Kraut und Rüben

24. Juni 2014 • Qualität & Ethik • von

Journalisten und Medienforscher haben zumindest eines gemeinsam: Sie gehen zunehmend leichtfertig mit Sprache um. Das jüngste, wohl selbstironisch gemeinte Beispiel sind die „Krautreporter“, die es gerade geschafft haben, 900 000 Euro einzuwerben, um „unabhängigen“ Online-Journalismus betreiben zu können.

Das Wortspiel mit der „crowd“, die als Finanzierungsquelle dienen soll, ist natürlich ironisch gemeint, aber Ironie ist bekanntlich nicht jedermanns Sache. Wer nicht genau hinguckte (oder womöglich kein Englisch kann), fragte sich dann wohl doch erst einmal, weshalb er 60 Euro für Kraut- und Rübenjournalismus löhnen sollte.

Aber es kommt noch schlimmer: Journalisten, die für kritischen und kreativen Sprachgebrauch noch mehr verantwortlich sind als Wissenschaftler, aktivieren nicht einmal dann ihre Gehirnzellen, wenn es um ihre eigene Existenz geht. Dazu vier ältere Beispiele, wobei sich wohl in keinem der Fälle mehr aufklären lässt, wer wem gedankenlos nachgeplappert hat – die Journalisten den Medienforschern oder umgekehrt.

Der erste Hammer ist und bleibt die „Paywall“. Dieses Monstrum, das irgendwelche Internet-Gurus erfunden haben müssen, begleitet uns seit Jahren. Wer in einer offenen Gesellschaft Mauern baut, ist ein Finsterling, soll das insinuieren. Nur ist halt bisher niemand auf die Idee gekommen, die Ladentheke beim Bäcker oder die Kasse im Supermarkt als Mauer oder Bezahlschranke zu beschreiben. Die Paywall diskreditiert als Wortschöpfung bereits das Anliegen, dass geistige, sprich journalistische Leistung eben ihren Preis haben sollte.

Ein dummes Totschlag-Wort und-Argument ist auch die „Kommerzialisierung“. Ganze Heerscharen von Kommunikationsforschern predigen sie seit Jahren – obschon sie eigentlich sehen sollten, dass vor allem Zeitungsverlage, aber auch andere Medienhäuser mit neuen Wettbewerbern sowie mit verschiedenen Formen der Dekommerzialisierung zu kämpfen haben. Die „giant teenagers“, also die noch jugendlichen Branchenriesen Google, Facebook und Co., setzen, so die Zürcher Medienforscherin Natascha Just, den „Dinosauriern der Branche“ ja gerade deshalb zu, weil sie dem breiten Publikum begehrte Dienstleistungen gratis anbieten (und dieses Publikum vom Datenklau nichts merkt – und somit auch nicht vom faustischen Pakt, den es eingeht, wenn es Suchmaschinen und soziale Netzwerke, aber auch Gratis-Newssites nutzt).

Im Übrigen trifft Dekommerzialisierung nicht zuletzt die Journalisten selbst. Wer als „freier Mitarbeiter“ der Huffington Post gratis Texte zuliefert, arbeitet eben außerhalb des kommerziellen Systems, auch wenn die Huffington Post auf diese Weise satte Gewinne einstreicht. Damit sind wir bei einem weiteren Unwort des Jahrzehnts angelangt, dem „Citizen Journalism“, vulgo Bürgerjournalismus. Ich frage meine Studenten an dieser Stelle seit langem, ob sie sich einem „Citizen-Zahnarzt“ oder einem Bürger-Gynäkologen anvertrauen würden. Dass Journalisten mit ihren Publika auf Augenhöhe verkehren sollten, geschenkt – natürlich leben wir in vernetzten Welten, die Zeit der Einbahnstraße von der Redaktion zum Publikum ist vorbei. Aber muss man deshalb seinen eigenen professionellen Status als Journalist gleich preisgeben? Kein Mediziner käme auf die Idee, einem Wunderheiler als „Bürgerarzt“ zu kollegialem Status zu verhelfen.

Hochkonjunktur hat weiterhin der „entrepreneurial journalism“ – mein persönlicher Lieblings-Euphemismus. Na klar, auch dieses magische Modewort hat seinen zutreffenden Kern: Journalisten müssen sich für die ökonomische Seite ihres Tuns interessieren und (betriebs-)wirtschaftlich denken lernen. Aber muss man das zum „unternehmerischen Journalismus“ hochjubeln? Genau besehen, ist das PR-Speak, also etwas, dem „gute“ Journalisten den Kampf ansagen. Es ist verbales Spin doctoring, das die ernste Lage einer rapide zunehmenden Zahl von Journalisten verklärt, statt das Problem sich beschleunigender Selbstausbeutung zu lösen.

Sprachkritik? Fehlanzeige – sowohl bei den Medienforschern als auch bei ihren Forschungssubjekten, darunter auch das angsterregend wachsende journalistische Prekariat.

Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist Nr. 06+07/2014

Bildquelle: berggeist007  / pixelio.de

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