Glaubwürdigkeit zum Anzeigenpreis

20. Januar 2020 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik, Redaktion & Ökonomie • von

Finanzieller Druck zwingt Medien zu neuen Werbeformen. Native Advertising ist eine vielversprechende Einnahmequelle. Doch sie schade der Glaubwürdigkeit von Journalismus, sagen Kritiker. Die Kommunikationswissenschaft liefert die Daten dazu.

Animierte Bilder von einem Stargrafiker gezeichnet, Audioinhalte als Ergänzung, ein aufwändiges Layout: Das Online-Longform der New York Times von 2014 mit dem Titel „Women Inmates“ wurde zu einem vermeintlichen Vorzeigebeispiel für die aufwändige Darstellungsform. Doch vereinzelt erkannten selbst Kenner der Medienbranche nicht dessen Natur. Am Seitenkopf prangte das Label von Netflix und passenderweise fiel das Publikationsdatum auf den Staffelstart einer fiktiven Serie des Bezahlsenders über das Artikelthema: weibliche Gefängnisinsassen.

Es handelte sich um einen Artikel mit werblichem Zweck, eine Anzeige, die im stilistischen wie gestalterischen Gewand redaktioneller Inhalte der New York Times erschien. Die Rede ist von sogenanntem Native Advertising. Mittlerweile ist dieses omnipräsent, 2014 war es bereits auf jüngeren Online Pure Playern wie Buzzfeed gängig, doch unter den etablierten Medien war einmal mehr die New York Times in der Vorreiterrolle und lieferte ein erstes und bis heute häufig zitiertes Beispiel mit besagtem Longform. Doch ganz neu war das Phänomen nicht und hierzulande etwa in der Regionalpresse mit sogenannten Sonderbeilagen bekannt. Diese sind ähnlich dem journalistischen Kernprodukt gelayoutet, haben häufig einen speziellen Themenfokus und erscheinen mit bezahlten, häufig von Redakteuren verfassten Artikeln.

Mit den Möglichkeiten im Internet und unter dem Eindruck zunehmender Werbekonkurrenz professionalisieren Verlage sich zunehmend in dem Bereich – ein internationales Phänomen, das auch in Deutschland um sich greift. Native Advertising ist ein Gegengewicht zur schwächelnden Banner-Werbung, deren Klickraten sinken – etwa wegen Bannerblindheit, Ad-Blockern und mobilem Internet. So blenden Rezipienten Werbung automatisch aus, werden blind für die plakative, klassische Werbeform. Neben dieser Ignoranz schützen sie sich zunehmend mit Ad-Blockern vor lästigen Werbeinhalten; deren Anteil lag 2017 bereits bei rund 25 Prozent – Tendenz stetig steigend (BVDW 2018). Zudem ergeben sich mit dem mobilen Internet Darstellungsprobleme für Banner. Native Advertising hat diese Probleme nicht. Die Rezeptionsgewohnheiten der jeweiligen Leserschaft kennen die Verlage am besten und so sind sie selbst die idealen Produzenten für entsprechende Artikel und nicht etwa Marketingagenturen. Folglich verfügt heute die große Mehrheit der Verlage über spezialisierte Abteilungen oder Tochterfirmen.

Die nationale wie internationale Expansion von Native Advertising befördert eine Grundsatzdebatte, die sich zwischen zwei Polen abspielt: Die Befürworter sprechen von einem Nutzwert auch für Rezipienten, die beim Informationskonsum weniger gestört werden und komplexe Inhalte statt simpler Werbebotschaften erhalten (siehe etwa VDZ 2018, p. 2). Hingegen sprechen die Kritiker von Betrug am Rezipienten, dem verschleierte Werbe- als redaktionelle Inhalte untergejubelt werden.

Die Befürworter: Native Ads und Journalismus als erfolgreiches Duo

Befürworter sind überzeugt, „dass Native Advertising und Qualitätsjournalismus ein erfolgreiches Duo sein können“ und sich Publisher so eine Finanzquelle jenseits der Bannerwerbung erschlössen. Das sagen etwa Tuna und Ejder (2019, p. 41) in ihrem Buch über Native Advertising. Diese gibt einen umfangreichen Überblick zu Entstehung, Funktion und Umsetzung von Native Advertising in Abgrenzung zu anderen Marketinginstrumenten.

Die wenigen selbstgenerierten Daten in Tunas und Ejders Publikation basieren auf einer Umfrage von Branchenvertretern und nicht von Journalisten oder Nutzern. Die Ergebnisse sind daher wenig überraschend: „Die Mehrheit der Befragten (rund 73 % bzw. 80 %) [ist] überzeugt davon, dass Native Advertising, trotz werblichem Hintergrund, von den Nutzern als glaubwürdig und […] deutlich positiver als Bannerwerbung […] wahrgenommen wird.“ (p. 100–101)

Die Kritiker: Fake Stories und Lesertäuschung

Die Kommunikationswissenschaftler Amazeen und Muddiman (2018, p. 179, 185) widersprechen dem nicht und kommen zu dem Ergebnis, dass Native Advertising Glaubwürdigkeit genießt – allerdings vor allem, wenn User es nicht als Werbeinhalt identifizieren. Erkennen Nutzer die werbliche Natur eines entsprechenden Artikels, verschlechtert sich ihre Bewertung; ihr Vertrauen in Trägermedium wie Werber sinkt. Die logische Schlussfolgerung: Je besser Native Advertising seinen werblichen Zweck verschleiert, umso glaubwürdiger ist es und damit umso effizienter. In einer Studie von Schauster et al. (2016, p. 1413–1414) finden befragte Journalisten dafür klare Worte: Per se und ganz bewusst sei Native Advertising irreführend und verbreite Lügen sowie Fake Stories. Das in einer Zeit, in der das Vertrauen in den Journalismus sinkt und Medien regelmäßig Vorwürfe abwehren müssen, ‚Fake News‘ zu verbreiten.

Schauster et al. befragten drei Akteursgruppen, die relevant für die Produktion von Native Ads sind: Marketers, Öffentlichkeitsarbeiter und Verleger. Hingegen stellten Amazeen und Muddiman Nutzer in den Fokus ihrer Studie und führten ein Online-Experiment durch. Mit diesem verglichen sie, wie die 443 Studienteilnehmer einen unabhängigen Artikel, ein Native Advertising mit und ein weiteres ohne Vorwarnung zu dem werblichen Zweck wahrnehmen und bewerten. Zudem interessierten sich die beiden Wissenschaftler für die Rolle des Trägermediums. Sie legten ihr Studiendesign für den Vergleich sogenannter Legacy Publisher mit Media Start-ups an und stellten die Bewertungen der Studienteilnehmer für die beiden Kategorien gegenüber.

Beispiele aus Deutschland

Hierzulande sind am ehesten die überregionalen Qualitätszeitungen das Pendant für die US-amerikanischen Legacy Publisher. Der Vergleich mit jüngeren, reinen Online-Portalen ist ebenfalls auf die deutsche Situation übertragbar – dafür die Beispiele Spiegel Online und Zeit Online. Beide lancierten mit Bento und ze.tt eigenständige Online-Angebote, die abweichende Berichterstattungsweisen für ein Publikum jenseits der angestammten Zielgruppe testen sollen. Darüber hinaus sind die beiden jungen Webseiten Testlabor für neuartige Werbeformen, welche mittlerweile längst auch auf Spiegel und Zeit Online erscheinen.

Sie alle betonen die strikte Trennung von Werbung und Redaktion. So heißt es etwa bei ze.tt: „ze.tt verdient neben klassischer Bannerwerbung auch Geld mit […] Native Advertising. Branded Contents wie Sponsored Posts / Podcasts / Video / Kooperationen sind werbliche Beiträge, die ze.tt im Auftrag eines Werbekunden erstellt. Dafür ist […] ein Team zuständig, das ausschließlich […] Branded Content-Formate [sic] erstellt und keine redaktionellen Inhalte für ze.tt verfasst.“

Den eigenen Angaben zufolge behandelt ze.tt das Thema also entsprechend des journalistischen Gebots der Unabhängigkeit. Doch jenseits des individuellen Falls heißt es immer wieder, dass Verlage Native Advertising nicht ausreichend markieren.

Transparenz ist imperativ

In der Richtlinie 7.1 des Pressekodex heißt es: „Bezahlte Veröffentlichungen müssen so gestaltet sein, dass sie als Werbung für den Leser erkennbar sind. Die Abgrenzung vom redaktionellen Teil kann durch Kennzeichnung und/oder Gestaltung erfolgen.“ In einer Pressemitteilung von Dezember 2018 erinnerte der Presserat „Redaktionen daran, redaktionell gestaltete Werbung deutlich zu kennzeichnen und […] erkennbar vom redaktionellen Teil abzugrenzen“. Da sich Native Advertising per Definition in der Gestaltung nicht oder nur marginal abhebt, ist eine eindeutige Kennzeichnung umso wichtiger. „Bezeichnungen wie ‚Advertorial‘, ‚Sponsored Post‘ oder […] ,Sonderveröffentlichung‘ reichen nicht aus und stellen kein presseethisch anerkanntes Synonym für Werbung dar“, so der Presserat in besagter Mitteilung.

Entsprechend auch die Forderung von Amazeen und Muddiman (2018, p. 188): Verleger sollten Native Advertising am besten zusätzlich etwa noch mit aufpoppenden Warnhinweisen versehen. Mit unzureichender Kennzeichnung ignorierten sie Anforderungen an Transparenz – obwohl sie diese in der Rolle als Watchdog immer wieder einfordern. Oder die Verleger würden Ergebnisse der Kommunikationswissenschaft negieren, spekulieren Amazeen und Muddiman weiter. Das Ergebnis ihrer Studie: Werber und vor allem Trägermedium büßen Glaubwürdigkeit ein, sobald Rezipienten Native Advertising als getarnte Werbung erkennen. Das gilt für Legacy Media wie für Media Start-ups, für letztere aber umso mehr. Die Ergebnisse von Iversen und Knudsen (2019) bestätigen das speziell für politische Berichterstattung und Native Advertising von Parteien.

Angesichts wirtschaftlichen Zwangs ist verständlich, dass sich Verlage neue Geldquellen erschließen und Native Advertising als genau solche nutzen. Doch die transparente Trennung von redaktionellen und werblichen Inhalten ist imperativ, damit sie ihre Glaubwürdigkeit nicht zum Anzeigenpreis verscherbeln.

Zum Thema auf EJO: Kurzfristiger Gewinn, langfristiger Verlust – Interview mit Presseratsmitglied Johannes Endres zum Thema Native Advertsing

 

Literatur

Amazeen, Micherlle A. and Ashley R. Muddiman. 2018. “Saving Media or Trading on Trust? The effects of Native Advertising on Audience Perceptions of Legacy and online News” Digital Journalism 6(2):176-195.

Iversen, Magnus Home. 2019. “When Politicians go native: The Consequences pf political native advertising for citizens’ trust in News” Journalism. 20(7):961-978.

Langer, Ulrike. 2016. “Fokus USA: Aus der Werkstatt von ‚New York Times‘ und ‚Washington Post‘“ BDZV. Native Advertising. Optionen für Zeitungsverlage:76-79. https://www.bdzv.de/fileadmin/bdzv_hauptseite/markttrends_daten/BDZV-Reader_Native_Advertising.pdf

Schauster, Erin E., PatrickFerrucci and Marlene S. Neill. 2016. “Native Advertising is the New Journalism” American Behavioral Scientist 60(12):1408-1424.

Tuna, Coskun and Cevahir, Ejder. 2019. “Native Advertising. Digitale Werbung mit neuen Formaten.” Wiesbaden: Springer Gabler.

 

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