Wahlkampf findet im Politikeralltag statt, Tag für Tag. Für das Kampagnenmanagement ist die digitale Darstellung der Kandidaten schon lange wichtig, um Wählerstimmen zu gewinnen. Ob patriotisches Auftreten vor der Nationalflagge oder in die Kamera lächelnd beim Bad in der Anhängermenge – diese visuelle Kandidatendarstellung spielt auch für TV-Redakteure eine große Rolle.
Der Jenaer Kommunikationswissenschaftler Michael Sülflow und Frank Esser, Professor für International & Comparative Media Research an der Universität in Zürich, haben kürzlich die Ergebnisse einer Studie zu der visuellen Kandidatendarstellung in zwei US-amerikanischen sowie zwei deutschen Sendern aus den Wahlkämpfen 2008 und 2009 veröffentlicht. Dazu wurden die inhaltlichen Darstellungsmerkmale der Kandidatenauftritte in den Flaggschiff-Nachrichtensendungen ABC World News, NBC Nightly News, RTL Aktuell und ARD Tagesthemen erhoben. Den Wissenschaftlern ging es dabei um den journalistischen Einfluss durch Sound Bites (O-Ton-Länge), Image Bites (Länge der O-Ton-Geber im Bild) und um Selektionsprozesse bei der nonverbalen Darstellung. Dies wurde vor dem Hintergrund von Inszenierungsstrategien des Kampagenmanagements untersucht.
Die quantitative Inhaltsanalyse zeigt, dass gerade Image Bites einen hohen Stellenwert haben. Die Spitzenkandidaten Barack Obama und John McCain, sowie Kanzlerin Angela Merkel und mit deutlichen Abstrichen auch Frank-Walter Steinmeier, sind präsenter als Vizekandidaten und Kandidaten der anderen Parteien. In Deutschland zeigt sich ein Amtsinhaberbonus – auch was die visuelle Präsenz in O-Tönen betrifft. Dagegen findet in den USA eine ausgewogenere Visualisierung statt.
Mit Blick auf die Sound-Bite-Längen lässt sich der Studie zufolge ein Rückgang festmachen. Sülflow und Esser bemerken: „Vor allem in den USA fragmentieren die Macher der Fernsehnachrichten O-Töne von Politikern.“ Auch wenn das so drastisch für Deutschland noch nicht festzustellen ist, lässt sich doch eine Annäherung, vor allem bei den privaten RTL Nachrichten, feststellen. „Der steigende Einsatz von rein visuellen Segmenten mag dazu führen“, so Sülflow und Esser, „dass Zuschauer sich vermehrt Meinungen anhand nonverbaler Eindrücke bilden und Journalisten neben der Gewichtung von Ton- und Bildsegmenten und kritischer Kommentierung auch Einfluss auf die optische Darstellung haben.“
Besonders in den USA bekommen die Fernsehzuschauer inszenierte Settings von Wahlkampfauftritten zu sehen: Bejubelt von Anhängern, im Kontakt mit Normalbürgern und Auftritte mit der Familie sind die Politikerbilder, die im US-TV gezeigt werden. In Deutschland tauchen die Kandidaten häufig als staatsmännische Typen in politiknahen Handlungsräumen auf. Zurückzuführen ist dies laut Sülflow und Esser auf das medienzentrierte System in den USA, wohingegen das deutsche System eher der politischen Logik folgt. „Bei der mediennahen Darstellung werden deutsche Kandidaten häufig im Umkreis von Kameras und Reportern dargestellt“, erklären die Autoren der Studie. In den USA ist ein solches Bild fremd. Die Politiker sind bestrebt, nicht die Kommunikationskontrolle durch die Nähe zu Journalisten zu verlieren.
Mehr transnationale Homogenität besteht hingegen bei dem nonverbalen Verhalten der Politiker. Überwiegend positiv mit zuversichtlicher Ausstrahlung wirkt der Auftritt der Politiker sowohl in den USA als auch in Deutschland deswegen, weil durch die gut geplante Kampagnenführung ein strategischer Einsatz von negativen Bildsegmenten nur im geringen Maße zugelassen werde. Die Kampagnenmanager haben bereits erkannt, wie relevant der visuelle Eindruck der Politiker ist.
Auch in der Kommunikationswissenschaft reichen Studien nur zur verbalen Äußerung in Fernsehnachrichten nicht aus. Sülflows und Essers Erkenntnisse sind deshalb bei der nächsten Wahl eine wichtige Grundlage, um auf deren Basis weiterforschen und wesentliche Trends ausmachen zu können – ganz unabhängig von Kandidatenkonstellationen. Denn nach der Wahl ist vor der Wahl.
Quelle:
Sülflow, Michael/Esser, Frank (2014). Visuelle Kandidatendarstellung in Wahlkampfbeiträgen deutscher und amerikanischer Fernsehsender – Image Bites, Rollenbilder und nonverbales Verhalten. In: Publizistik, 59, S. 285-306.
Bildquelle: Dirk Vorderstraße/flickr.com
Schlagwörter:Deutschland, Frank Esser, Kampagnen, Michael Sülflow, USA, Wahlberichterstattung, Wahlkampf