Kriegsfotografie: Wahrung der Menschenwürde trotz visuellen Framings

15. Juli 2024 • Aktuelle Beiträge, Internationales, Qualität & Ethik • von

Bildquelle: Amber Clay/ Pixabay

Jeder Mensch hat ein Bild von Krieg, Zerstörung und Leid im Kopf. Die Kriegsfotografie spielt eine entscheidende Rolle in der Wahrnehmung von Konflikten wie beispielsweise des Nahost- und des Ukrainekriegs, indem sie neben der Bereitstellung von Informationen auch eine emotionale Verbindung zum Zuschauer herstellt.

“Ich glaube, dass die Fotografie neben der Information den Zuschauer emotional ansprechen sollte – nicht unbedingt nur, indem sie Tod und Zerstörung zeigt“, sagt die Kriegsfotografin Mielnikiewicz. Sie sieht ihre Arbeit als direkten Kommunikationskanal zu Zuschauern an weit entfernten Orten.

Durch den faktenbasierten Nachrichtenjournalismus bleibt die wahre Grausamkeit des Krieges oft abstrakt und schwer greifbar. Dies stellt Fotograf:innen, Journalist:innen und Redaktionen vor extreme ethische Herausforderungen. Die Darstellung der Ereignisse ist das entscheidende Tool, um ein umfassendes Bild der Realität ermöglichen zu können.

Berichtende müssen stetig abwägen, wie sie durch eine Mischung aus abstrakten illustrativen Abbildungen und realitätsgetreuen Fotografien die Gegebenheiten vollumfänglich darstellen können, ohne dabei ethische Grenzen zu überschreiten. Dies erfordert nicht nur stetige Abwägung und ethische Richtlinien, sondern auch die Kompetenz, mit Mitgefühl auf die Geschehnisse zu blicken.

Zwischen Realität und Empathie

Laut Behmer (2022)  kann Kriegsfotografie verschiedene Funktionen wie Dokumentation, Beweisführung, Informationsvermittlung, Propaganda oder gezielte Inszenierung haben. Daher sei es umso wichtiger, dass Journalist:innen die Auseinandersetzung mit Kriegsgeschehen durch authentische und kontextualisierte Berichterstattung fördern und Rezipient:innen ermöglichen, Bilder verstehen und einzuordnen zu können.

Bei der Betrachtung von Fotografien und Darstellungen spielen vielschichtige Abläufe des visuellen Framings, geprägt durch Erfahrungen, Stereotype, Schutzmechanismen und Sehgewohnheiten eine entscheidende Rolle. Diese beeinflussen sowohl Fotograf:innen und Redakteur:innen bei der Auswahl von Motiven und Perspektiven als auch die Betrachter:innen bei der Reflexion und Beurteilung über die Authentizität der Darstellungen (Knieper/Saleh 2005, S. 246-249). Diese Dynamiken erfordern eine konsequente Überprüfung der Fakten und eine Einordnung der Fotografie in den Kontext.

Die Notwendigkeit dessen wird durch ein prämiertes Foto des amerikanischen Fotografen Spencer Platt aus dem Libanon-Krieg 2006 deutlich. Abgebildet sind stylisch gekleidete junge Leute, die in einem Cabrio durch zerstörte Wohnviertel fahren, während sie scheinbar unbeeindruckt und schaulustig wirken. Dies führte ohne kontextuelle Einordnung zu falschen Annahmen über Handlung und Hintergründe, denn die jungen Menschen waren Opfer des Krieges, die sich nach ihrer Flucht ein Bild über das Ausmaß der Zerstörung ihrer Heimat machten (Putz, 2007).

Tiefe Nähe ohne Übergriff – Respektvolle Annäherung an Opfer

Die ethische Herausforderung, Bilder aus Kriegen und des damit einhergehenden menschlichen Leids zu zeigen, besteht jedoch besonders in der „Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde“ –  dies ist auch in Ziffer 1 des deutschen Pressekodex als „oberstes Gebot“ vermerkt (Deutscher Presserat, 2022).

Claudia Paganini, Professorin für Medienethik an der Hochschule für Philosophie in München, hebt in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (2022) hervor, dass durch die Darstellung von Opfern in der Medienberichterstattung Abgebildete unfreiwillig ins Rampenlicht gerückt werden. Problematisch sei, dass dabei nicht das Schicksal des verstorbenen, verletzten oder traumatisierten Individuums im Fokus stehe, sondern vielmehr das „erzählerische Narrativ“, welches dadurch vermittelt werden soll.

„Bei der Kriegsberichterstattung denke ich in erster Linie an die Persönlichkeitsrechte der Opfer, die abgebildet werden, an Privatsphäre und Respekt.“ – Claudia Paganini

Oftmals seien es aber eben solche personenbezogenen Fotografien, die ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken. Daher greifen Fotograf:innen und Journalist:innen mitunter zu radikalen Methoden der visuellen Gestaltung, um das Elend darzustellen und ökonomisch profitieren zu können (Paganini, 2022; Behmer, 2022).

Hier ist wohl das Foto „Napalm Girl“ des Fotografen Huyhn Cong, welches ein schreiendes, schwer verbranntes nacktes Mädchen (Phan Thị Kim Phúc) frontal und deutlich erkennbar abbildet, ein markantes Beispiel. Es ist ohnehin ethisch äußerst bedenklich, hilflosen Menschen in traumatischen Situationen keine Unterstützung zu bieten und stattdessen das Bild ihres Leidens und Sterbens zu dokumentieren. Darüber hinaus könne es gleichzeitig problematisch sein, Namen zu verwenden und Abgebildete „zur Schau zu stellen“, aber gleichermaßen auch sie zu verschweigen, da dies zur Entpersonalisierung führe (Behmer, 2022, S. 460-465).

Kriegsfotografie als ethischer Balanceakt

Behmer (2022) betont in seinem Aufsatz „Bilder des Grauens: Medienethische Überlegungen zur Kriegsfotografie“, dass Bilder zwar umgangssprachlich aussagekräftiger seien als Worte jedoch nur im Kontext mit Worten sowohl emotionale Nähe erzeugen als auch ein realitätsgetreues Abbild der Wirklichkeit erschaffen können. Jedoch sei es nicht zwangsläufig notwendig, konkrete Individuen zu zeigen, da andere Blickwinkel wie verwüstete Straßenzüge, die Destruktivität und Brutalität des Krieges ebenso verdeutlichen können (Paganini, 2022).

Zudem hat sich mit der Verbreitung digitaler Medien die Art und Weise, wie Bilder produziert und rezipiert werden, dramatisch verändert. Digitale Fotos werden massenhaft und nahezu ungefiltert verbreitet. Plattformen wie Instagram, YouTube und Snapchat ermöglichen eine schnelle und breite Verteilung von Kriegsbildern, die oft emotional aufgeladen sind und ein Gefühl der Unmittelbarkeit vermitteln.

Rezipient:innen eine ganzheitliche Darstellung ermöglichen zu können, bedeute laut Behmer (2022) für Fotograf:innen oftmals, nahe an Opfer herantreten zu müssen, jedoch müsse dies ausnahmslos immer unter akribischer Abwägung ethischer und menschlicher Maßstäbe geschehen. Daher tragen Journalist:innen in der Kriegs- und Krisenberichterstattung eine erhöhte Verantwortung und sollten sowohl sensibel als auch aufmerksam handeln, um Grenzüberschreitungen zu vermeiden (Paganini, 2022).

 

Literaturverzeichnis

Behmer, M. (2022). Bilder des Grauens: Medienethische Überlegungen zur Kriegsfotografie. Communicatio Socialis, 55(4), 454–467. https://doi.org/10.5771/0010-3497-2022-4-454

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Knieper, Thomas/Saleh, Ibrahim (2015): Die audiovisuelle Medienberichterstattung über das Massaker von Marikana: Bestimmt die Weltanschauung die Sicht der Dinge? In: Reer, Felix/Sachs-Hombach, Klaus/Schahadat, Schamma (Hg.) (2015): Krieg und Konflikt in den Medien. Multidisziplinäre Perspektiven auf mediale Kriegsdarstellungen und deren Wirkungen. Köln, S. 241-278.

Langenau, L. (2022, 2. Mai). Sollen Medien die Toten im Krieg in der Ukraine zeigen? Süddeutsche.de. Abgerufen von https://www.sueddeutsche.de

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Paul, G. (2005). Die Geschichte hinter dem Foto. Authentizität, Ikonisierung und Überschreibung eines Bildes aus dem Vietnamkrieg. Zeithistorische Forschungen – Studies in Contemporary History, 2(2), 224–245. https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2007

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Putz, U. (2007, February 27). a-41d092c2-0001-0001-0000-000000468976. DER SPIEGEL, Hamburg, Germany. Retrieved from https://www.spiegel.de

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