Deutschland“, hat ProQuote e.V. die Geschlechterverteilung in journalistischen Führungspositionen im Rundfunk untersucht. Die Werte berufen sich auf das Jahr 2021.

Der Frauenanteil ist in journalistischen Führungspositionen seit 2019 zwar gestiegen. Trotzdem erreichen nur der RBB (57,4 Prozent), sowie die Deutsche Welle (50,8 Prozent im Bereich der Programm- und Redaktionsverantwortung einen Frauenanteil von über 50 Prozent. Grundsätzlich erreichen aber fast alle öffentlich-rechtlichen Sender einen Frauenanteil von mindestens 40 Prozent. Der HR fällt mit 29,4 Prozent, sowie der SR mit 36,1 Prozent aus dem Muster heraus.

Frauenanteile in Belegschaft und Führung der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- Anstalten in Prozent

Abbildung aus: ProQuote (29.02.2024). Frauenmachtanteile in den Leitmedien: Leitmedien bleiben im Ungleichgewicht. https://www.pro-quote.de/leitmedien_bleiben_im_ungleichgewicht/

Aufgrund fehlender Daten können für den privaten Rundfunk keine vergleichbaren Aussagen getroffen werden. Aus öffentlichen Informationen lässt sich aber erschließen, dass der Anteil der Frauen in Führungsposition von der RTL-Mediengruppe nach der Fusion mit Gruner+Jahr weiter gesunken ist. Im „programmrelevanten Top-Management“ kommt das Unternehmen lediglich auf einen Frauenanteil von 13,8 Prozent.

Und was macht der journalistische Nachwuchs?

Mit Ausnahme von RBB, MDR und SWR bilden die öffentlich-rechtlichen Sender und die Deutsche Welle mehr Frauen als Männer aus. 2021 waren knapp 63 Prozent der Volontär: innen weiblich. Während der BR mit 83,3 Prozent Spitzenreiter ist, bildet der RBB mit 43,8 Prozent das Schlusslicht. Im Verhältnis zu den Frauen in Führungspositionen schneidet der MDR mit einer Diskrepanz von 1,7 Prozent am besten ab. Kurz darauf folgt der SWR mit 6 Prozent. Die größte Differenz zeigten 2021 der BR (39,8 Prozent) und der HR (37,3) Prozent auf.

Frauenanteile in journalistischem Nachwuchs und Führung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und der Deutschen Welle in Prozent

*Da der RBB seine Volontär: innen an der electronic media school (ems9 ausbilden lässt, wurde hier der Jahrgang der ems ausgewertet
Abbildung aus: ProQuote (29.02.2024). Frauenmachtanteile in den Leitmedien: Leitmedien bleiben im Ungleichgewicht. https://www.pro-quote.de/leitmedien_bleiben_im_ungleichgewicht/

Die Ausbildung für die Mediengruppe RTL übernimmt die RTL Journalistenschule. Laut Angaben des Unternehmens begannen dort 2021 16 Frauen und 14 Männer ihre Ausbildung, was einem Frauenanteil von 53 Prozent entspricht. Bei ProSiebenSat.1 Media war dieser Anteil mit 68,4 Prozent um einiges höher.

Sportredaktionen bleiben Sorgenkind

Laut einer Studie von Michael Schaffrath (2020) liegt der Anteil von Sportjournalistinnen bei 10 bis 15 Prozent. Dieser geringe Anteil zeigt sich auch in den Führungspositionen. Nur vier der 12 öffentlich-rechtlichen Sportredaktionen, inklusive der Deutschen Welle, werden von Frauen geleitet. Das entspricht 33,3 Prozent. Bei den Privatsendern, wozu ProQuote RTL, Seven.One.Sports und Sat.1, Eurosport, Sport1, sowie Amazon und DAZN gezählt hat, leitet keine einzige Frau eine Sportredaktion.

Laut eigenen Angaben des WDRs besteht das Sportleitungsteam aus vier Männern, das Redaktionsteam aus 30 Männern und acht Frauen (21,1 Prozent). Als freie Mitarbeiter: innen sind 17 Männer und 10 Frauen (37 Prozent) im Sport tätig. Beim SWR sind von 80 Mitarbeiter: innen der Hauptredaktion Sport 29 weiblich. Das entspricht 23,2 Prozent. Mit Julia Metzner hat der SWR auch die bisher einzige Frau, die eine große Fußballshow samstagsnachmittags allein im Radio moderiert, so der SWR-Sportleiter Harald Dietz.

Der Programmeinfluss von Sportjournalistinnen ist dementsprechend begrenzt. Der Blick in der Berichterstattung ist weitestgehend männlich. Themen, die Frauen für interessant seien könnten, werden nicht umgesetzt, da am Ende noch deutlich mehr Männer mitentscheiden, erzählt NDR-Sportjournalistin und -moderatorin Valeska Homburg. Das häufig angebrachte Argument, Themen wie Frauenfußball ließen die Einschaltquoten sinken, lässt Homburg nicht gelten: ‚Wenn wir über diese Sportlerinnen nicht berichten, wie sollen sich die Menschen denn dann für sie interessieren?‘“.

Fehlt es den Frauen lediglich das Selbstbewusstsein?

Ein weiterer problematischer Aspekt ist laut Sportjournalistinnen auch, dass sich Frauen medial nicht gerne exponieren. Astrid Rawohl, Sport-Ressortleiterin beim Deutschlandfunk sagte auf einer Sportkonferenz des DLF und des Journalistinnenbundes Ende 2021: „Bei den täglichen Anfragen stellen wir fest: Es gibt kaum Expertinnen, die sich auf die Bühne trauen, es gibt kaum Interviewpartnerinnen, kaum Referentinnen, viele Autorinnen sind eher zurückhaltend”. Die Ursachen dafür sind vielschichtig. Die ZDF-Sportjournalistin Claudia Neumann erklärt gegenüber ProQuote, dass sie gerade online sexistischen Kommentaren ausgesetzt sei. Das Frauen vermehrt in Sportredaktionen eingestellt werden müssen, erkennen mittlerweile aber mehr und mehr Medienhäuser. Auch laufen mehr Bewerbungen von Frauen ein. Für die Zukunft „bewertet Valeska Homburg vor allem die Ebene des mittleren Managements als entscheidend: ‚Frauen sollten in Positionen kommen, wo tägliche Entscheidungen getroffen werden: Über welche Themen berichten wir? Auf welche Art und Weise berichten wir? Welche Gäste laden wir in unsere Sendung ein?‘“ Nur so könne eine weibliche Perspektive im Sportjournalismus etabliert werden.

Grundsätzlich stellt aber die Vereinbarkeit von dem Beruf als Sportjournalistin und einer Familie eine Herausforderung dar. Denn gerade im Sport muss regelmäßig am Abend oder Wochenende gearbeitet werden. Innerhalb einer Umfrage von Michael Schaffrath (2020) gaben 62,9 Prozent der 143 Sportjournalistinnen die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, als Grund für die geringe Anzahl an Sportjournalistinnen an.

Oft wird als Tipp gegeben, dass Frauen mehr zu sich und ihren Fähigkeiten und Potenzialen stehen müssen. Dennoch brauchen sie überhaupt die Chance, eingestellt zu werden. Ob ein Mediengesetz zur gerechten Geschlechterverteilung beitragen kann, diskutiert EJO-Autorin Pauline Wörsdörfer in ihrem Artikel „Braucht es extra Mediengesetze zur gerechten Geschlechterverteilung – eine weltweite Studie“. Sicher ist auf jeden Fall, dass mehr Frauen nicht zum Nachteil von Männern wären. „Es zeigt sich in der Forschung, dass eine geschlechtergemischte Besetzung der Präsidien vorteilhaft ist für eine Organisation“, erzählt Sportsoziologin Ilse Hartmann-Tews auf der DLF-Sportkonferenz 2021. Und das gilt nicht nur für den Sport, sondern für den ganzen Journalismus.

 

Factsheet des Reuters Instituts „Women and leadership in the news media 2024: Evidence from 12 markets”:  https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/women-and-leadership-news-media-2024-evidence-12-markets#header–2

ProQuote über die Frauenmachtanteile im Februar 2024: https://www.pro-quote.de/leitmedien_bleiben_im_ungleichgewicht/

ProQuote-Studie „Welchen Anteil haben Frauen an der publizistischen Macht in Deutschland? Eine Studie zur Geschlechterverteilung in journalistischen Führungspositionen. Rundfunk 2021“: https://www.pro-quote.de/wp-content/uploads/2022/04/ProQuote_Medien_Monitoring-Rundfunk21-online26_4_22.pdf

Studie von Michael Schaffrath zur Berufszufriedenheit und Rollenselbstverständnis von Sportjournalistinnen: https://openjournals.hs-hannover.de/ jskms/article/view/158/177

Sportkonferenz des DLF und des Journalistinnenbundes am 18.11.2021:https://www.deutschlandfunk.de/9- sportkonferenz-im-deutschlandfunk-raus-aus-der-100.html und https://www.youtube.com/watch?v=aed

 

 

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