Die Wissenschaft der Gestirne sollte keine Nische im Feuilleton sein, sagt EJO-Autor Roman Winkelhahn – auch der Wissenschaftsjournalismus sollte insbesondere vor dem Hintergrund des Klimawandels vermehrt auf Themen aus der Astronomie eingehen.
Die antiken Astronomen nannten die grauen Flecken auf jener Seite des Mondes, die stets der Erde zugewandt sind, mare – Meer. Heute sind wir weiter: Meilensteine wie die erste Mondlandung im Jahr 1969, die Erforschung des Planeten Mars seit den 70ern, der Start des Hubble-Teleskops im Jahr 1990 oder das erste Foto eines schwarzen Lochs vor zwei Jahren sind Rahmenpunkte eines halben Jahrhunderts moderner Weltraumforschung, die uns lehrt, nicht nur das Universum, sondern auch unseren eigenen Planeten, die Erde, von Tag zu Tag besser zu verstehen.
Wissenschaftsjournalisten spielen in diesem Kontext eine Schlüsselrolle: Sie wirken als Übersetzer zwischen Fachjargon und Laiensprache, brechen Themen so herunter, dass sie für Nicht-Astronomen verständlich und nachvollziehbar sind und ihre Relevanz für die Allgemeinheit deutlich wird.
Mythen und Verschwörungen
Vor allem in den US-amerikanischen Medien wird die Astronomie nicht selten in Form suggestiven Halbwissens oder gefährlich gezogener Parallelen zwischen Astronomie (Wissenschaft) und der Astrologie (okkulte Pseudowissenschaft) zu Unterhaltungszwecken herangezogen: auf der Suche nach extraterrestrischem Leben oder zur Untermauerung abstruser Theorien, die teilweise bis ins verschwörerische Spektrum reichen. Problematisch wird das vor allem dann, wenn ein Sender wie der in den USA durchaus beliebte History Channel einerseits wissenschaftlich fundierte Dokumentationen über das Universum zeigt, dann aber am selben Tag beispielsweise Episoden aus der als Doku-Serie getarnten Reihe Ancient Aliens („Außerirdische der Antike“) sendet. Dort kommen vermeintliche Experten wie der Schweizer Autor Erich von Däniken zu Wort, der von frühen Begegnungen zwischen Menschen und Außerirdischen überzeugt ist.
Die richtigen Fragen
In deutschen Medien ist die Situation eine andere. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung und der Spiegel haben auf ihren Websites innerhalb ihrer Ressorts „Wissen“ bzw. „Wissenschaft“ jeweils eine eigene Rubrik „Weltraum“ bzw. „Weltall“. Das ZDF bietet in seiner Mediathek eine Auswahl von Beiträgen zum Thema Weltraum an und der Deutschlandfunk sendet täglich die „Sternzeit“, außerdem fragt Deutschlandfunk Nova in seiner Mediathek: „Wann fliegen wir endlich zum Mars?“.
Dennoch fällt auf, dass Astronomie-Themen in den Medien nicht unbedingt auf dem Silbertablett serviert werden: Wer interessiert ist, der sucht aktiv nach ihnen. Während SpaceX und Weltraumtourismus auf Start- und Titelseiten erwähnt werden, verschwindet die Frage danach, was wir von der Astronomie über die akuten Probleme unserer Zeit lernen können, im Feuilleton zwischen Artikeln über Haarewaschen im All und Rauchalarm auf der ISS.
Sonderrolle Astronom
Das Thema Klimawandel macht beispielhaft deutlich, was eine Symbiose von Astronomie und professionellem Wissenschaftsjournalismus leisten kann. Astronomen haben den Vorteil, dass sie – im Gegensatz zu Journalisten – von der Allgemeinheit als ausgesprochen vertrauenswürdig angesehen werden (vgl. Skinner & Clemence 2019). Laut Anderson und Maffey (2021: 861) nehmen Astronomen vor allem deshalb eine Sonderrolle ein, weil die „Natur ihres Faches“ als „spannend“ wahrgenommen werde. Des Weiteren merken die Autorinnen an, dass die Astronomie zu jedem Thema eine Vielzahl von Zugängen biete. Im Kontext des Klimawandels nennen sie als Beispiele die Geschichte des Klimas auf erdähnlichen Planeten sowie die Tatsache, dass aktuell keiner dieser Planeten als alternativer Lebensraum für Menschen in Frage kommt (vgl. Anderson & Maffey 2021: 861). Doch es geht noch viel grundsätzlicher: Wissenschaftsjournalisten können bei gängigen Astronomie-Irrtümern ansetzen und beispielweise erklären, dass die Jahreszeiten nichts – wie fälschlicherweise oft angenommen – mit der sich ändernden Entfernung der Erde zur Sonne während eines Jahres zu tun haben, sondern vielmehr auf die Neigung der Erdachse zurückzuführen sind.
Storytelling statt Informationsflut
„Kommunikation ist der Schlüssel“, schreiben Williamson, Rector und Lowenthal (2019: 5) in ihrem Paper „Embedding Climate Change Engagement in Astronomy Education and Research“. Eine schlechte Wissenschaftskommunikation könne Probleme verschlimmern und „Zweifler in ihren Überzeugungen bestärken“, so die Autoren. Williamson, Rector und Lowenthal schlagen vor, bloße Informationsnarrative mit „Storytelling“ zu ersetzen und dabei vor allem die konkreten Probleme in den Fokus zu nehmen, die für das Publikum Alltagsrelevanz haben (siehe dazu auch Anderson & Maffey 2021: 861-862).
Die Autoren zeigen, über welche Pfade Astronomen in Lehre und Forschung dem Ziel, „das Bewusstsein für den Klimawandel in der Astronomie zu verankern“, nachgehen können: In ihrem Modell formulieren sie konkrete Beispiele für Anknüpfungspunkte zwischen Astronomie und Öffentlichkeit (“Example change ideas”). Diese Problematiken wiederum können über zwei primäre Wege (“Primary drivers”) getragen werden: Bildung und Öffentlichkeitsarbeit (“Education and Outreach”) sowie Forschung und Forschungsinfrastruktur (“Research Practice and Infrastructure”). Unter den sekundären Wegen (“Secondary drivers”) fassen die Autoren detailliert jene Mittel zusammen, die unter den jeweiligen Primärfaktor fallen.
Die entsprechenden Elemente, die die Forscher in ihrem Paper formulieren, können auch auf den Wissenschaftsjournalismus übertragen werden: Indem Journalisten Informationen aus der Forschung aufnehmen, mit Forschern ins Gespräch kommen und Veranstaltungen, Vorträge und Veröffentlichungen zu Themen wie dem Klimawandel aufgreifen, können sie das Bewusstsein der Leserschaft für diese und ähnliche Problematiken schärfen. Der Wissenschaftsjournalismus steht dabei im traditionellen Sinne der Systemtheorie auf der Schnittstelle zwischen den beiden Primärfaktoren Bildung/Öffentlichkeit und Forschung/Infrastruktur.
Neue Perspektiven eröffnen
Das Verständnis von Wissenschaftsjournalismus hat sich in den vergangenen Monaten grundlegend verändert. Das Wissensressort hat sich von den Panorama-Seiten im letzten Zeitungsbuch zum Alltagsratgeber gewandelt – und Preisregen über Wissenschaftsjournalismus-Pionierinnen wie Mai Thi Nguyen-Kim haben die Bedeutung dieser Entwicklungen unterstrichen.
Wissenschaftsjournalisten, die über Astronomie berichten, müssen auch das Bewusstsein für Probleme stärken, die für die Allgemeinheit noch gar nicht unbedingt als solche erkennbar sind. Dazu zählen die Vermüllung des Erdorbits, die vor allem durch die Unternehmungen von SpaceX und anderen Weltraum-Unternehmen verstärkt wird, und die globale Lichtverschmutzung. Beide Faktoren erschweren die astronomische Forschung und somit die Suche nach Lösungen für Probleme wie den Klimawandel.
Quellen:
Anderson, A. & Maffey, G. Five steps for astronomers to communicate climate change effectively. Nature Astronomy 5, 861-863 (2021). https://doi.org/10.1038/s41550-021-01481-2
Clemence, M. (2021). Doctors become the world’s most trusted profession. Zuletzt abgerufen am 20. Oktober 2021 von https://www.ipsos.com/en/global-trustworthiness-index-2021
Williamson, K., Rector, T. A. & Lowenthal, J. (2019). Embedding Climate Change Engagement in Astronomy Education and Research. https://arxiv.org/ftp/arxiv/papers/1907/1907.08043.pdf
Bildquelle: Donald Giannatti/Unsplash
Schlagwörter:Astronomie, Klimawandel, Weltraumforschung, Wissenschaftsjournalismus