Meinungsfreiheit und Plattformunternehmen

11. April 2017 • Qualität & Ethik • von

Die oft gehörte Berufung auf den Grundwert der Meinungsfreiheit sowohl vonseiten der User als auch der Plattformunternehmen greift zu kurz.

Die öffentliche Diskussion um die ethische Verantwortung der UserInnen in Onlineforen und Social Media sowie der sogenannten Plattformunternehmen wie Facebook, Google und Co wird teilweise sehr vehement geführt. Wo manche fehlende Gesetze und mangelndes Verständnis der NutzerInnen als Ursache für unerwünschte Erscheinungen wie Fake-News, Hate-Speech, Rufschädigung oder erodierenden demokratischen Diskurs sehen, betonen andere die Werte der Meinungsfreiheit und Pressefreiheit sowie die Notwendigkeit, dass wirtschaftlich orientierte Unternehmen ihre Geschäftsstrategien auch frei und möglichst ohne staatlichen beziehungsweise öffentlichen Einfluss verfolgen dürfen. Dieser Beitrag soll einige Begriffe nochmals klären und ein unternehmens- und medienethisch begründetes Verständnis der Situation anbieten.

Aufseiten der MediennutzerInnen kann man oft immer noch ein fehlendes Bewusstsein für die juristische und ethische Reichweite ihres Onlinehandelns feststellen. Dass man als Betreiber einer Facebookseite auch Medieninhaber ist und somit verantwortlich für den Content und die Postings auf der Seite, ist nicht allen bekannt. Ebenso scheint es viele UserInnen zu überraschen, welche Reichweite einzelne Postings im digitalen Raum erreichen können, zum Beispiel durch Teilen der Inhalte. So verwundert es nicht, dass sich so mancher Poster (siehe den Fall der österreichischen Grünen-Chefin Eva Glawischnig, die erfolgreich gegen einen Facebook-Seitenbetreiber wegen übler Nachrede geklagt hat) vor dem Kadi wiederfindet. Manchmal scheint einfach auch die Anonymität der Kommunikationsform in Internetforen unsere Moral zu untergraben. Nicht nur aus diesen Gründen habe ich an dieser Stelle eine „Renaissance der Publikumsethik“ gefordert.

Ökonomische Interessen

Doch selbstverständlich sollte es in diesem Diskurs auch um die die jeweilige Plattform bereitstellenden Unternehmen, wie eben zum Beispiel Facebook und Google, aber auch viele kleinere Anbieter von verschiedenen Austauschplattformen und nicht zuletzt um Nachrichtenprovider gehen. Plattformunternehmen haben ganz spezifische ökonomische Interessen, die sie mittels neuerer digitaler Technologien und einem tiefgehenden medienökonomischen Verständnis verfolgen.

So nutzen sie etwa Netzwerkeffekte aus, also die Tatsache, dass eine größere Anzahl von TeilnehmerInnen im Netzwerk den Nutzen der einzelnen Teilnehmerin erhöht, wie etwa bei Facebook der Fall (früher: beim Telefon, heute auch bei der Produktion von Apps). Das macht einen Wechsel des Netzwerks unbequem (Ökonomen sagen, die „switching costs“ sind hoch). Sie beherrschen zudem das Data-Mining bei ihren KundInnen perfekt und können (eigentlich als Hauptgeschäftszweig) individuell personalisierte Werbung als Attraktion für die Werbewirtschaft anbieten. Und es ist nicht teuer, das Netzwerk immer zu vergrößern: die sogenannten Grenzkosten (z. B. die Kosten, einen weiteren User zu bewirtschaften) liegen oft bei null. Wieder ein Grund zum Wachsen.

All dies erklärt (teilweise) den Erfolg dieser Plattformen und zeigt, wie leicht man in ihnen gefangen wird („Locked-in-Effekt“). Wenn wir aber unsere Kommunikation nur in den oft abgeschlossenen Gruppen eines solchen Netzwerks betreiben bzw. auch unsere Nachrichten von deren Algorithmen gefiltert konsumieren, sind die negativen Effekte der Filterblasen und Echokammern, die immer wiederkehrend nur unsere einmal gefilterten (und „geliketen“) Meinungen wieder bestätigen, nicht weit; der politische Diskurs wird behindert, denn dieser braucht Meinungsvielfalt, diverse Informationsgrundlagen, transparente Recherchemethoden, Double Check und somit eigentlich das, was schon immer die Qualitätsgrundlagen seriösen Journalismus waren.

Maßnahmen

Warum wollen die Plattformunternehmen sich in diesen Diskurs so wenig einbringen? Nun, sie sehen sich als Technologieunternehmen, nicht als Medienunternehmen, und brauchen somit aus ihrer Sicht nicht an den vielfältigen Medienregulierungsmaßnahmen (fremdregulierend-gesetzliche, selbstregulierende wie der Presserat in der Printlandschaft …) teilhaben. Hier müsste man tatsächlich versuchen, diese Unternehmen in einen größeren medien- und unternehmensethischen Diskurs einzuspannen und beispielsweise durch Koregulierungsmaßnahmen (der Staat nennt Bereiche, die reguliert gehören, die Unternehmen entscheiden selbstständig, wie sie das machen) und unternehmensethische Instrumente wie Ethik-Kodices und Ethics-Officers verstärkt an die Gesellschaft zu binden, die vermutlich die Erosion des demokratischen Diskurses verhindern möchte. Nicht umsonst hat Jürgen Habermas schon früh darauf hingewiesen, dass die Menschen im virtuellen Raum in Splittergruppen mit Spezialinteressen zerfallen und dort somit keine Öffentlichkeit (im Sinne der Publizität und dem Austausch der Argumente freier und gleicher Personen) mehr besteht.

Positives Verständnis von Freiheit

Die oft gehörte Berufung auf den Grundwert der Meinungsfreiheit sowohl vonseiten der UserInnen („ich darf doch wohl noch die Wahrheit sagen“) als auch der Plattformunternehmen („wir stellen nur eine Plattform zur Verfügung und wollen die NutzerInnen nicht bevormunden, was sie dort machen“) greift hier zu kurz. Wie Corinna Gerard-Wenzel an dieser Stelle ganz richtig ausgeführt hat, funktioniert Meinungsfreiheit nur, wenn sie nicht nur als negatives Abwehrrecht gegenüber dem Staat oder bestimmten Institutionen konzipiert wird. Wir sollten uns auch diskursiv auf ein „positives“ Verständnis von Freiheit einigen, also aktiv mitgestalten, was in und für Social Media und Onlineforen (auch ethisch, denn rechtlich ist das meist sowieso geklärt) erlaubt sein soll. Dies ist nicht Zensur, wie man oft zu hören bekommt, sondern die Ermöglichung eines Habermas’schen Diskurses auch im virtuellen Raum. Als Beispiel können hierfür moderierte Userforen gelten, denen man unter Zustimmung zu bestimmten Regeln beitritt, deren Regeln nicht von einem “Experten“ festgelegt, sondern in einem diskursiven Prozess der Beteiligten erarbeitet wurden und aus denen man auch wieder ausgeschlossen werden kann.

Wir wissen, dass etablierte Medien zumeist eigene Regeln haben, die für Plattformen und Social Media (noch) nicht gelten. Wir sollten uns alle als „Produser“ in den oben umrissenen Diskurs einbringen, damit das Verständnis von demokratischem Diskurs nicht nur durch Fake-News dominiert und positive Meinungsfreiheit unterstützt wird.

Erstveröffentlichung: derstandard.at vom 3. April 2017

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