Greta Thunberg, die Medien und das Klima

9. September 2019 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Viele Menschen vertrauen der Wissenschaft. Doch gerade bei einem politisierten Thema wie dem Klima geben Medien den Forschenden, die sich auf wissenschaftliche Befunde stützen, unverhältnismäßig viel weniger Raum als den Skeptikern, die einen bedrohlichen Klimawandel bezweifeln. Greta Thunberg und „Fridays for Future“ verschafft der Gegenposition Deutungskraft. Dies belegt, dass Medien diversen Meinungen mehr Gewicht geben müssen.

Die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg protestierte vergangenen Sommer zum ersten Mal mit ihrem „Schulstreik für das Klima“-Schild vor dem schwedischen Parlament. Seit 28. August 2019 berichtet sie in New York über die zur internationalen Kampagne gewachsene Initiative Fridays for Future (FFF). Für den 20. September 2019 ist ein weltweiter Klimastreik geplant. Das Institut für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin beteiligte sich an einer europaweiten Befragung dieser Klimaaktivisten. Ihre Befunde: direkte persönliche Kontakte und digitale soziale Medien mobilisierten am stärksten zum Mitmachen. Thunberg hat bei zwei von drei Befragten ein Interesse für das Thema Klima geweckt. Maßgeblich junge, gut gebildete Menschen tragen die FFF-Bewegung, der Anteil von Frauen ist hoch. Im europäischen Vergleich variiert zwar die demografische Zusammensetzung: Der Anteil der 14-19-Jährigen liegt in Österreich bei 38,3 Prozent, in Deutschland bei 51,5 Prozent – und in den Niederlanden bei einem Spitzenwert von 95,8 Prozent. Auch die Zuversicht, dass ihr Protest Veränderungen hervorruft, ist nicht überall gleich groß, aber präsent; sie sind handlungsbereit und politisiert.

Klima ist Topthema, die Rolle der Medien oft indifferent

Die mediale Aufmerksamkeit für die FFF-Bewegung ist weiterhin hoch, bestätigt die Berliner Studie. Anfangs ging es vor allem um die durch die Streiks verletzte Schulpflicht, ab März 2019 rückten inhaltliche Fragen ins Zentrum: Medien und Politik (die AfD ausgenommen) anerkannten den Klimawandel als bedrohlich. Die Protestierenden beriefen sich auf Klimaschutzexperten; diese formierten sich als „Scientists“ for Future“ und gaben der FFF-Bewegung Rückenwind. Veranstaltungen und Personen (Thunberg und die deutsche Protagonistin Luisa Neubauer) stehen heute im Mittelpunkt der Berichterstattung.

Was ohne diese Bewegung geworden wäre, ist nur Spekulation und nicht messbar. Dennoch lässt eine Studie eines kalifornischen Forscherteams (UC Merced) aufhorchen: In den USA gibt es bislang keine der FFF-Bewegung in der Resonanz vergleichbare Initiative. Es sind im Wesentlichen die Medien, die die Debatte organisieren. Und die geben offenbar Menschen, die das Klima nicht als bedroht betrachten und „gefühlte“ Positionen einnehmen, deutlich mehr Raum als Experten der Klimaforschung. Das Team untersuchte die digitalen Spuren von Klimaforschern und -leugnern in rund 200.000 Forschungspublikationen und 100.000 Artikeln in Digital- und Printmedien. Ihre Studie ist ein Weckruf an die Medien. Sie müssen Quellen noch besser prüfen, auch darauf, ob sie politisch motiviert Falschdarstellungen liefern, und den Blickwinkel erweitern, zum Beispiel indem sie weit öfter eine Erzählperspektive aus Sicht der Wissenschaft wählen.

Medien fördern Wissenschaft

Medien könnten durch eine wissenschaftsorientierte Perspektive zudem vom Vertrauen in die Wissenschaft profitieren. Eine Studie des Pew Research Centers in New York zeigt: Gegenwärtig wächst das Vertrauen der amerikanischen Bevölkerung in die Expertise der Forschung. Die Werte sind so hoch wie das Vertrauen ins Militär und deutlich höher als das Vertrauen in Medienleute, Wirtschaftsführer und gewählte Amtsträger. Aber es gibt Unterschiede je Parteilager: Den US-Republikanern nahestehende Menschen sind generell skeptischer gegenüber Wissenschaftlern als Demokraten – speziell bei Forschung über die Umwelt.

Das Forschungsteam fragte rund 4500 Bürgerinnen und Bürger, wie sehr sie fünf vorteilhaften und fünf nachteiligen Merkmalen von Wissenschaftlern aus den Bereichen Medizin, Ernährung und Umwelt zustimmten. 89 Prozent halten sie für klug, 75 Prozent glauben ihnen, dass sie wirkliche Alltagsprobleme lösen wollen, dass sie teamfähig sind und ehrlich. Sie träten aber oft arrogant auf, seien unbeholfen, könnten nicht gut kommunizieren und hätten Mühe, potenzielle Interessenkonflikte mit der Industrie transparent zu machen, sowie Mühe, Fehler einzugestehen. Jeder dritte Befragte befürchtet, sie seien bereit, moralische Werte der Gesellschaft zu missachten.

Dennoch: Sechs von zehn Amerikanern wollen Wissenschaftlern eine aktivere Rolle in politischen Debatten geben. Und je mehr die befragten Bürgerinnen und Bürger mit wissenschaftlichen Herangehensweisen vertraut waren, desto höher ist ihr Vertrauen in Kompetenz, Glaubwürdigkeit und in das Engagement der Wissenschaft für die Öffentlichkeit. Gefragt, was ihren Glauben an wissenschaftliche Erkenntnisse fördern würde, fällt ihr Urteil eindeutig aus: Offener Zugang der Öffentlichkeit zu Daten und Prüfung der Forschungsergebnisse durch unabhängige Komitees. Jeder zweite würde der Zivilgesellschaft gerne eine wichtige Rolle bei der politischen Steuerung von Wissenschaft geben.

Das lässt sich auch als Plädoyer für Citizen Science sehen, also für Bürgerwissenschaft. Aktive und fachlich begleitete Mitwirkung vertieft das Verständnis davon, wie Forschung funktioniert und warum sie für unsere Gesellschaft wichtig ist. Das Potenzial, hier diverse Gesellschaftsgruppen einzubeziehen, ist bei weitem nicht ausgeschöpft, wie ein Zürcher Forschungsteam zeigt. Die meisten bislang aktiven Bürgerwissenschaftler sind weiß, männlich, gut gebildet und hochinteressiert. Aber Interesse bestehe auch bei Frauen in den Fünfzigern und bei Jugendlichen um 18 Jahre, also der Hauptgruppe der FFF-Bewegung; Projektorganisatoren sollten diese Gruppen also jeweils gezielt und direkt ansprechen.

Diese Erkenntnisse sollten Journalismus und Kommunikationswissenschaft für eine Öffentliche Wissenschaft nutzen. Ein konkreter Schritt wäre zum Beispiel: in Gruppendiskussionen mit Bürgerinnen und Bürgern, Redaktionsmitgliedern und Forschenden herausfinden, welche diversen Ansichten und Ängste zu Klimathemen bestehen und wie Berichterstattung über Klimathemen beschaffen sein muss, damit sie verstanden wird und wirklich informativ ist. Ob mit oder ohne „Thunberg-Effekt“.

 

Erstveröffentlichung: derstandard.at vom 2. September 2019

Bildquelle: pixabay.com

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