Italienische Verhältnisse

28. April 2005 • Qualität & Ethik • von

Werbewoche, Nr. 16, 2005

"Habemus papam". Jetzt, wo der neue Papst gewählt und der alte zu Grabe getragen ist, noch einen Kommentar zu diesem Thema? Ja, unbedingt – auf die Gefahr hin, mein Scherflein zu dem beizutragen, was ich eigentlich harsch kritisieren möchte.

Die Art und Weise, wie die Medien hier und anderswo über Wochen hinweg nur noch ein Thema zu kennen schienen, wie sie aus dem Leiden und Sterben eines 84-Jährigen ein Welt- und Kultereignis gemacht und Millionen Menschen in Bewegung versetzt haben – so sehr, dass noch vor der Beerdigung von Johannes Paul II. eine Internet-Suchmaschine zu dem Ergebnis kam, der Tod des Papstes habe weltweit zehnmal mehr Medienaufmerksamkeit auf sich gelenkt als die Wiederwahl des angeblich mächtigsten Mannes auf dieser unserer Erde, des amerikanischen Präsidenten Bush. Und auch so sehr, dass selbst das eher unaufgeregte Wall Street Journal Europe Johannes Paul II. das "Charisma eines Rockstars" zuschrieb – eine neuerliche Übertreibung, die Madonna und Mick Jagger vermutlich hinfortan schlaflose Nächte bereiten wird.
 
Was also hat die Journalisten – oder vielleicht doch besser entpersonalisiert – die Medien (weltweit? oder doch eher bei uns, in der westlichen Hemisphäre?) dazu veranlasst, das sonstige Tagesgeschehen unter "ferner liefen" abzuhandeln? Warum plötzlich so viel Aufmerksamkeit für etwas eigentlich Alltägliches, sonst meist Verdrängtes, für Leid, Sterben und Tod eines einzelnen?

Vorab das Eingeständnis, dass auch mich das schiere Ausmass dieses medialen Ausnahmezustands überrascht hat – es folglich auch für den geübten Beobachter nicht ganz einfach ist, plausible Erklärungen für diese exzessive Medien-Inszenierung zu finden, die in einem so starken Kontrast steht zum üblichen Umgang mit religiösen Themen in der säkularisierten Gesellschaft, in der ja meist Sekten mehr journalistische Aufmerksamkeit auf sich lenken als die grossen Religionsgemeinschaften. Angesichts leerer Kirchen zeigen ja inzwischen viele Regionalblätter noch nicht einmal mehr die Gottesdienste genauso selbstverständlich an wie das Kinoprogramm. Die Medien selbst sind für viele von uns zur Ersatz-Religionsgemeinschaft geworden – sei es, dass wir, statt am Gottesdienst teilzunehmen, als Couch Potato vor der Glotze sitzen, sei es, dass manch einer die Talkshow mit dem Beichtstuhl verwechselt und dort sein Innerstes nach aussen kehrt.

Der Herdentrieb der Journalisten im global village mag als eine Erklärung herhalten – gepaart mit der Inszenierungsmacht einer zweitausendjahrealten Institution, die für das Nicht-Rationale, das Nicht-Fassbare und damit eben auch für unsere Erlösungssehnsüchte zuständig ist. Insofern provoziert auch der WeWo-Kolumnist Sacha Wigdorovits (14.4.2005) diesmal meinen Widerspruch: Mit Kategorien wie "Markenführung", mit der Charakterisierung des Papstes als "Brandmanager" ist das Kommunikations-Wunder, das wochenlang über uns hereingebrochen ist, nur sehr unzureichend erklärbar. Damit sollen die PR-Leistungen von Johannes Paul II. und seiner Kirche nicht geschmälert werden – ganz im Gegenteil.

Was wir erlebt haben, war indes keine Sternstunde eines sich globalisierenden Journalismus. Für mich war es eher ein Indiz für die "Italienisierung" der Medien – denn nirgendwo in der westlichen Welt neigen Journalisten so zur "tematizzazione" , zur Fokussierung auf jeweils ein einziges Tagesthema wie in Italien, und nirgendwo unter freiheitlich-westlichen Bedingungen scheinen sie mir so von ihren Einflüsterern in Politik und Gesellschaft abhängig und instrumentalisiert zu sein wie dort.

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