Laissez-faire bei der Integration?

29. Juli 2014 • Qualität & Ethik • von

Was leistet die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG zur Integration von Migranten? Nicht genug, so das Resultat der Masterarbeit von Viktor Vogt mit dem Titel „Laissez-faire bei der Integration? Die Integration von Personen mit Migrationshintergrund beim öffentlichen Rundfunk in der Schweiz und in Schweden”, die er am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung (IPMZ) geschrieben hat. Wie der Integrationsauftrag anders angegangen werden kann, zeigt er am Beispiel Schweden auf.

Die SRG hat einen Integrationsauftrag zu erfüllen. Sie selbst ist der Auffassung, dass sie dieser Aufgabe durchaus nachkommt. Dieser Eigenwahrnehmung stehen eine tendenziell negative Berichterstattung über Migranten, wenige Medienschaffende mit Migrationshintergrund und nur vereinzelte unregelmäßige Sendungen über Migration gegenüber.

Zwar ist der SRG das Thema Integration durchaus wichtig: Verschiedene unternehmensinterne Richtlinien und eine 2008 durchgeführte Themenwoche zum Thema Integration zeigen, dass eine grundsätzliche Sensibilisierung vorhanden ist; es fehlt aber eine klare Strategie, wie die Thematik umfassend und konkret umgesetzt werden kann.

Auch in Schweden müssen die öffentlichen Radio- und Fernsehveranstalter Sveriges Radio (SR) und Sveriges Television (SVT) einen Integrationsauftrag erfüllen. Dabei geht das skandinavische Land um einiges bestimmter im Umgang mit der Thematik vor. Zwei Beispiele verdeutlichen dies:

Beispiel 1: Mit „Galab wanaagsan“ begrüßt der Radiomoderator sein Publikum auf Somali und berichtet, ohne die Sprache zu wechseln, eine halbe Stunde über die aktuellsten Nachrichten. Thema ist unter anderem das SMS-Schreibverbot beim Autofahren in Schweden. Gesendet wird dieses Programm nicht etwa bei einer somalischen Radiostation, sondern bei Schwedens öffentlichem Radio SR. Fast täglich werden dort halbstündige Nachrichtenprogramme in den Einwanderersprachen Somali, Arabisch, Kurdisch, Persisch und Englisch gesendet.

Fremdsprachige Nachrichtenmagazine im Programmangebot der SRG? Undenkbar.

Beispiel 2: „Skånska för inflyttade“ bedeutet so viel wie „Schonisch für Zugezogene“ und erklärt in Form eines Videoblogs Besonderheiten des in Südschweden gesprochenen Akzents. Der Anbieter: Die Radiostation „Din Gata“, der Stadtsender von SR für Malmö. Vom achtköpfigen jungen Redaktionsteam weisen sieben Nachnamen auf einen Migrationshintergrund hin. Die multikulturelle Ausrichtung des Senders ist fest eingeplant; ganz bewusst richtet sich SR mit „Din Gata“ an ein junges, urbanes und multikulturelles Publikum. Gezielt kommen hier Personen mit einem nicht-schwedischen Hintergrund zu Wort.

Eine Radiostation von und für junge Migranten bei der SRG? Inexistent.

Neben diesen Beispielen im Bereich des Programmangebots zeigt sich in Schweden auch bei der Rekrutierung von neuen Mitarbeitern und der Weiterbildung eine konkrete Strategie: Bewusst gehen die öffentlichen Rundfunkanbieter auf Personen mit Migrationshintergrund zu und ermutigen diese zu einer Bewerbung. Durch Schulbesuche soll bereits Kindern mit einem nicht-schwedischen Hintergrund eine Journalistenausbildung schmackhaft gemacht werden. Diversity ist fester Bestandteil der Aus- und Weiterbildung bei den öffentlichen Radio- und Fernsehunternehmen. Regelmäßig werden mehrtägige Kurse angeboten, beispielsweise im Umgang mit dem anderen Geschlecht, anderen Geschlechtsidentitäten, ethnischem Ursprung, Religion, Behinderung und sexueller Einstellung. Die Absolventen dieser Schulungen bringen als Vielfalts-Spezialisten ihre Erfahrungen in die Programmgestaltung mit ein.

Aktive Rekrutierung und Weiterbildung in Diversity bei der SRG? Gibt es nicht. Nach dem Prinzip der Gleichbehandlung erhält jeder Bewerber dieselben Chancen bei einer Bewerbung. Ausschlaggebend sind unter anderem sprachliche, fachliche und persönliche Eigenschaften. Eingewanderten Personen mit nicht-fehlerfreiem Deutsch bleibt der Einstieg bei der SRG somit erschwert.

Die direkte Gegenüberstellung der SRG mit dem schwedischen Pendant macht Sinn: Der Anteil an Migranten im Land ist in beiden Ländern hoch, der Programmauftrag bezüglich Integration ist ähnlich formuliert, die Stellung und Finanzierung des öffentlichen Rundfunks ist in beiden Ländern ähnlich. Über die Europäische Rundfunkunion und bei der Programmproduktion findet eine Zusammenarbeit zwischen den Rundfunkveranstaltern beider Länder bereits statt. Es wäre wünschenswert, dass die SRG diesen Austausch ausbaut, von den Erfahrungen der Schweden profitiert und so ihre Integrationsstrategie konkretisiert.

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Konkrete Empfehlungen an die SRG bezüglich Integration finden sich auch in der aktuellen Ausgabe des Mitgliedermagazins der SRG Deutschschweiz „Link“:

• Migranten vermehrt direkt zu Wort kommen lassen, nicht nur „Experten“.

• Rubriken oder Sendungen schaffen, um die Kommunikation mit den Migrantinnen und Migranten zu intensivieren.

• Häufiger Migranten in Sendungen und Shows einladen.

• In den Redaktionen mehr Migrantinnen und Migranten anstellen.

• Journalistinnen und Journalisten bei der Aus- und Weiterbildung für das Thema sensibilisieren.

• In Beiträgen über Straftaten nur Angaben zu Nationalität oder ethnische Herkunft machen, sofern sie für das Verständnis notwendig sind“ (Zitat Presserat).    

(übernommen aus: Knöpfli, Marcus (2014): „Kein offenes Mikrofon für Migranten“. LINK-Magazin.)

Alle genannten Ratschläge werden von SR und SVT bereits heute umgesetzt.

Bildquelle: S. Hofschlaeger / pixelio.de

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