Journalisten unter der Lupe

5. April 2002 • Qualität & Ethik • von

Neue Zürcher Zeitung, 5. April 2002

Zwei deutsche Institute analysieren die Medienresonanz
Wie berichtet die «Bild»-Zeitung über Ausländer? Welche Börsenwerte werden in den wichtigsten meinungsbildenden Medien hochgelobt? Wie wurden Bundeskanzler Schröder und sein Herausforderer Stoiber in den letzten Wochen von den Medien bewertet? Solche Fragen beantworten in Deutschland zwei Forschungsinstitute. Sie analysieren, welche Themen von den Medien wie «gespielt» oder auch vernachlässigt werden.

Manch ein Leitartikler oder Agenturredaktor würde sich vermutlich geschmeichelt fühlen, wüsste er, wie gründlich seine Berichterstattung seziert wird. Doch bislang ignorieren die meisten Journalisten schlichtweg, dass sie kontinuierlich observiert werden – nicht von Geheimdienstlern und Zensoren, sondern von Wissenschaftern und deren Auftraggebern. Die Medien lassen damit auch ihre Leser-, Hörer- und Zuschauerschaft im Ungewissen darüber, wie heutzutage Medienberichterstattung im Auftrag von Konzernzentralen, aber auch von Parteien und Verbänden analysiert wird und wie diese wiederum mit Hilfe der gewonnenen Erkenntnisse auf Massenmedien «strategisch» Einfluss zu nehmen suchen.

Vor allem für internationale Konzerne

Zwei Forschungsinstitute haben sich in Deutschland auf solche Dienstleistungen spezialisiert: das Medien-Tenor-Institut für Medienanalysen (Bonn/Leipzig), das den gleichnamigen Branchendienst «Medien-Tenor» herausgibt, und das FAZ-Institut für Management, Markt- und Medieninformationen (Frankfurt) mit seiner Prime-Research-Abteilung in Mainz. Beide Institute offerieren vor allem weltweit operierenden Grossunternehmen umfassende Kommunikationsberatung auf der Basis von Inhaltsanalysen. Sie haben ein Forschungsinstrumentarium entwickelt, mit dem sie aktuell, kontinuierlich und vergleichend die Nachrichtengebung des Fernsehens und der wichtigsten meinungsbildenden Pressetitel untersuchen können.

Dabei kommen sie von ganz unterschiedlichen Ausgangspunkten her: Der Medien-Tenor ist hervorgegangen aus einem gemeinnützigen Verein für Medieninhaltsanalyse, den vor Jahren ein Forscherkreis um die Demoskopin Elisabeth Noelle- Neumann gegründet hat. Die Wissenschafter interessierten sich für Medienwirkungen und wollten wissen, wie die «veröffentlichte Meinung» auf die öffentliche Meinung Einfluss nimmt, wie also die Medien die Ansichten in der Bevölkerung präformieren.

Erfreuliche Wachstumsraten

Das FAZ-Institut hat sich dagegen in den letzten Jahren zu einem Verlag, Seminarveranstalter und Think-Tank gemausert, der vor allem Beratungsleistungen für diejenigen erbringt, die mit Medien zu tun haben und in den Medien gut dastehen möchten. Es hat sein Dienstleistungsangebot mit der hauseigenen Forschungsabteilung abgerundet, und es erzielte bisher in seinen Geschäftsfeldern Wachstumsraten, auf die vermutlich die Herausgeber des Mutterblatts, der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», eher neiderfüllt gucken.

Den beiden Forschungseinrichtungen ist gemeinsam, dass sie zu einem beträchtlichen Teil von Medienanalysen leben, die sie für Grossunternehmen erstellen. Und weil diese meist weltweit tätig sind, haben auch die beiden Institute ein international weitverzweigtes Netzwerk von Büros und Kooperationspartnern errichtet.

Tägliche Benachrichtigung

Nach einem Beispiel gefragt, wie das Medienmonitoring in der Praxis funktioniert, berichtet der wissenschaftliche Leiter von Prime-Research, Rainer Mathes, von einem französischen Konzern, den sein Institut derzeit mit dem Medienecho versorge. Der Kommunikationschef erhalte um 7 Uhr morgens die wichtigsten Meldungen des Tages nach Hause gemailt. Um 11 Uhr würden seine Europa-Manager mit Zeitungsberichten aus allen Teilen der Welt versorgt, soweit sie die eigene Branche betreffen, während die Deutschland-Manager ein nationales Update geliefert bekämen. Rund um die Uhr werde das Internet beobachtet. «Tut sich dort etwas, was der Auftraggeber wissen muss, bekommt er als Alarmsignal einen Newsflash.» Dieses teils tagesaktuelle, teils sofortige Feedback werde durch zweiwöchentliche und monatliche Analysen ergänzt – in Workshops würden Imagebilanzen präsentiert und die Topmanager mit «Selbst- und Fremdwahrnehmung» ihres Hauses konfrontiert.

Roland Schatz, der Chef des Medien-Tenors, rät seinen Kunden, vor allem für eine kontinuierliche Medienpräsenz zu sorgen. Unternehmen wie Daimler-Chrysler, Lufthansa oder Allianz, die durch ihre PR-Arbeit ständig in den international meinungsführenden Medien präsent seien, seien damit auch für eventuelle Krisensituationen besser gerüstet. Für Unternehmen wie Shell oder Bayer, die weniger häufig in den Medien auftauchten, sei dagegen der Imageschaden weit grösser, der in einer Krisensituation entstehen könne – denn dann werde das Medienbild einzig und allein und möglicherweise auch für lange Zeit von diesen schlechten Nachrichten geprägt. Wichtig sei es auch, für die richtige Themenmischung zu sorgen, Publikums- und Fachmedien gleichermassen zu bedienen und die eigene Medienpräsenz an der Konkurrenz oder anderen vergleichbar einflussreichen Unternehmen zu messen. Für gefährlich hält es Schatz bereits, «wenn der Anteil an der Berichterstattung mit negativen Wertungen auf mehr als zehn Prozent ansteigt». Positiv eingefärbte Berichte sollten mindestens 20 Prozent der Gesamtberichterstattung über ein Unternehmen ausmachen.

Daten auch für die Öffentlichkeit

Beide Forschungsinstitute veröffentlichen inzwischen einen Teil ihrer Forschungsergebnisse, wobei man hier beim FAZ-Institut viel zurückhaltender ist als beim Medien-Tenor, dessen monatlicher Forschungsbericht wahrlich ein Füllhorn von Daten und Statistiken offeriert. Jeder ernst zu nehmende Journalist kann – und sollte – hier Honig saugen und sich ein Bild davon machen, wie die Medien mit Themen und Prominenten umgehen.

Zweifel an der Validität und Verlässlichkeit der erhobenen Daten werden immer wieder geäussert. Versierte Empiriker wie der Mainzer Medienforscher Hans Mathias Kepplinger und sein Dresdner Kollege Wolfgang Donsbach halten die Datenerhebung beider Institute jedoch für seriös: Die Codebücher seien mit grosser Sorgfalt erstellt, die Mitarbeiter würden gründlich geschult und überwacht. Methodisch, so Kepplinger, seien die Institute «auf dem Stand der Kunst» und «allemal besser als das, was an manchen Universitätsinstituten gemacht werden kann».

Zuspitzung beim Medien-Tenor

Beide Forscher sind sich allerdings auch darin einig, dass bei den Interpretationen gelegentlich überzogen werde. Donsbach: «Der Medien- Tenor stellt Erkenntnisse so dar, wie sie Journalisten darstellen würden.» Die Ambivalenz, die in den Daten stecke und die oftmals mehrere Deutungen zulasse, komme «nicht rüber». Ähnlich spitzt auch das «Prime Politics Bulletin», das neuerdings vom FAZ-Institut herausgegeben wird, seine Botschaften zu: Offenbar wird auch dort vermutet, die Entscheider, die solche Analysen lesen sollen, hätten wenig Zeit, und die Erkenntnisse werden deshalb auf wenige Sätze und Grafiken verdichtet.

Feine Unterschiede gibt es gleichwohl: Schatz, der schon länger im Geschäft ist, betont, er verfüge schlichtweg über die grösseren Datenbestände, insbesondere um längerfristige Trends herauszuarbeiten. Mathes unterstreicht, er habe das feinmaschigere Analyseinstrumentarium: Die Konkurrenz lasse beim Codieren nur drei Möglichkeiten zu – positiv, neutral oder negativ; in vielen Fällen sei aber eine differenziertere Wertung des Materials sinnvoll.

Aber vieles bleibt geheim

Ein Wermutstropfen bleibt zumindest für all die Forscher, die sich von Medienresonanzanalysen vor allem Erkenntnisse darüber erhoffen, welchen Einfluss die Medien auf die öffentliche Meinung nehmen: Weil sich die privaten Forschungsinstitute finanzieren müssen und vor allem Auftragsforschung die nötigen Gelder in die Kassen spült, wird auch der Löwenanteil der Erkenntnisse privatisiert. So kommt es, dass die Konzernzentralen von Allianz, BMW und Lufthansa in dem jeweils für sie relevanten Umfeld weit mehr über Medienwirkungen wissen als die meisten Kommunikationsforscher an Universitäten oder die Journalisten. Die Abteilungen für Unternehmenskommunikation akkumulieren immer mehr Erkenntnisse, um die Medienberichterstattung in ihrem Sinne zu steuern.

Dagegen werden in den meisten Redaktionen Stellen abgebaut. So wird es immer aussichtsloser, der Einflussnahme angemessen zu begegnen; für kritische Nachfragen und unabhängige Recherchen in der Politik- und Wirtschaftsberichterstattung fehlt es in den meisten Redaktionen an Zeit, Kapazität – und, wie selbst viele PR-Chefs hinter vorgehaltener Hand beklagen, oftmals auch an Basiswissen.

Daten für Universitäten

Gleichwohl fallen für die Allgemeinheit aus der Forschungsarbeit beider Institute mehr als nur Brosamen ab. Der Medien-Tenor stellt beispielsweise den Teil seiner Daten, die er für seine an die Öffentlichkeit gerichteten monatlichen Forschungsberichte verwendet, auch Universitätsinstituten und Nachwuchswissenschaftern für Diplom- und Magisterarbeiten zur Verfügung. Beim FAZ-Institut fliessen Gewinne in die gemeinnützige FAZIT-Stiftung.

Es verwundert indes ein wenig, dass die Redaktion die Erkenntnisse ihres hauseigenen Think- Tanks bisher kaum für ihr eigenes redaktionelles Angebot nutzt. Anderseits ist es wohl, wie Mathes betont, auch nötig, dass das Forschungsinstitut Abstand hält. Die Integrität der Redaktion wäre gefährdet, wenn sich die Kunden des FAZ-Instituts eine Vorzugsbehandlung von Seiten des Mutterblatts erhoffen dürften. Und umgekehrt sind so manche Daten, für die Auftraggeber teures Geld hingeblättert haben, nun einmal weder für deren Konkurrenten noch für Redaktionen oder die Allgemeinheit bestimmt.

Anderseits hat der Medien-Tenor wohl gerade deshalb rasch in Fachkreisen an Bekanntheit gewonnen, weil er einen Teil seiner Forschungsarbeit regelmässig veröffentlicht und diese Erkenntnisse auch mit grossen eigenen PR-Anstrengungen an die Medien heranträgt. Das FAZ-Institut wiederum profitiert vom guten Namen des Mutterhauses; es könnte indes kaum damit rechnen, dass seine Erkenntnisse von den Wettbewerbern der «FAZ», etwa vom «Spiegel» oder gar der «Süddeutschen Zeitung», mit grosser Begeisterung weiterverbreitet würden.

Das Februar-Echo

Immerhin lassen sich die Eingangsfragen dank den Publikationen beider Institute klar beantworten: Dem «Prime Politics Bulletin» ist zu entnehmen, dass sich Stoiber wie Schröder im Februar auf rapider Talfahrt befanden, der eine wegen eines missglückten «Schlüsselauftritts» in der Talkshow von Sabine Christiansen, der andere wegen der miserablen und obendrein geschönten Arbeitsmarktdaten und weiterer sich häufender Affären und Negativthemen. Laut dem Medien- Tenor haben deutsche Tageszeitungen im Februar 2002 am meisten die DAX-Werte BMW, SAP und Schering hochgejubelt; und, last, not least, hatten 43 Prozent aller Meldungen über Ausländer in der «Bild»-Zeitung im Jahr 2001 einen negativen Unterton, 52 Prozent waren neutral und nur ganze 5 Prozent positiv.

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