Der russische Radiosender Vesti FM, der zur Allrussischen staatlichen Fernseh- und Radiogesellschaft (ВГТРК) gehört, startete Mitte Oktober eine ungewöhnliche Aktion: Er lancierte auf seiner Website das Projekt Migranten in Moskau (Москва Мигрантская) – eine Applikation, die auf einer interaktiven Karte anzeigt, wo sich größere Gruppen vermeintlich illegaler Einwanderer aufhalten.
Nicht nur Journalisten, sondern auch Nutzer konnten die Karte mit Daten befüllen, wobei die Macher der App Quellenangaben vermieden. Dementsprechend verlangte die Anwendung dies auch nicht von den Nutzern. Einige Informationen wurden mit dem Hinweis „laut Radiohörern“ versehen, bei anderen fehlte die Quelle gänzlich. Ein Gebiet auf der Karte wurde scheinbar willkürlich als „potenzieller Arbeitsplatz von Migranten“ gekennzeichnet.
Das Projekt wurde einige Tage nach gewaltsamen fremdenfeindlichen Ausschreitungen im Moskauer Viertel Birulevo gestartet, zu einem Zeitpunkt, als die Haltung gegenüber Fremden in Russland ohnehin bereits feindselig war und zu kippen drohte. In diesem Klima war die App „Migranten in Moskau” eine rassistische Waffe, mit der die Möglichkeiten sozialer Medien und von Nutzern generierte Inhalte missbraucht wurden.
Im November wurde das Projekt offiziell beendet, nachdem Aktivistengruppen eine Petition gestartet hatten, welche das Verbot des „extremistischen Projekts“ forderte. Die Autoren der Petition argumentierten, das Projekt verletze die Regeln der Sittlichkeit, indem es Feindseligkeit zwischen verschiedenen nationalen und sozialen Gruppen schüre, den Geboten der Menschlichkeit widerspreche und Massenunruhen provoziere.
Doch die Seite ist immer noch erreichbar und wird weiterhin aktualisiert, im November etwa mit Daten des Nationalen Migrationsservice, die neue Orte als Hotspots von illegalen Migranten auf der Karte markierten. Das gesamte Ereignis spiegelt die Attitüde der russischen Medien wider, aufkommende rassistische Strömungen noch stärker anzustacheln und ohnehin schon aggressive Stimmung weiter aufzuheizen.
Es gibt keine eindeutige Verbindung zwischen der Berichterstattung russischer Medien und der wachsenden Feindseligkeit gegenüber Ausländern, doch die Zunahme von nationalistischen Haltungen scheint Hand in Hand zu gehen mit den tendenziösen Veröffentlichungen der russischen Medien über Einwanderer und Zuwanderung. Regierungsnahe Medien zitieren häufig Daten des Innenministeriums und behaupten, diese Daten bewiesen, dass in Großstädten die Hälfte aller Verbrechen von Zuwanderern verübt würden. In Wahrheit steht auf der Website des Innenministeriums, dass 2013 weniger als drei Prozent der insgesamt 1,3 Millionen Straftaten in Russland von eingewanderten oder staatenlosen Personen verübt worden seien.
Der Leiter des Nationalen Migrationsservice der Region Rostov Oblast, Viktor Solodovnikov, sagte in einem Interview mit dem russischen Webportal Utro.ru dass es häufig zu Verwirrung komme ob falscher Interpretationen des Begriffs „Migration“, die auch Migrationsbewegungen innerhalb der Russischen Föderation umfasse. Egal, ob es nunIgnoranz ist oder gezielte Verfälschung von Tatsachen – der Tonfall in den Medien gestaltet sich gegenüber bestimmen Zuwanderergruppen immer feindseliger. Die Nationalität eines verdächtigen oder bereits überführten Kriminellen wird oft bereits in der Überschrift thematisiert, wenn die Person aus Zentralasien oder dem Kaukasus stammt.
Das ist nicht der Fall, wenn die Straftat von einem Russen, einem Ukrainer oder einer Person anderer „eher slawisch“ anmutender Nationalität verübt wurde.
Eine (leider nur auf Russisch verfügbare) Studie aus dem Jahr 2007 zur Berichterstattung über Einwanderer in Russland von Tatyana Skrebtsova, Wissenschaftlerin an der staatlichen Universität Saint Petersburg, zeigt: Das Bild von Arbeitsmigranten in Russland ist generell ziemlich negativ, ungenau und meist eher mit der Vorstellung von Migranten aus dem Kaukasus und aus Zentralasien verknüpft. Der Blick auf eher slawisch anmutende ukrainische und moldawische Zuwanderer ist nicht annähernd so vorurteilsbehaftet.
Kaukasier oder Personen aus zentralasiatischen Regionen mit ungepflegtem Aussehen und ansteckenden Krankheiten, die wenig bis kein Russisch sprechen – so sieht laut Skrebtsova ein weit verbreitetes Vorurteil von „dem Migranten“ aus. Die so gezeichneten stereotypen Personen bereiten in der Logik der entsprechenden Medienberichterstattung soziale Probleme für russische Bürger und beschädigen die nationale Wirtschaft, indem sie Geld in ihre Heimatländer schicken.
Skrebtsova betont, dass diese Medieninhalte eine große semantische Ähnlichkeit mit den Komponenten der rassistischen Ideologie ähneln, die der niederländische Wissenschaftler Teun A. van Dijk 1991 in seinem Werk Racism and the Press beschrieben hat.
Tatyana Skrebtsova beschreibt, dass sich die Berichterstattung über Zuwanderer in Russland im Zeitverlauf immer stärker emotionalisiert hat. Die Medien verwenden häufig Ausdrücke wie „Ansammlungen von Drogendealern“, oder sie sprechen von „Wegelagerern“ die „Tod und Zerstörung über Russland bringen“ und „die Strukturen der lokalen Bevölkerung beschädigen“. Zuwanderer werden in Artikeln und Beiträgen häufiger als je zuvor mit Adjektiven wie legal/illegal, gewollt/ungewollt, gut/schlecht, nützlich/nutzlos/schädlich assoziiert.
Journalisten, die für die traditionellen russischen Medien arbeiten, werden laut Skrebtsova von ihren Redaktionen unter Druck gesetzt, diese Vorurteile in ihrer Berichterstattung zu reproduzieren – egal, ob sie daran glauben oder nicht. Skrebtsova stellt fest, dass die Personen, die in Russland die politische Agenda bestimmen, das Thema Zuwanderung in einer überreizten, emotionalisierenden Art und Weise betrachten. Für einen differenzierten Blick auf den Einzelfall vor dem Hintergrund von Recht und Gerechtigkeit ist demnach kein Platz.
Dieser Artikel nutzte als Quelle unter anderem diese Studie: Tatyana Skrebtsova (2007) “Image of a Migrant in Contemporary Russian Media” (Образ Мигранта в Современных Российских СМИ), erschienen in Political Linguistics (Политическая Лингвистика), 3/23, S. 115-118.
Original-Artikel auf Englisch: User Generated Racism: Russia’s media and migrants
Übersetzt aus dem Englischen von Karen Grass
Schlagwörter:10 vor 10, App, fremdenfeindlich, Migranten in Moskau, Nutzer, Rassismus, russische Medien, Russland, Vesti FM