Gurken, Keime, Kolportagen

31. August 2011 • Qualität & Ethik • von

Erinnern Sie sich noch an den Tag der spanischen Gurke?

Es war der 26. Mai, ein sonniger Morgen, und die Hamburger Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks hatte gerade eine Pressekonferenz gegeben. „Erreger auf Gurken aus Spanien nachgewiesen“ lautete die Schlagzeile des ARD-Mittagsmagazins, dazu ein mit saftigem Grünzeug gefüllter Korb, bildschirmfüllend.

Live von der Pressekonferenz wird NDR-Redakteur Marcel Müller zugeschaltet und von seiner Kollegin Hannelore Fischer interviewt. Fischer: „Der Verdacht hat sich bestätig“. Müller: „Drei Gurken aus Spanien…“. Sie: „Weiß man etwas Genaueres, wie die Erreger auf die Gurken kamen?“ Er: „Da ist man auch dabei, das zu prüfen – es handelt sich um zwei Erzeuger in Spanien.“

Das Hamburger Abendblatt, wegen der lokalen Bedeutung der EHEC-Infektionen im Sondereinsatz, berichtete am Folgetag über die empörte Reaktion der spanischen Landwirte. Und über die Irritation bei den Hamburger Großhändlern und Verbandsvertretern. Denn die stellten ein paar naheliegende Fragen, die den Journalisten nicht in den Sinn gekommen waren. Zum Beispiel diese: Könnte es nicht sein, dass irgendeine Person während des Transports oder auf dem deutschen Großmarkt den Erreger auf die paar Gurken übertrug, es also ebenso zufällig Spargel aus Schwätzingen oder Erdbeeren aus Holland hätte treffen können?

Zehn Tage später war wenigstens diese Frage beantwortet – ohne Zutun der Journalisten. Deren recherchefreie Vermarktung der Politikeraussagen, deren locker-flockiges Umdeuten von Mutmaßungen in Tatsachenbehauptungen („EHEC-Keim kommt aus Spanien“, Rheinische Post, 27.5.2011) wird die Steuerzahler voraussichtlich 200 Millionen Euro kosten als Ausgleich für den Schaden, den die Panikinszenierung der Medien angerichtet hat.

Keine Frage, die Pressemitteilungen der Behörden und des Robert-Koch-Instituts waren wichtigtuerisch, vorschnell und absichtsvoll. Aber genau deshalb reklamiert doch der Journalismus für sich die Position des unabhängigen Beobachters, der kritisch nachfragt, um aufklären zu können. Statt nachzufragen, haben die Journalisten auch der tonangebenden Medien nur kolportiert. Und sich immer neue Aufhänger für Panikgeschichten ausgedacht. Die Bulletins der Universitätsklinik Eppendorf lieferten hierbei schöne Aufhänger, um die Seuchengefahr weiter zu dramatisieren und als Gegenrezept bunt bebilderte Allerweltsratgebereien à la „Fassen Sie keine Salatgurken an!“ zu präsentieren.

Man kann den Verlauf der Katastrophenberichterstattung – sie begann am 23. Mai bei der dpa mit „Eilmeldung: Erstes Todesopfer nach EHEC-Infektion“ – mit verschiedenen Medienwirkungsmodellen erklären; man kann darin sozialpsychologisch deutbare Dramaturgien erkennen wie auch die Immer-wieder-Inszenierung des Riskant-Lebensgefährlichen als permanentes Medientheater – oder das simple ökonomische Geschäftsmodell, das der Regel folgt: Nicht nur Sex, auch Panik sells. Davon lebten die Gassen-Kolporteure des 19. Jahrhunderts.

Diesseits solcher Medienfunktionsbeschreibungen sollte man die einfache Frage stellen, ob Journalismus, der nur noch kolportiert und seine Kolportagen mit hübschen Geschichtchen und Service garniert, sich am Ende nicht selbst entbehrlich macht. Ich glaube weiterhin an die normativ verstandene „öffentliche Aufgabe“ zumindest des Nachrichtenjournalismus, die für Aufklärung zu sorgen und zudem Kritik und Kontrolle zu üben hat, statt autoritätsgläubig alles abzunicken und als Sensationen weiterzugeben. Verschiedene Studien zur Publikumsperspektive kommen übrigens zu dem Befund, dass Leser, Zuhörer und Zuschauer vom Journalismus nicht Unterhaltung erwarten – das können andere besser; sie wünschen vielmehr eine präzise und hinreichend umfassende Orientierung über das aktuelle Geschehen, soweit dieses für das Publikum von Belang ist. Es genügt schon, anhand dieser simplen Aufgabenzuschreibung die EHEC-Themenbearbeitung zu prüfen. Der Befund wäre deutlich: Kaum Recherche, viel Kolportage und sehr viel heiße Luft.

Zwei Tage nach der Hamburger Pressekonferenz postete ein Blogger auf social-inside.de diese Meinung: „Die beste Meldung, die besser ist, als es jede Satire sein kann, kommt aus den Medien. Angeblich soll EHEC aus Spanien kommen. Die Spanier sagen, dass dies nicht sein kann. Die Gurke soll infiziert worden sein, indem während des Transportes eine Ladung quasi vom LKW gefallen ist. Zum einen würde bei einem Sturz der größte Teil der Ware schlicht zerbrechen und wäre somit unverkäuflich. Und zum anderen ist die Wahrscheinlichkeit der Infektion auf diese Art noch deutlich geringer, als wenn jemand an einem Tag Vater wird, im Lotto 6 Richtige mit Zufallszahl schaffen würde und mit dem Flugzeug abstürzt.“

Gerne hätte ich in diesem Sinne naheliegende Rückfragen – zusammen mit zutreffenden Antworten – aus den journalistischen Medien erfahren. Doch dort ging das Theater erst richtig los. Drei Tage nach der Pressekonferenz verbreitete die ARD-Tagesschau: „Die Quelle des EHEC-Erregers ist weiter unklar – Verbraucherschutzministerin Aigner hält deswegen an den Verzehrwarnungen fest. In einem Interview verteidigte sie auch die deutsche Informationspolitik. Bislang starben zehn Menschen an dem Darmbakterium. Die Zahl der Erkrankungen steigt.“

An dem Darmbakterium EHEC, sagt das Robert-Koch-Institut bei anderer Gelegenheit, sterben jährlich mehr als tausend Menschen. Aber auch das ist nur eine Kolportage.

Erstveröffentlichung: Message Nr. 3 / 2011

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