Für mehr Kooperationsbereitschaft und Empathievermögen

3. März 2021 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

In der neuen Studie „Männerdomäne Regionalpresse: Wo bleiben die Führungsfrauen?“ von ProQuote Medien geht es um die Frage, warum in deutschen Lokal- und Regionalzeitungen so wenige Frauen in Führungspositionen kommen und wie man das ändern könnte.

Gewachsene Strukturen, geschlossene Systeme, schlechte Vereinbarkeit von Karriere und Familie, Führungskultur, Sexismus, Defizite in der Personalentwicklung, fehlende Förderprogramme und der aktuell herrschende Sparzwang sind laut der Studie „Männerdomäne Regionalpresse: Wo bleiben die Führungsfrauen?“ die Gründe, warum die deutsche Regionalpresse so schlecht bei der Gleichstellung von Frauen und Männern in Führungspositionen abschneidet.

Für seine qualitative Studie hat der gemeinnützige Verein ProQuote Medien 16 teilstrukturierte Leitfadeninterviews mit Journalistinnen von Lokal- und Regionalzeitungen aus ganz Deutschland geführt – von der Berufsanfängerin bis zur Chefredakteurin. Die Autorinnen der Studie, Anna von Garmissen und Hanna Biresch, weisen darauf hin, dass die Befragten sowohl bei großen, auflagenstarken Regionalzeitungen als auch bei Lokalzeitungen mit geringen Auflagen und kleinen Verbreitungsgebieten arbeiten. Finanziell unterstützt wurde die Studie durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

In zwei quantitativen Studien aus den Jahren 2018 und 2019 hatte der Verein die Beteiligung von Frauen an der publizistischen Macht in Deutschland analysiert: Während für die Publikumszeitschriften ein Frauenmachtanteil von knapp 50 Prozent und für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein Anteil von rund 38 Prozent ermittelt wurden, betrug er in allen anderen Mediengattungen nicht einmal ein Drittel. Regional- und Lokalzeitungen schnitten dabei besonders schlecht ab. Hier waren Frauen nur zu etwas über 10 Prozent in Führungspositionen tätig.

Gewachsene Strukturen und geschlossene Systeme

Laut der Studie sind regionale und lokale Zeitungsredaktionen häufig familiengeführte Unternehmen mit generationenübergreifender Tradition. Das bewirke „offenbar ein hartnäckigeres Verharren in gewachsenen, männlich dominierten Strukturen als in jüngeren Mediengattungen“. Die interviewten Journalistinnen sprachen unter anderem von einem „Altherrengeschäft“ und von „engen Banden zwischen alten weißen Männern“. Auch das ländliche Umfeld vieler Redaktionen trage zum Verharren in männlich dominierten Strukturen bei; eine Interviewpartnerin sagte, dass sie das Gefühl habe, dass Feminismus in der Stadt viel präsenter sei als im Ländlichen.

Neun der 16 interviewten Journalistinnen sagten, dass Frauen gar nicht erst wahrgenommen oder in Betracht gezogen würden, wenn es um die Vergabe von Führungspositionen geht. „Ich glaube, dass es für Männer in leitenden Positionen oft bequemer ist, sich weitere Männer in ihren Kosmos zu holen, weil man die gleiche Sprache spricht, gleiche Interessen hat und ähnlich sozialisiert ist. Gleich und gleich gesellt sich gern“, sagte eine der Befragten.

Schlechte Vereinbarkeit von Karriere und Familie

Auf Führungsebene von tagesaktuellen Printredaktionen fehle es an flexiblen Arbeitsmodellen vor allem für Journalistinnen mit Kindern, so ein Ergebnis der Studie. 13 der 16 Interviewpartnerinnen halten diesen Bereich für ausbaubedürftig. Elf der 16 Befragten gaben an, dass die Arbeitszeiten nicht familienfreundlich seien. Die Abhängigkeit von aktuellen Ereignissen macht eine Planbarkeit im Journalismus zwar ohnehin unmöglich, wechselnde Schichtdienste bis in die Abendstunden seien dabei jedoch noch eine zusätzliche Belastung. Auch Journalistinnen, die im redaktionellen Mittelbau tätig seien, hätten Schwierigkeiten, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren.

Außerdem seien in vielen Redaktionen noch bis vor kurzem die Präsenzkultur und ständige Verfügbarkeit großgeschrieben worden. Die Corona-Pandemie habe diesbezüglich einen Wandel herbeigeführt. Neun der interviewten Journalistinnen sagten, dass sie „seither erstmals die Möglichkeit haben, von zu Hause aus zu arbeiten“.

Aber erst mit der Schaffung neuer Arbeitsmodelle könne Frauen mit Kindern ermöglicht werden, Karriere zu machen. Sowohl die interviewten Journalistinnen als auch das Autorinnenteam plädieren dafür, „Führungspositionen jenseits der typischen Vollzeitstelle“ zu schaffen, denkbar wären geteilte Ressortleitungen, Doppelspitzen oder 80-Prozent-Stellen.

Führungskultur

Die Führungskultur innerhalb einer Redaktion spiele, so ein weiteres Ergebnis der Studie, „eine bedeutende Rolle“ für die Karrierechancen der dort arbeitenden Journalistinnen. Insgesamt gab mehr als die Hälfte der Befragten an, dass sich die Führungskultur in ihrem Arbeitsumfeld gegenüber früheren Zeiten verbessert habe oder generell gut sei. Die Studienautorinnen bezeichnen dies als „begrüßenswerte positive Gesamtentwicklung“, betonen aber zugleich, dass es weiterhin zahlreiche Kritikpunkte gebe. Sie weisen darauf hin, dass mehrere Interviewpartnerinnen zwischen der Atmosphäre in ihrer direkten Umgebung und in den Führungsetagen unterschieden.

Die Aussage einer Interviewpartnerin verdeutlicht die Situation: „In meiner Redaktion fühle ich mich wohl, aber sobald es in höhere Ebenen geht, wird es anstrengend. Da gibt es diese typischen Situationen mit Männern, bei denen ich manchmal denke: ‚Gleich versucht er, mir zu erklären, wie der Computer angeht.‘ […] Ich würde mir eine sachliche, pragmatische Arbeit wünschen – kein Ausdiskutieren mit Männern, wer gerade auf welcher Hierarchieebene unterwegs ist.“

Alleingänge in Entscheidungssituationen, Geltungsdrang und Kontrollbedürfnis zählten zu den häufig beschriebenen Merkmalen, die die interviewten Journalistinnen mit männlicher Leitung assoziierten.

Sexismus

Laut eigenen Angaben ist knapp die Hälfte der Befragten schon einmal Sexismus ausgesetzt gewesen, vor allem in Form verbaler Übergriffe. Für eine Interviewpartnerin beginne Sexismus bereits, wenn Frauen gewisse Eigenschaften zugeschrieben werden, z.B. „charmant“. Einige Interviewpartnerinnen berichteten zudem, dass Frauen über andere Themen berichten würden als Männer. „Die Frauen bekommen eher diese weichen, sozialen Themen. Wirtschaft und Politik geht an die Männer“, sagte eine Interviewpartnerin. Das Autorinnenteam gibt die Empfehlung, dass beim Thema Sexismus „eine Nulltoleranzschwelle eingeführt werden“ solle; es müsse für Journalistinnen ausgewiesene Ansprechpersonen geben, an die sie sich vertrauensvoll wenden können.

Defizite in der Personalentwicklung und fehlende Frauenförderprogramme

Insbesondere in kleineren Redaktionen hängen Talentförderung und Personalentwicklung oft von persönlichen Neigungen und individuellem Engagement der Führungsverantwortlichen ab, heißt es in der Studie. Die Hälfte der befragten Journalistinnen betonte die Relevanz weiblicher Leitfiguren oder bedauerte, dass sie selbst kein weibliches Vorbild in ihrem Verlag hab     en.

Zehn von 16 Befragten sagten, dass ihre Zeitungshäuser keine Frauenförderung betreiben oder sie zumindest noch nie davon gehört haben und dass sie sich mehr Förderung wünschen, z.B. in Form von Mentoring oder Coaching. Scheinbar seien, so der Tenor, andere Probleme der Zeitungsbranche dringlicher, allen voran der große Spar- und Innovationsdruck.

Führungsverhalten eher eine Generationen- als Geschlechterfrage?

Die befragten Journalistinnen, die in Zeitungshäusern arbeiten, in denen Frauen Führungspositionen innehaben, fühlen sich, wie die Studie festhält, in ihrem Arbeitsumfeld mehr wertgeschätzt. So wird eine Journalistin zitiert, die vor kurzem eine weibliche Vorgesetzte bekommen hat:  „Ich habe das Gefühl, dass die Chefin sieht, was man sonst noch leistet, zum Beispiel als Eltern. Und das wurde bisher nicht gesehen. Da wurde erwartet, dass man noch Kapazität hat, auch mal am Abend bereitzustehen. Jetzt ist eine Wertschätzung dafür da, dass Familie auch eine Herausforderung ist und das alles auf die Reihe zu bekommen auch wirklich anstrengend ist.“

Im Allgemeinen wird der Stil von weiblichen Vorgesetzten von den Befragten mit Kooperationsbereitschaft, Empathievermögen und Sachorientiertheit verbunden.

Allerdings betonen auch sechs der interviewten Journalistinnen, dass sie Führungsverhalten „eher als Generationen- denn als Geschlechterfrage“ sehen – vor allem die „jüngere Generation von Männern“ kann ihrer Ansicht auch „fortschrittlich“ mit als typisch weiblich empfundenen Charakterzügen Mitarbeitende führen.

Neben der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen kommt auch das Thema Diversität in der Studie zur Sprache. Gelebte Diversität, so betonen die Studienautorinnen, müsse über die Frauen-Männer-Frage hinausgehen und Menschen der LGBTQ-Community sowie kulturelle und ethnische Hintergründe berücksichtigen. Auch die Interviewpartnerinnen wünschen sich mehr Vielfalt in Zeitungsredaktionen. Die Verantwortlichen, so eine Befragte, müssten ein Bewusstsein dafür haben, „dass Diversität wahnsinnig wichtig ist für gute Berichterstattung“.

Eine Studie der Neuen Deutschen Medienmacher aus dem Jahr 2020 zeigt, dass auch hier in deutschen Redaktionen noch viel Luft nach oben ist.

 

Bildquelle: pixabay.com 

 

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