Mit alten Vorurteilen aufräumen

4. November 2014 • Qualität & Ethik • von

Voraussetzung für eine aufgeklärte, kritische Öffentlichkeit ist gute Information. Im politischen Bereich sind es oft noch traditionelle Medien, die den Hauptanteil dieser Information erarbeiten. Doch wie umfassend informieren die Medienmacher, wie viele Quellen nutzen sie und wie viele unterschiedliche Perspektiven gönnen sie dem Publikum – besonders in ökonomisch angespannten Zeiten?

Diesen Fragen gehen die Autoren der internationalen Vergleichsstudie „Sources in the News – Quellen in den Nachrichten“ nach. Sie haben dazu TV-Sender, Zeitungen und journalistische Onlineangebote in neun Ländern untersucht, darunter europäische, asiatische, südamerikanische Länder und außerdem Australien (Details siehe unten). Mit ihren Ergebnissen stellen sie einige etablierte Klischees über die Quellenarbeit von Medien infrage – etwa, dass Zeitungen und öffentlich-rechtliche Rundfunksender prinzipiell sorgfältiger vorgehen.

Das internationale Autorenteam rund um den emeritierten Politikprofessor Rodney Tiffen der University of Sydney will zunächst systematische Unterschiede in der Quellenarbeit in den verschiedenen Ländern aufzeigen. Außerdem fragt die Studie nach spezifischen Vorgehensweisen bei verschiedenen Medien wie TV oder Zeitungen und danach, wie sich öffentlich-rechtliche und private TV-Sender unterscheiden.

In allen Untersuchungsländern bis auf Kolumbien mit rein privaten Sendern wurden zwei unterschiedliche Nachrichtensender – je ein privater und ein öffentlich-rechtlicher Sender- untersucht. Zudem wählten die Forscher jeweils eine Qualitätszeitung und ein Tabloidformat in den Untersuchungsländern aus und betrachteten zudem die jeweils einflussreichste Onlinenachrichtenseite.Bei all diesen Medien führten sie quantitative Inhaltsanalysen der Beiträge aus drei Wochen zwischen Mai und Juni 2010 durch.

Britische Onlinejournalisten bieten größte Quellenvielfalt

Die Performance der Medien als Informationsvermittler kann nur so gut sein, wie die Informationsumgebung, in der sie arbeiten. Die Rahmenbedingungen für journalistische Recherche dürften in kollektivistisch geprägten Ländern wie Südkorea anders aussehen als in individualistischen Demokratien wie Großbritannien. Auch zwischen weit entwickelten Industriestaaten wie Kanada und Schwellenländern wie Kolumbien scheinen Unterschiede wahrscheinlich, genauso wie auch Länder mit einer großen sozialen Schere eine Sonderstellung einnehmen dürften – etwa Indien oder – als europäisches Beispiel – Italien. Deshalb entschieden sich die Wissenschaftler für ein großes und diverses Sample, das all diese Gesellschaftsformen abdeckt.

Um die journalistische Arbeit mit Quellen bewerten zu können, legen die Wissenschaftler einige Qualitätskriterien an. Eines davon ist die Zahl der verwendeten Quellen pro Beitrag, ein anderes die Balance zwischen verschiedenen zu Wort kommenden Gruppen.

Tatsächlich gibt es große Unterschiede mit Blick darauf, wie viele Quellen Journalisten in den verschiedenen Ländern und in verschiedenen Mediengattungen in ihre Beiträge einbinden.

Interessanterweise nutzen die britischen Onlinejournalisten mit Abstand die meisten Quellen: In den Artikeln traten im Schnitt 4,57 Quellen auf. Insgesamt liegt allerdings das Medium TV weit vor den anderen Formen, was die Quellenvielfalt angeht. Besonders stechen griechische TV-Journalisten hervor, sie nutzen durchschnittlich 4,03 Quellen pro Beitrag. Danach folgen die Japaner mit 3,73 Quellen und britische Journalisten mit 3,03 Quellen pro TV-Beitrag. Am wenigsten Quellen fanden die Forscher in den kolumbianischen TV-Beiträgen, dort kommen durchschnittlich nur 1,26 Quellen zu Wort.

Häufig gehen Medienforscher davon aus, dass Zeitungen weniger aktuellen Zwängen folgen müssen als TV- oder Onlinemedien und somit ihren Fokus eher auf ausführliche Hintergrundinformation legen können. Diese Annahme vor Augen erstaunen die Ergebnisse der Forscher um Rodney Tiffen: Die Zeitungen in ihrem Sample haben die geringste Quellenanzahl unter allen untersuchten Medien, sie verwenden im Schnitt nur 1,81 Quellen für einen Beitrag. Die italienischen Journalisten schneiden dabei mit 2,45 verwendeten Quellen am besten, die indischen Journalisten mit nur 1,28 Quellen am schlechtesten ab. Indien bildet gemeinsam mit Kolumbien auch insgesamt das Schlusslicht hinsichtlich der Quellenvielfalt.

Öffentlich-rechtliche Sender arbeiten nicht per se besser

Im internationalen Vergleich bestätigte sich also teilweise das Klischee, dass Medien in Schwellenländern weniger weit entwickelte Recherchestandards haben. Die häufig geäußerte These, dass öffentlich-rechtliche Rundfunksender per se höhere journalistische Ansprüche erfüllen, spiegeln die Ergebnisse der Studie dagegen nicht wider.

Zwischen den öffentlich-rechtlichen und den privaten Sendern gab es in vielen Ländern kaum Unterschiede. Ausnahmen stellten dabei Großbritannien und Australien dar: Während die Journalisten der britischen BBC im Schnitt drei Quellen für einen Beitrag verwendeten, kamen ihre Kollegen beim Privatkanal ITV nur auf 2,2 Quellen im Schnitt. Der australische öffentlich-rechtliche Sender ABC nutzte mit 2,6 Quellen im Schnitt ebenfalls etwas mehr als das private Programm Channel Seven mit 2,3 Quellen. Dieselbe Tendenz zeigte sich speziell in den beiden Ländern auch zwischen Qualitätszeitungen und Tabloidformaten, die im Schnitt deutlich weniger Quellen verwendeten als ihre Kollegen. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass sich vor allem in Märkten mit längerer journalistischer Tradition die erwartbaren Muster ausprägen. International übergreifende Aussagen lassen sich zu den Unterschieden zwischen den Medienformen aber nicht treffen.

Zusätzlich zur Anzahl der Quellen untersuchten die Forscher, inwiefern die Medien verschiedene Ansichten in ihre Beiträge einbringen und Konflikte abbilden. Dabei gehen sie davon aus, dass Konflikte, also unterschiedliche Meinungen in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, bei beinahe jedem Thema vorhanden sind. Die Informationen über diese Meinungsverschiedenheiten sind nach Ansicht der Wissenschaftler für die politisch interessierte Bevölkerung äußerst relevant.

Die Medien in Griechenland, Australien und Kanada legen am häufigsten Konflikte in ihren Beiträgen offen: In je 50, 45 und 43 Prozent der Beiträge fanden die Forscher in diesen Ländern divergierende Positionen. Dabei stachen die kanadischen Journalisten auch damit heraus, dass sie die Streitfragen und unterschiedlichen Positionen nicht nur benannten, sondern auch besonders oft Quellen mit verschiedenen Meinungen explizit zu Wort kommen ließen. Kolumbianische und südkoreanische Medien konnten das nicht annähernd leisten, sie bildeten nur in 13 beziehungsweise 5 Prozent der Beiträge überhaupt Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen ab.

Keine Chance für Opposition im italienischen TV

Die Balance zwischen verschiedenen Quellen ist insbesondere deshalb interessant, weil sich Eliten und vor allem regierende Eliten erfahrungsgemäß besonders leicht Gehör verschaffen können und somit die öffentliche Debatte dominieren. Das bestätigt die Studie der Wissenschaftler – in allen untersuchten Ländern dominieren Regierungsquellen im Vergleich zu oppositionellen Stimmen die journalistischen Beiträge. Am krassesten ist die Schere in Indien, wo die Regierung in der Politikberichterstattung anteilig 88 Prozent der Zitate einnimmt, während der Opposition nur ein geringer Wortanteil eingeräumt wird. In Japan bietet sich mit einem Verhältnis von 80 zu 20 Prozent der Nennungen ein ähnliches Bild, auch in Großbritannien ist das Ungleichgewicht mit dem Verhältnis 72 zu 28 Prozent sehr groß. Am häufigsten kommt die Opposition in Kolumbien zu Wort, sie wird dort in 39 Prozent der Fälle zitiert.

Besonders krass ist die Einseitigkeit in italienischen TV-Beiträgen des Privatfernsehens: Dort entfallen nur 2 Prozent der Zitate auf die Opposition, während die Regierung die restlichen 98 Prozent einnimmt. Die Autoren sehen die Verstrickung von Politik und Medien, die lange Zeit in Italien herrschte, als eine Ursache dafür: „Der länderspezifische Faktor, dass der allgegenwärtige Medienbesitzer Silvio Berlusconi im Untersuchungszeitraum Ministerpräsident war, ist die naheliegende Erklärung für dieses Ergebnis“, schreiben sie. Im italienischen Fernsehen tauchten in dieser Zeit neben oppositionellen Parteien auch zivilgesellschaftliche Gruppen besonders selten auf, was die Forscher als ein Problem für die politische Partizipation der gesamten italienischen Bevölkerung sehen. Schließlich können die Bürger ihre Meinung so nicht in die öffentliche Diskussion einspeisen.

Hinsichtlich dieser Partizipationsmöglichkeiten der Bürger, welche die Forscher als essenziell für eine gesunde demokratische Entwicklung ansehen, bestehen zwischen den Nationen insgesamt große Unterschiede:

Während in den australischen, kanadischen und griechischen Medien Stimmen aus der Zivilgesellschaft mit 55, 54 und 49 Prozent aller Nennungen recht häufig auftreten, gibt es in anderen Staaten ähnliche Probleme wie in Italien. So beträgt die Rate etwa in Kolumbien nur 36 Prozent.

Nationenübergreifend zeigt sich, dass Frauen in den zitierten Quellen noch stark unterrepräsentiert sind, vor allem in Südkorea und Indien. Während TV-Sender diese Geschlechterschere besonders oft aufbrechen und mehr Frauen einbeziehen als andere Medien, geben Zeitungen zivilgesellschaftlichen Stimmen insgesamt am meisten Raum. Mit Blick auf die Arbeit von Onlinemedien fällt auf, dass sie sich besonders häufig auf Experten oder Pressemitteilungen wissenschaftlicher Einrichtungen stützen. Dies führen die Autoren der Studie auf die geringe Manpower und den großen ökonomischen Druck zurück, der diese Redaktionen von breiteren Recherchen abhält.

UK und USA sind kein Maßstab für gesamten Westen

Mit ihren Ergebnissen stellen die Wissenschaftler um Rodney Tiffen aber auch einige gängige Vorurteile in Frage. Etwa jenes, dass Websites – die in ihrer Untersuchung die meisten Quellen einbinden –  nur Recycle-Journalismus betrieben.„Während einige dieser Redaktionen tatsächlich vor allem Inhalte wiederaufbereiten, haben andere bemerkenswerte eigene Fähigkeiten aufgebaut, um Informationen zu sammeln“, konstatieren die Autoren.

Und gleichzeitig erteilen sie anderen wohlfeilen Illusionen eine Absage. So lasse sich nicht pauschal sagen, dass Zeitungen per se eine hintergründige Nachrichtenquelle seien, so die Autoren: „Unsere Studie fand keine solche konsistenten Ergebnisse. Tatsächlich nutzten insbesondere die Tabloidzeitungen in Australien und Großbritannien weniger Quellen und achteten weniger auf ausgeglichene Perspektiven als die TV-Sender.“

Allerdings schränken die Autoren ein, allein an der Quellenanzahl könne man noch keine Qualität eines Beitrags ablesen. In ihrer differenzierten Betrachtung stellen sie fest, dass in Zeitungen häufiger Quellen aus dem verwaltungs- und dem zivilgesellschaftlichen Bereich zu Wort kommen. Das bringe häufig mehr Hintergrund als die Zitation von Regierungs- und Oppositionspolitikern, die sich nur einen spruchreifen Schlagabtausch liefern.

Insgesamt ziehen die Wissenschaftler aus ihrer Studie die Erkenntnis, dass man nicht automatisch von einer ähnlich strukturierten Medienarbeit in verschiedenen westlichen Industrienationen ausgehen kann. Damit setzen Tiffen und seine Kollegen auch eine Mahnung in Richtung der gesamten Medienwissenschaft ab: „Diese Erkenntnisse sind eine weitere Warnung vor unbedachter Generalisierung und vor der Vorstellung mancher Medienwissenschaftler, man könne einfach von anglo-amerikanischen Demokratien auf andere Nationen schließen, als seien sie die globale Norm.“

 

Hintergrund:

  • Die Studie vergleicht die Medienarbeit in Australien, Kanada, Kolumbien, Griechenland, Italien, Indien, Japan, Süd-Korea und im Vereinigten Königreich. Norwegen und die USA mussten wegen Datenmängeln aus dem Vergleich ausgeschlossen werden. Insgesamt lagen der Untersuchung 29.809 Nachrichteneinheiten zugrunde, davon 4683 TV-Berichte, 21.224 Zeitungsartikel und 3.892 Onlineartikel
  • Rodney Tiffen et al (2014): „Sources in the News“, In: Journalism Studies, Volume 15, Issue 4, 374-391

Bildquelle: Flickr.com, NASA Goddard Space Flight

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