Journalismus in Bulgarien: Korrupt, doch unschuldig?

1. April 2019 • Internationales, Qualität & Ethik • von

Bulgarische Journalisten verhalten sich so zwiespältig wie Journalisten anderswo in Europa auch: Einerseits halten sie ein professionelles berufliches Selbstverständnis und ethische Normen hoch, andererseits gibt es aber zahlreiche Beispiele für unethische Praktiken und für Korruption in den Medien.

In einem Artikel hat die Medienforscherin Vera Slavtcheva-Petkova (Universität Liverpool) die Korruption von Medien und Journalismus in Bulgarien in der „Post-Truth-Ära“ beleuchtet. Die Arbeit stützt sich auf den empirischen Teil der Worlds of Journalism Study, dessen bulgarische Projektpartnerin die Autorin ist.

Bulgarien ist nicht nur das ärmste EU-Land, sondern gilt auch anderen Indikatoren zufolge als Schlusslicht der Europäischen Union. 2018 stand es im Korruptionswahrnehmungs-Index von Transparency International auf Platz 77, in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 111, sogar noch hinter den Westbalkan-Ländern. Dass bulgarische Medien korrupt sind, ist ein offenes Geheimnis.

Da die Studien, die sich mit diesem Thema in Bulgarien befassen, an den Fingern einer Hand abzählbar sind, ist jede weitere Anstrengung in diesem Bereich sehr zu begrüßen. Slavtcheva-Petkova nimmt in ihrem Artikel ‘Post-Truth‘ Politics, Journalistic Corruption and the Process of Self-Othering. The case of Bulgaria den Aufstieg des politischen Populismus in Bulgarien als logische Voraussetzung für den Verfall des Journalismus wahr, doch diese Verbindung wird nicht ausführlicher recherchiert. Die Autorin hebt den „Vorsprung“ Bulgariens bei der Post-Truth-Politik im Vergleich zu westlichen Ländern hervor, indem sie diese mit dem Aufstieg des politischen Populismus durch die Parteien von Ministerpräsident Simeon Sachsen-Coburg-Gotha, der von 2001 bis 2005 regierte, und dessen ehemaligem Bodyguard Boyko Borissov, der mit einigen Unterbrechungen seit 2009 bis heute regiert, verbindet. Zwar nahm Simeon II, der als Kind von 1943-1946 König des Landes war, viele seiner ursprünglichen „fantastischen Versprechen“ zurück, dennoch kennzeichnete eine Art milder politischer Populismus dessen Regierungszeit, und das gilt auch für seinen politischen Sprössling Boyko Borissov. „Er hat ein sehr feines Gespür für PR-Angelegenheiten und schafft es immer, im Fokus der Medien zu stehen“, bemerkt der Politikwissenschaftler Daniel Smilov in einer seiner Publikationen. Und Slavtcheva-Petkova hebt Borrisovs sehr produktive Position inmitten eines komplizierten Netzwerks von Politikern, Unternehmen und Medienbesitzern hervor – allerdings ohne diese Verbindungen genauer zu recherchieren.

Die Forscherin zitiert die Medienwissenschaftlerinnen Lilia Raycheva und Dobrinka Peicheva, die den Populismus in Bulgarien zwischen der Politisierung der Medien und der Mediatisierung der Politik analysieren. Beide behaupten, die Expansion des Populismus und der Rückgang der Pressefreiheit in Bulgarien seien miteinander verbunden. Die Medien hätten zur Ausbreitung des Populismus beigetragen, indem sie populistischen Diskursen und populistischen Politikern eine Plattform boten und gleichzeitig die Politik als schmutziges, korruptes Geschäft darstellten, also Politikverdrossenheit nährten.

Wenn die Autorin von der Post-Truth-Politik spricht, bei der die öffentliche Meinung durch Emotionen und persönliche Meinungsmache beeinflusst worden sei, und dabei einen „Vorsprung“ Bulgariens konstatiert, übersieht sie allerdings die Ära Berlusconi und die „Pop-Politics“ in Italien, die Gianpietro Mazzoleni nachgezeichnet hat. Sie fällt in etwa mit der bulgarischen Populismus-Zeitspanne zusammen: Der Medienmogul und ehemalige Ministerpräsident Italiens kann mit seinem Stil politischer Kommunikation ebenfalls als Vorreiter der Post-Truth-Politik in Europa betrachtet werden.

Der „weiche Populismus“ von Simeon II und Borissov unterscheide sich deutlich vom rechtsradikalen Populismus der 80er und 90er Jahre in Westeuropa. Doch anstatt ihre Analyse auch im Blick auf die Rolle der Medien und der Medienpolitik zu vertiefen, konzentriert sie sich eher auf Simeon II als Symbolfigur dieses politischen Populismus. Sie erinnert zum Beispiel an sein berühmtes unrealistisches Versprechen, das Leben der Bulgaren in „800 Tagen“ zu verbessern. Das Verhältnis von Medien und Politik zu den Regierungszeiten von Borissov, dem zahlreiche Medienberichte eine „Schattenvergangenheit“ vorwerfen, hält sie hingegen für eher zweitrangig.

Der empirische Teil der Arbeit stützt sich auf die Ergebnisse der Worlds of Journalism-Teilstudie für Bulgarien (Journalists in Bulgaria) sowie einige extra gestellten Fragen. Zwischen 2016 und 2017 wurden dafür 263 Journalisten verschiedener Nachrichtenmedien online befragt – mit einer respektablen Rücklaufquote von 28 Prozent. Die Ergebnisse dieser Befragung sind der wichtigste Teil von Slavtcheva-Petkovas Artikel: Sie enthüllen, wie es um die Selbstwahrnehmung unter bulgarischen Journalisten bestellt ist. Dabei geht es – in Anlehnung an den britischen Medienwissenschaftler Stuart Allan – um die Lücke zwischen der rhetorischen Selbstdarstellung journalistischer Identität und deren Umsetzung in der Alltagspraxis.

Bulgarien wäre als Musterland anzusehen, wenn das Bewusstsein der Journalisten für berufliche Rollen und ethische Orientierungen auch die redaktionelle Praxis bestimmten. Für 99 Prozent der Befragten ist es „extrem“ oder „sehr wichtig“, über die Dinge „so zu berichten, wie sie sind“. Über 80 Prozent sind der Ansicht, Journalisten sollten das Publikums vor allem bilden, distanzierte Beobachter sein sowie die Meinungen der Menschen zum Ausdruck bringen. Sogar 98 Prozent stimmen mit der Aussage überein, dass „Journalisten unabhängig von der Situation und dem Kontext immer die beruflichen Ethikkodizes einhalten sollten“.

Doch die Antworten auf die Frage „Sind die bulgarischen Medien insgesamt frei?“ sind ernüchternd: „Ja, vollständig“, meinen 1,5 Prozent, „ja, teilweise“ 47 Prozent, und „nein“ 52 Prozent. Auch die Antworten auf die Frage „Wie ist der Stand des bulgarischen Journalismus derzeit?“ vermitteln ein düsteres Bild. Die Befragten geben an, sie seien mit Krisen und Rückgängen (57%), Abhängigkeit und Unterdrückung von Medienbesitzern und deren korporativen und politischen Verbindungen (17%) sowie mit niedrigen beruflichen und ethischen Standards (15%) konfrontiert.

Einzelne Journalisten beschreiben die Situation als „komplette Katastrophe“, als „einen Kampf ums Überleben“. Der „…echte Journalismus, von dem wir geträumt hatten, ist kategorisch verschwunden“. Es fehle an „kritischem Denken“, und „falsche Helden“ würden vergöttert. Wirtschaft, Werbung und Politik seien eng miteinander verflochten, weshalb eine Abhängigkeit herrsche. All dies habe zur Konsequenz, dass Journalisten oft in die PR-Branche wechselten, heißt es in Slavtcheva-Petkovas Artikel.

Auf die Frage „Haben Sie in den bulgarischen Medien Korruptionspraktiken beobachtet?“ antworten zwar 37 Prozent mit „ja“, aber nur 13 Prozent geben an, Korruption in ihrem eigenen Medium beobachtet zu haben. Circa die Hälfte der Befragten hat nach eigenen Angaben keine Korruptionspraktiken beobachtet, und 14 Prozent beantworteten die Frage nicht.

Zu den üblichen Korruptionsmustern zählen Schmierkampagnen, die Honorierung positiver Berichterstattung durch staatliche Stellen und private Akteure, aber auch Bestechungsgelder, um gesetzwidriges  Handeln zu vertuschen. Die Befragten nannten zahlreiche Beispiele und ebenso einige Namen von Politikern, Eigentümern und Medienunternehmen. Journalisten als Beteiligte an der Medienkorruption wurden dagegen kaum erwähnt.  Wie so oft (und nicht nur im Journalismus) zu beobachten, hackt eben eine Krähe der anderen nicht die Augen aus.

Zusammenfassend zeigen die Daten der Befragung, wie groß in den bulgarischen Medien die Diskrepanz zwischen dem normativen Anspruch und dem redaktionellen Alltag ist: Slavtcheva-Petkova stellt fest, dass Journalisten eine Resilienz-Technik verwenden, bei der die Korruptionspraktiken scharf verurteilt werden; doch „unglaublich selten“ werde eigene Verantwortung übernommen.

Ob bulgarische Journalisten zukünftig mehr Verantwortung für ihr Tun übernehmen, muss weitere Forschung zeigen. In den Vordergrund rücken sollten dann – statt wie im vorliegenden Artikel die  „Post-Truth-Ära“ – eher die Defekte des Oligarchen-Kapitalismus und die Untertanenkultur im Journalismus. Denn sie sind die eigentlichen Ursachen der Korruption in den Medien und im Journalismus Bulgariens.

Bildquelle: pixabay.de

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