Öffentlicher Rundfunk in Europa: Marktanteile variieren stark

23. April 2018 • Internationales, Qualität & Ethik • von

© Raluca Radu

Jedes Land in Europa hat öffentlich-rechtliche Medien – Reichweite, Ressourcen und Glaubwürdigkeit unterscheiden sich aber deutlich, wie eine Analyse des European Journalism Observatory zeigt.

Das Team des European Journalism Observatory (EJO) hat den öffentlichen Rundfunk in zehn europäischen Ländern unter die Lupe genommen: Deutschland, Großbritannien, Italien, Lettland, Polen, Portugal, Rumänien, Schweiz, Tschechien und Ukraine. Im ersten Teil der Studie zeigte sich bereits, dass die Budgets der öffentlich-rechtlichen Medien in Europa stark schwanken und sie keine einheitliche finanzielle oder organisatorische Strategie aufweisen.

Hauptergebnisse:

Die Studie demonstriert, dass politischer und ökonomischer Druck die Arbeit und den Marktanteil der Öffentlich-Rechtlichen generell beeinflussen, dieser Einfluss aber stark schwankt.

  1. In der Schweiz, Deutschland und Großbritannien hat der öffentliche Rundfunk eine starke Stellung; in diesen Ländern erreicht das öffentlich-rechtliche Radio mehr als die Hälfte des Publikums.
  2. In der Ukraine, Rumänien, Portugal und Italien sind die Öffentlich-Rechtlichen starker Konkurrenz ausgesetzt, sodass sowohl das öffentlich-rechtliche Radio als auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen weniger als 20 Prozent des Publikums erreichen.
  3. Die finanzielle Unterstützung, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk erhält, ist mit Forderungen nach Verantwortung und Accountability verbunden. Diese gehen vom Publikum, aber auch von der Politik aus.

Marktanteile

Die Analyse zeigt, dass sowohl ein großer Medienmarkt als auch eine gute Finanzierung für große Marktanteile des öffentlichen Rundfunks sorgen. Im Deutschland, Großbritannien, Italien und der Schweiz kontrollieren die öffentlichen Fernsehsender ein bis zwei Drittel des Marktes.

Die deutschen öffentlich-rechtlichen TV-Sender haben insgesamt einen Marktanteil von rund 45 Prozent, ARD und ZDF erreichen dabei etwa 12 bzw. 13 Prozent der Zuschauer, die neun Regionalsender der ARD zusammen etwa 12 Prozent der Zuschauer. In der Schweiz beträgt der Marktanteil der SRG SSR etwa 31 Prozent.

Das tschechische und das polnische öffentlich-rechtliche Fernsehen nehmen 23,1 bzw. 29,4 Prozent des Publikumsmarktes ein. Lettische und portugiesische öffentlich-rechtliche Medien erreichen nur 14,8 bzw. 16,3 Prozent des Publikums.

Mit einem historischen Tief von 3,5 Prozent Marktanteil im Jahr 2016 scheint das rumänische öffentlich-rechtliche Fernsehen TVR im europäischen Vergleich der untersuchten Länder (s. Abb. 1) das schwächste zu sein. Der geringe Marktanteil begründet sich durch starke Konkurrenz und eine strikte Sparpolitik. Um die Schulden der Fernsehanstalt zu mindern, wurden die Zuschüsse für alle Produktionen mit Ausnahme von Nachrichtensendungen gekürzt. Um Zuschauer zurückzugewinnen, experimentierte TVR mit Experten-Talkshows, die auf anderen rumänischen Fernsehsendern sehr erfolgreich waren. Aber andere zu kopieren, zahlte sich für das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Rumänien letztendlich nicht aus: Bis Ende 2017 sind die Marktanteile nicht gestiegen.

Abb. 1: Die Markanteile der öffentlich-rechtlichen TV-Sender variieren von etwa 45 Prozent in Deutschland bis zu 3,5 Prozent in Rumänien. Quellen: KEK – Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich, Deutschland,, 2016; BBC, Großbritannien, 2016; RAI, Italien, 2016; SRG SSR, Schweiz, 2016; TVP, Polen, 2016; ČT, Tschechien, 2015; RTP, Portugal, 2017; TVR, Rumänien, 2016; LTV, Lettland, 2016.

Öffentlich-rechtliche Radiosender sind in den meisten untersuchten Märkten marktführend. Grund dafür ist, wie auch schon Teil 1 unserer EJO-Studie zeigte, ein besserer Zugang zu finanziellen Ressourcen. In England, Deutschland und der Schweiz nehmen sie mit mehr als 50 Prozent Marktanteil eine sehr dominante Position ein. In der italienischen Schweiz haben die Radiosender der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG SSR sogar einen Markanteil von 74 Prozent, in den anderen beiden Landesteilen 64 Prozent. In anderen europäischen Ländern würden solch dominante öffentlich-rechtliche Medien Bedenken hinsichtlich eines möglichen politischen Einflusses auf die Inhalte hervorrufen. Dies ist derzeit in der Schweiz aber nicht der Fall. Politische Entscheidungen, die sich auf kleine Kantone konzentrieren und auf direkter Demokratie beruhen, haben die Entwicklung eines starken professionellen journalistischen Bewusstseins ermöglicht (wie Radu, 2016 zeigt).

Das tschechische, das lettische und das rumänische öffentlich-rechtliche Radio machen 30 bis 35 Prozent des Marktanteils aus, das polnische 20 Prozent.

In Südeuropa aber scheint die Konkurrenz auf dem Radiomarkt stärker zu sein: In Italien und Portugal hat das öffentlich-rechtliche Radio nur einen Marktanteil von zehn Prozent.

Abb. 2: In Deutschland, Großbritannien und der Schweiz erreicht das öffentlich-rechtliche Radio mehr als die Hälfte des Marktanteils. Quellen: Media Analyse 2016 Radio I, Deutschland, 2016; BBC, Großbritannien, 2015; RAI, Italien, 2016; SRG SSR, Schweiz, 2016; PR, Polen, 2016; ČRo, Tschechien, 2015; RTP, Portugal, Dezember 2016; SRR, Rumänien, 2016; LR, Lettland, Frühjahr 2017.

Rechenschaftspflicht und Vertrauen

Generell ist die Rechenschaftspflicht der öffentlich-rechtlichen Medien in Europa institutionalisiert, so erteilen nationale Rundfunk- oder audiovisuelle Räte Lizenzen und überwachen die Einhaltung audiovisueller Vorschriften, wie sie in der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste der Europäischen Union vorgegeben werden.

Nichtsdestotrotz kann die jeweilige nationale Gesetzgebung den politischen Parteien erlauben, sich einzumischen und zu versuchen, den Inhalt der öffentlichen Sender zu kontrollieren – indem sie Mitglieder in die nationalen Rundfunkräte bestellen, oder indem sie den Medien finanzielle Mittel zuweisen und Gesetzesänderungen androhen oder durchsetzen.

In Lettland werden öffentlich-rechtliche Medien von einer unabhängigen, fünfköpfigen Kommission überwacht, die aus Mitgliedern besteht, die entweder sehr berufserfahren sind oder über eine große akademische Erfahrung verfügen. Sie werden von NGOs aus den Bereichen Medien, Menschenrechte, Kultur, Bildung und Wissenschaft vorgeschlagen und vom Parlament entsprechend der politischen Verhältnismäßigkeit der Regierungskoalition gewählt. Die Behörde kann als Puffer gegen den Druck politischer und kommerzieller Interessen dienen, ihre Unabhängigkeit ist jedoch nicht gewährleistet.

Die öffentlich-rechtlichen Medien Lettlands werden, abhängig von politischen Entscheidungen, direkt aus dem Staatshaushalt finanziert und sind – im Vergleich zu den benachbarten estnischen und litauischen Pendants – unterfinanziert. Trotz der offensichtlichen Schwierigkeiten zeigen Zuschauerbefragungen ein großes öffentliches Vertrauen in den öffentlichen Rundfunk: 2015 gaben 74 Prozent an, dass sie dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender LTV vertrauen, während das öffentlich-rechtliche Radio LR sogar noch mehr Glaubwürdigkeit genießt und 84 Prozent erreicht.

Auch die portugiesischen öffentlich-rechtlichen Medien genießen relativ viel Vertrauen, so vertrauen ihnen etwa 60 Prozent der Bevölkerung. Grund hierfür könnte die Zusammensetzung des unabhängigen Generalrats CGI sein, der überwacht, ob die Vertragsbestimmungen zwischen der Regierung und der öffentlichen Rundfunkanstalt RTP eingehalten werden. Der Generalrat hat sechs Mitglieder, von denen zwei von der Regierung und zwei von RTP benannt werden. Diese vier Mitglieder wählen dann gemeinsam zwei weitere Mitglieder, die ein hohes Ansehen in der Medienindustrie und der öffentlichen Verwaltung haben müssen.

Die BBC genießt einen außergewöhnlich guten Ruf in der britischen Öffentlichkeit und setzt weltweit Standards für öffentlich-rechtliche Medien. Seit April 2017 sind Aufsicht und Leitung der BBC neu organisiert. Die BBC wird seitdem von einem einheitlichen Vorstand, dem BBC Board, geführt, dem auch der Generaldirektor angehört. Von den 14 Mitgliedern benennt die BBC neun Mitglieder, die anderen fünf bestimmt die Regierung. Die Medien- und Telekommunikationsbehörde Ofcom hat die regulatorische Aufsicht übernommen, die zuvor vom BBC Trust ausgeübt wurde. Die Glaubwürdigkeit des britischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist sehr hoch: Bei einer Ofcom-Befragung im Jahr 2016 gaben 89 Prozent der Zuschauer an, dass die Nachrichtensendungen der BBC vertrauenswürdig seien und für ein besseres Verständnis der Welt sorgten.

Der Schweizer öffentlich-rechtliche Rundfunk ist einzigartig, da er in drei (TV) bzw. vier Sprachen (Radio) ausgestrahlt wird. Alle Sender genießen aufgrund einer fehlenden politischen Einmischung und einer hochentwickelten Kultur des Service Public eine vergleichsweise hohe Vertrauenswürdigkeit. Es gibt in der Schweiz aber auch Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. So wollte die No-Billag-Initiative die Radio- und Fernsehempfangsgebühren abschaffen – letztlich lehnten aber in einem Referendum 71 Prozent der teilnehmenden stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger der Schweiz die No-Billag-Initiative ab.

In Deutschland wird die ARD vom Rundfunkrat, das ZDF vom Fernsehrat kontrolliert. Der ZDF-Fernsehrat setzt sich seit 2016 aus 60 Mitgliedern gesellschaftlicher Gruppen zusammen, die in dem Gremium die Interessen der Allgemeinheit vertreten. Die genaue Zusammensetzung ist im ZDF-Staatsvertrag geregelt, der nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2014 überarbeitet werden musste, um mehr Diversität und weniger politischen Einfluss zu garantieren. Seitdem dürfen nur noch ein Drittel der Mitglieder in der Politik aktiv sein. Diese Regelungen, die im Rest Europas eher unüblich sind, haben Rechtspopulisten nicht davon abgehalten, öffentlich-rechtliche Sender als „Staatsfernsehen“ und „Lügenpresse“ zu bezeichnen.

Von der Politik herausgefordert

Der Rat des Tschechischen Rundfunks und der Rat des Tschechischen Fernsehens werden auf Vorschlag der Abgeordnetenkammer vom Ministerpräsidenten ernannt und abberufen. Die Ernennungsverfahren sind kritisiert worden, weil sie zu sehr von politischer Macht abhängig seien. Einige Mitglieder des Rates sind Mitglieder politischer Parteien oder haben enge Beziehungen zu ihnen. In der Studie „Television Across Europe” des Open Society Institute aus dem Jahr 2005 wurde festgestellt, dass die Zusammensetzung des Rates die Verteilung der Macht innerhalb der Abgeordnetenkammer widerspiegelt.

In Rumänien werden die meisten Gremien der beiden öffentlich-rechtlichen Rundfunksender SRR und SRTV vom Parlament ernannt und hängen somit von der politischen Konfiguration ab. Der Vorstand und die Regierung ernennen jeweils ein Mitglied, des Weiteren gibt es einen Arbeitnehmervertreter und einen Vertreter der parlamentarischen Minderheitenfraktion. Die Sender sind gesetzlich verpflichtet, faire und ausgewogene Informationen zu liefern, die Öffentlichkeit zu bilden, zu informieren und zu unterhalten. Unterfinanzierungen und starke politische Bindungen machen das Erreichen dieser Ideale allerdings zu einer schwierigen Aufgabe.

In Italien wird die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt RAI vollständig vom Staat durch das Wirtschaftsministerium kontrolliert. Es besitzt 99,56 Prozent des Aktienkapitals (0,44 Prozent gehören SIAE, der italienischen Gesellschaft der Urheber und Verleger). RAI ist der parlamentarischen Kommission verpflichtet, die auch die Mehrheit des Vorstandes ernennt. Dieser sehr starke politische Einfluss ist schon seit langer Zeit ein Problem. Besonders in der Vergangenheit spiegelten die wichtigsten Nachrichtensender TG1, TG2 und TG3 die Ansichten bestimmter politischer Parteien wider. Dieses Phänomen ist auch als Berlusconisierung bekannt.

Der polnische öffentlich-rechtliche Rundfunk steht unter noch größerem Einfluss der Politik. Im Juli 2016 hat der Nationale Rundfunkrat die Aufsicht übernommen, drei seiner fünf Mitglieder werden vom Parlament, die anderen beiden vom Präsidenten gewählt. Diese Regelung gibt der Regierungspartei PiS, die damit die Mehrheit hat, die Möglichkeit, die Führungsebene des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu beeinflussen. Internationale Institutionen und Journalistenverbände beanstanden regelmäßig die voreingenommene Berichterstattung über die nationale Politik. Vor allem die Parlamentskrise hat gezeigt, das öffentlich-rechtliche Medien ganz anders über politische Ereignisse berichten als private. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk scheint eher politischen Akteuren als der Öffentlichkeit gegenüber rechenschaftspflichtig zu sein. Die Öffentlichkeit selbst ist jedoch geteilt – einige sind mit der aktuellen Situation zufrieden. (mehr zum polnischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk im EJO-Spezial)

In der Ukraine wurden die staatlichen Medien erst Anfang 2017 in einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk umgewandelt. Der Übergang wird durch ein Projekt des Europarats unterstützt, das von 16 europäischen Ländern finanziell gefördert wird. Zurzeit sieht sich der ukrainische öffentlich-rechtliche Rundfunk mit einigen Herausforderungen konfrontiert wie mangelnde Finanzierung, die hohe Schuldenlast seines Vorgängers und Vorbehalte der Behörden.

Die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien

In ganz Europa steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter Druck. Um seine Zuschüsse aus Empfangsgebühren oder öffentlichen Geldern rechtfertigen zu können, muss er ein möglichst großes Publikum erreichen und zugleich hohe Standards einhalten. Nur so kann er seine Relevanz und damit Existenzberechtigung behalten. Ohne starke öffentlich-rechtliche Medien, die einen zivilisierten öffentlichen Raum bieten, würden die europäische Kultur und Demokratie einer schwierigen Zukunft entgegenblicken.

Dies ist der zweite Teil einer zweiteiligen Studie, die öffentlich-rechtliche Medien in Europa miteinander vergleicht. Der erste Teil über die finanziellen und organisatorischen Strategien der öffentlich-rechtlichen Medien findet sich hier.

Mitarbeit: Tina Bettels-Schwabbauer, Halyna Budivska, Ainars Dimants, Michał Kuś, Caroline Lees, Ana Pinto Martinho, Antonia Matei, Stephan Russ-Mohl, Massimo Scaglioni, Sandra Stefanikova, Adam Szynol

Originalversion auf Englisch: Europe’s Public Service Media: Between Responsibility and Accountability

Übersetzt von Johanna Mack und Tina Bettels-Schwabbauer

 

 

 

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