Freie im Lokalen: Senior-Quereinsteiger sind größte Gruppe

8. Dezember 2020 • Forschung aus 1. Hand, Qualität & Ethik • von

Erste Befunde einer Studie zu freien Mitarbeiter*innen lokaler Tageszeitungen zeigen, dass die Gruppe an freiberuflich Tätigen heterogen ist: Es gibt junge und alte Mitarbeiter*innen, haupt- und nebenberufliche Akteure, Gutverdienende und solche, für die die Einkünfte aus dem Lokaljournalismus nur ein zusätzliches Taschengeld darstellen. Welche Typen von lokalen Freien lassen sich auf der Basis der empirischen Befragungsdaten, die im Rahmen eines DFG-Projekts am Institut für Journalistik der TU Dortmund erhoben wurden, ermitteln? Und wie unterscheiden sich diese Typen von Freien hinsichtlich ihrer Tätigkeiten und Themenschwerpunkte?

Bisherige Forschungsarbeiten haben verschiedene Kriterien angewandt, um freie journalistische Mitarbeiter*innen zu differenzieren, typische formale Unterscheidungen erfolgen zwischen haupt- und nebenberuflichen Akteuren (Steindl et al. 2018), zwischen „Profis und Hobbyschreibern“ (Puls 2013) oder zwischen Freien, Fest-Freien und Pauschalisten (Meyen & Springer 2009). Hinzu kommen inhaltliche Typisierungen, z. B. nach der Motivation der Freien (Moenikes 2001), ihrer Eigeninitiative zur Mitarbeit (Koller 1981), ihrer lokalen Integration (Herrmann 1993) oder ihrer Erfahrung als Freie (Rinsdorf & Theiss 2020).

Fünf Typen freier Mitarbeiter*innen im Lokalen

In der hier vorgestellten Auswertung wird auf Basis einer quantitativen Online-Befragung von Freien in Lokalredaktionen von Tageszeitungen und ihren Onlineablegern  eine Clusteranalyse vorgestellt. Dabei finden vier clusterbildende Merkmale Berücksichtigung, die auf grundlegenden persönlichen und beruflichen Merkmalen der Freien beruhen: Alter, journalistische Ausbildung (Volontariat: ja/nein), Haupttätigkeit (journalistische Haupttätigkeit: ja/nein) sowie die durchschnittliche Stundenzahl (vor Corona), die sie in der Lokalredaktion mitarbeiten, für die sie schwerpunktmäßig tätig sind. In einer Two-Step-Clusteranalyse [1] (gute Clusterqualität), die auf den vollständigen Daten von n = 456 Befragten beruht, lassen sich fünf Typen freier Mitarbeiter*innen im Lokalen identifizieren (Tab. 1).

Sie werden nachfolgend mit weiteren beschreibenden persönlichen und beruflichen Merkmalen (z. B. Geschlecht, Einkünfte aus freier Mitarbeit) vorgestellt. Die Bezeichnungen der Typen orientieren sich an den Cluster-Merkmalen – die Bezeichnung Journalist*in drückt aus, dass es sich um Freie mit Volontariat handelt, als Quereinsteiger*innen werden all jene betitelt, die kein Volontariat absolviert haben.

Tab. 1: Fünf Typen freier Mitarbeiter*innen im Lokalen

Die größte Gruppe im Sample stellen die Senior-Quereinsteiger*innen (4) dar, die etwa anderthalb Tage pro Woche in der Lokalredaktion, für die sie schwerpunktmäßig arbeiten, journalistisch tätig sind. Sie sind im Durchschnitt 64 Jahre alt und stellen damit die älteste Gruppe, sind nebentätig journalistisch aktiv und haben kein Volontariat absolviert. Detailanalysen zeigen, dass sich hierunter in erster Linie Rentnerinnen und Pensionäre (58%), aber auch Erwerbstätige mit nicht-journalistischen Hauptberufen finden (32%); fast zwei Drittel der Akteure dieses Typus sind männlich. Sie verdienen im Mittel 496 Euro monatlich bei der konkreten Zeitung (Median: 375 Euro; vor Corona); mehr als jede*r Zweite ist auch für ein anderes journalistisches Medium tätig.

Deutlich davon zu unterscheiden sind die Profi-Journalist*innen (1), zu denen in dieser Stichprobe jede*r zehnte Freie zählt: Die im Schnitt 46-jährigen Akteure sind hauptberufliche Journalist*innen mit abgeschlossenem Volontariat, die rund 22 Stunden pro Woche für die zentrale Lokalredaktion arbeiten. Hierunter finden sich zu zwei Drittel Frauen, die im Mittel monatliche Einkünfte von 1.542 Euro (Median: 1.250 Euro; vor Corona) bei der konkreten Zeitung erzielen. Fast acht von zehn dieser Akteure arbeiten auch für andere journalistische Angebote.

Dieser Gruppe sehr ähnlich sind die durchschnittlich 51-jährigen Profi-Quereinsteiger*innen (2), die hauptberuflich im Journalismus arbeiten und die im Typenvergleich die höchste Wochenstundenzahl leisten. Sie unterscheiden sich aber in einem wichtigen Merkmal von den Profi-Journalist*innen: Sie haben kein Volontariat absolviert. Jede*r fünfte Befragte gehört zu diesem Typus, dem sich ähnlich viele Männer wie Frauen zuordnen lassen. Diese Akteure sind zu 84 Prozent auch für andere journalistische Medien tätig und generieren – trotz des etwas höheren Arbeitsumfangs – im Mittel etwas geringere Einkünfte bei der konkreten Zeitung (1.428 Euro; Median: 1.250 Euro; vor Corona) als die Profi-Journalist*innen.

In der Stichprobe lässt sich als vierter Typ die kleinere Gruppe der Nebenbei-Journalist*innen (5) finden, die quasi das Gegenteil der Profi-Quereinsteiger*innen darstellt: Die im Schnitt 60-jährigen Freien sind volontierte Journalist*innen und arbeiten nebenberuflich im Journalismus; für die konkrete Lokalausgabe sind sie im Schnitt weniger als zwei Arbeitstage pro Woche tätig. Dieser Typ umfasst hauptsächlich Rentner und Pensionär*innen (55%), aber auch Erwerbstätige mit anderen Hauptberufen (29%) sowie einige wenige Akteure, die als Hausmann oder Versorgerin von Angehörigen (10%) aktiv sind. Die Akteure, die zu 60 Prozent weiblich und zu 70 Prozent auch für andere Medien tätig sind, erzielen bei der konkreten Zeitung im Schnitt monatliche Einkünfte von 660 Euro (Median: 375 Euro; vor Corona).

Das geringste Durchschnittsalter und den geringsten Arbeitsumfang haben im Vergleich die jungen Quereinsteiger*innen (3), die allesamt nebenberuflich für die Lokalredaktion arbeiten und (noch) kein Volontariat absolviert haben. In dieser Gruppe finden sich in erster Linie Studierende (58%) sowie junge Berufstätige (32%), von denen 61 Prozent weiblich sind. Die jungen Quereinsteiger*innen verdienen im Schnitt nur 260 Euro pro Monat bei der konkreten Zeitung (Median: 175 Euro; vor Corona) und damit im Typenvergleich am wenigsten; jede*r Zweite arbeitet für weitere journalistische Angebote.

Tätigkeiten der Typen von Freien im Lokalen

Die Daten des Gesamtsamples zeigen, dass fast alle lokalen Freien klassische Reporter-Aufgaben übernehmen (z. B. Termine besuchen und darüber berichten, eigene Beiträge bebildern). Darüber hinaus gibt es jedoch weitere Redaktionsaufgaben, die nur manche freiberuflichen Akteure erledigen (z. B. Zeitungsseiten produzieren, Kontakte pflegen, Elemente für den Online-Auftritt liefern). Lassen sich hier Tätigkeitsschwerpunkte der einzelnen Typen von Freien identifizieren?

Die Ergebnisse zeigen, dass bei der Terminberichterstattung und der Bebilderung eigener Beiträge tatsächlich kaum Typenunterschiede zu erkennen sind – anders als bei der reinen Fotografie-Tätigkeit, die am häufigsten die Profi-Quereinsteiger*innen (43%) und am seltensten die Profi-Journalist*innen (21%) übernehmen. Unterschiede zeigen sich auch bei der Recherche eigener Themen, die im Schnitt in den Aufgabenbereich von mehr als acht von zehn Freien fällt [[2]]: Während fast alle Profi-Journalist*innen (98%) und Profi-Quereinsteiger*innen (94%) auch Beiträge erstellen, die nicht auf einen Termin oder eine Veranstaltung zurückgehen, werden in diesem Tätigkeitsfeld 86 Prozent der Nebenbei-Journalist*innen und nur 77 Prozent der jungen Quereinsteiger*innen und 73 Prozent der Senior-Quereinsteiger*innen aktiv.

Die Studienergebnisse unterstreichen weiter, dass Freie im Lokalen partiell auch als Informationsquellen tätig sind. Hier zeigen sich klare Typenunterschiede (Abb. 1): Es sind insbesondere die Profi-Quereinsteiger*innen und Senior-Quereinsteiger*innen, die Kontakte, z. B. zu Feuerwehr und Polizei, pflegen und abtelefonieren. Demgegenüber ist es die Domäne der Nebenbei-Journalist*innen (79%), die Redaktion über Neuigkeiten im lokalen Verbreitungsgebiet zu informieren. Diese Tätigkeit sowie die Aufgabe, für ein bestimmtes Gebiet oder Thema im Verbreitungsgebiet zuständig zu sein, wird im Vergleich am seltensten von den jungen Quereinsteiger*innen übernommen.

Abb. 1: Häufigkeiten der Freien, die die Tätigkeiten ‚Kontakte abtelefonieren‘, ‚über Neuigkeiten informieren‘ und ‚Zuständigkeit für Gebiet/Thema‘ übernehmen, in Prozent, differenziert nach Typen von Freien / größere Ansicht durch Klick auf die Grafik

Editoren-Aufgaben fallen insgesamt relativ selten in den Aufgabenbereich lokaler freier Mitarbeiter*innen. Deutlich am häufigsten sind es die Profi-Journalist*innen, die Zeitungsseiten produzieren, Dienste übernehmen und Texte redigieren (Abb. 2); es folgen mit Abstand die Profi-Quereinsteiger*innen und Nebenbei-Journalist*innen. Editoren-Aufgaben werden dagegen kaum von den Senior-Quereinsteiger*innen übernommen und nur partiell von den jungen Quereinsteiger*innen.

Darüber hinaus gibt es weitere Aufgaben, bei denen sich, wenn auch geringe, Typenunterschiede zeigen – so etwa beim Zuliefern onlinespezifischer Elemente; am seltensten übernehmen diese Aufgabe mit 17 Prozent die Nebenbei-Journalist*innen. Sie sind dagegen im Vergleich am häufigsten (48%) dafür zuständig, der Redaktion stichpunktartig Informationen zu übermitteln, ohne einen Beitrag zu verfassen; bei den übrigen Typen übernimmt diese Aufgabe jede*r Dritte bis Vierte. Das direkte Verschicken („live“) von kurzen Texten, Fotos oder Videos an die Redaktion bei einer Veranstaltung oder einem Termin übernehmen zwischen 52 Prozent (Senior-Quereinsteiger*innen) und 36 Prozent (Profi-Journalist*innen) der Freien; Veranstaltungsübersichten stellen wiederum vorrangig die Profi-Quereinsteiger*innen und jungen Quereinsteiger*innen (je 28%) zusammen.

Abb. 2: Häufigkeiten der Freien, die die Tätigkeiten ‚Zeitungsseiten produzieren‘, ‚Dienste übernehmen‘ und ‚Texte redigieren‘ übernehmen, in Prozent, differenziert nach Typen von lokalen Freien

Profi-Journalist*innen berichten vielfach über politische Themen

Thematisch berichten die Freien im Lokalen am meisten über (a) Vereine, Verbände und Feste, (b) Politik sowie (c) Kultur. Diese Themen werden von den fünf Typen unterschiedlich abgedeckt (Abb. 3): Eine große Zahl an Profi-Journalist*innen beschäftigt sich am intensivsten mit politischen Themen (45%); die Profi-Quereinsteiger*innen legen ihren Fokus auf Politik (27%), Soziales (20%) oder Vereine, Verbände und Feste (20%). Dieses Thema steht auch bei vielen Akteuren der jungen Quereinsteiger*innen (31%) und Senior-Quereinsteiger*innen (32%) im Mittelpunkt der Berichterstattung; beide Gruppen weisen darüber hinaus ähnliche Schwerpunkte bei Kulturthemen auf (je 21%). Kultur bildet auch den Themenschwerpunkt vieler Nebenbei-Journalist*innen (26%); auch Ereignisse aus den Feldern Politik (21%) und Vereine, Verbände und Feste (21%) stehen bei Akteuren dieser Gruppe im Fokus.

Abb. 3: Themenschwerpunkte der Freien in Prozent, differenziert nach Typen von lokalen Freien

Die Ergebnisse dieser Auswertungen zeigen, dass sich auf statistischer Basis fünf Typen von Freien erkennen lassen. Sie unterscheiden sich nicht nur in ihren persönlichen und beruflichen Merkmalen, sondern weisen auch mit Blick auf ihre Tätigkeiten und Themenschwerpunkte Differenzen auf: Bei den Profi-Journalist*innen bewirkt offensichtlich die journalistische Ausbildung und Hauptberuflichkeit mit hohem Tätigkeitsumfang für die konkrete Lokalredaktion, dass sie vielfältige Tätigkeiten übernehmen (z. B. Editoren-Aufgaben, eigene Recherchen) und sich häufig der Lokalpolitik als Schwerpunkt widmen. Auch bei den Profi-Quereinsteiger*innen macht sich der Umfang der Wochenstunden in den Tätigkeiten bemerkbar: Auffällig ist, dass sie im Typenvergleich häufig spezifische Aufgaben in der Redaktion übernehmen (z. B. reine Fotografie-Tätigkeit, Kontakte abtelefonieren); sie widmen sich dabei unterschiedlichen Themengebieten. Die Nebenbei-Journalist*innen, die ein Volontariat absolviert haben, sind im Vergleich am aktivsten als Informanten der Redaktion über Neuigkeiten im lokalen Verbreitungsgebiet und der stichpunktartigen Übermittlung von Informationen. Es ist zu vermuten, dass sie – bei einem mittleren Tätigkeitsumfang – vor allem ihre lokalen Kenntnisse als frühere Journalist*innen einbringen.

Die Senior-Quereinsteiger*innen und jungen Quereinsteiger*innen ähneln sich vielfach: Sie haben kein Volontariat absolviert und arbeiten mit relativ geringen Umfängen nebenberuflich im Lokalen. In beiden Gruppen wird seltener eigenständig recherchiert als bei den übrigen Typen; Kultur- oder Vereinsthemen bilden häufig die thematischen Schwerpunkte. Während jedoch die jungen Quereinsteiger*innen zumindest partiell Dienste übernehmen, sind es die Senior-Quereinsteiger*innen, die bei der Kontaktpflege vergleichsweise aktiv sind.

Die hier vorgestellten Typen lokaler freier Mitarbeiter*innen beruhen auf clusterbildenden und -beschreibenden Merkmalen und verdeutlichen, dass die freien Akteure in Lokalredaktionen vielfältiger sind als es bisherige basale Unterscheidungen annehmen lassen. Die Befunde ermöglichen bei weiteren Analysen und Diskussionen eine differenziertere Betrachtung freier Mitarbeiter*innen im Lokalen.

 

[1] Distanzmaß: Log-Likelihood, Cluster-Kriterium: Schwarz-Bayes-Kriterium (BIC), automatische Ermittlung der Anzahl der Cluster

 

Quellen:

Herrmann, Carolin (1993): Im Dienste der örtlichen Lebenswelt. Lokale Presse im ländlichen Raum. Opladen: Westdt. Verlag.

Koller, Barbara (1981): Lokalredaktion und Autonomie. Eine Untersuchung in Außenredaktionen regionaler Tageszeitungen. Nürnberg: Verlag der Nürnberger Forschungsvereinigung.

Meyen, Michael; Springer, Nina (2009): Freie Journalisten in Deutschland. Ein Report. Konstanz: UVK.

Moenikes, Manuela (2001): Hobby: Journalist. Freie Mitarbeiter in lokalen Tageszeitungen. Wiesbaden: Westdt. Verl.

Puls, Manuela (2013): Von Profis und Hobbyschreibern. Freie Journalisten in Deutschland. In: Pöttker, Horst; Vehmeier, Anke (Hrsg.): Das verkannte Ressort. Probleme und Perspektiven des Lokaljournalismus. Wiesbaden: Springer VS, S. 27-38.

Rinsdorf, Lars; Theiss, Laura (2020): Leidenschaftliche Amateur*innen oder kühle Profis. Zum Integrationspotenzial freier Mitarbeiter*innen lokaler Tageszeitungen. In: Gehrau, Volker; Waldherr, Annie; Scholl, Armin (Hrsg.): Integration durch Kommunikation. Jahrbuch der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 2019. Münster: Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft e. V., S. 57-67. https://doi.org/10.21241/ssoar.66416

Steindl, Nina; Lauerer, Corinna; Hanitzsch, Thomas (2018): „Die Zukunft ist frei!“ Eine Bestandsaufnahme des freien Journalismus in Deutschland. In: Journalistik. Zeitschrift für Journalismusforschung 1(1), S. 47-59.

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