Ökonomie und Ethik freier Daten

18. Juni 2018 • Qualität & Ethik • von

Es scheint, dass Open Data eher die Kommerzialisierung der Datenlandschaft beflügelt und weniger der gemeinwohlorientierte Gedanke im Vordergrund steht.

Vielerorts wird die Frage diskutiert, was mit sogenannten „offenen, frei verfügbaren“ Daten, also „Open Data“, aus politischer, ökonomischer und ethischer Sicht geschehen soll. Einerseits erschallt sehr oft der Ruf nach einer freien Nutzung öffentlich zugänglicher Daten und Informationen durch alle Bürger, andererseits zeigt die Realität der Medienwirtschaft die Grenzen dieses Wunsches auf: Viele Plattformunternehmen machen mit privaten, aber frei verfügbaren (weil wissentlich oder unwissentlich freigegebenen) Daten kommerzielle Gewinne, E-Commerce-Modelle boomen.

Die Bürger wiederum wissen oft nicht, welche Daten sie wie verwenden dürfen, beziehungsweise finden diese gar nicht so leicht auf. Es scheint, dass dann Open Data eher die Kommerzialisierung der Datenlandschaft beflügelt und weniger der gemeinwohlorientierte Gedanke (so würden es sich nämlich viele Open-Data-Initiativen wünschen) im Vordergrund steht. Doch was sind eigentlich diese Open Data genau, und warum können sie ökonomische und ethische Probleme verursachen? Und welche Aufgaben stellen sich dann datennutzenden Medien- und Plattformunternehmen?

Demokratiepolitische Funktion

Grundsätzlich bedeutet Open Data, dass zunächst schutzwürdige Daten beziehungsweise Datenwerke für jegliche Nutzung freigegeben sind, wobei es ein Spektrum von keinen Einschränkungen („Public Domain“) bis hin zu starken Beschränkungen („Protective“) der Nutzung gibt. Open Data ist damit klar abgrenzbar von öffentlichen Daten, das heißt Daten, die zwar der Öffentlichkeit einsichtig und zugänglich sind, deren Nutzung aber an Bedingungen geknüpft ist, die deren Wiederverwendung einschränken. Open Data haben dabei aus kultureller Perspektive eine demokratiepolitische Funktion und können Transparenz, Ermächtigung und Partizipation der Bürger ermöglichen.

Aus ökonomischer Sicht sollen Open Data digitale Innovationen und wirtschaftliches Wachstum ermöglichen. Dass Plattformunternehmen letztere Strategie beherrschen, zeigt etwa Google mit seinem Betriebssystem Android, dessen freizügige Lizenzierungsform einerseits die rasche Verbreitung des Betriebssystems ermöglichte, anderseits viele neue in diesem System operierende Unternehmen stark an sich bindet und somit einen „Lock-in“-Effekt generiert, der durchaus marktkonzentrationsfördernd wirken kann.

Neben diesem ökonomischen Problem gibt es auch einige gesellschaftspolitische Fragen bei der Gestaltung von Open-Data-Systemen. Das Ziel eines gut ausgestalteten Open-Data-Systems ist es, den reziproken Nutzen zwischen Datenanbietern und Datennutzern zu steigern und Free-Rider-Probleme (dass zu viele Personen Open Data nutzen, aber keiner mehr solche bereitstellt) zu verhindern. Manchmal sind Open Data auch so gut „versteckt“, dass sie sogar zu wenig genutzt werden, man denke etwa an ungenutztes Datenmaterial in Bibliotheken. Es muss verhindert werden, dass dann Unternehmen keinen Anreiz mehr haben, zu solchen Open-Data-Systemen durch ihr Angebot beizutragen.

Frage der Regulierung

In letzter Zeit wird so etwas für den Fall der Wissenschaftsliteratur diskutiert, wo einerseits verlangt wird, dass wissenschaftliche Erkenntnisse möglichst weit und kostengünstig verbreitet werden, andererseits Verlage aus ökonomischen Gründen gerne noch dem traditionellen Bezahlmodell anhängen. Für Medienunternehmen wiederum ist von Relevanz, dass so manches datenbasierte Geschäftsmodell auf die langfristige und vertrauensvolle Verfügbarkeit von offenen Ressourcen vertraut.

Es gibt demnach gute Gründe, sich eine wirtschafts- und medienpolitische Regulierung offener Daten zu überlegen. Die Medienethik kann hier mit einer ersten Analyse weiterhelfen und einige Ansatzpunkte solcher Regelungen aufzeigen.

Zunächst könnte eine grundsätzliche Frage lauten, ob man mittels utilitaristischer Argumente einer Einschränkung geistiger Eigentumsrechte beziehungsweise einer Erweiterung von Schutzmechanismen für Open Data das Wort redet. Im utilitaristischen Paradigma steht dabei die Frage nach der ökonomischen Effizienz beziehungsweise Ineffizienz eines höheren beziehungsweise niedrigeren Schutzniveaus im Vordergrund. Jetzt kann die Folgenabschätzung ergeben, dass erweiterte Schutzrechte die Innovationstätigkeit anregen, weil sie ein Anreizsystem darstellen. Jedoch können diese Rechte auch zu einer verminderten Wissensdiffusion führen und das eigentliche Ziel einer gesellschaftsweiten Verbreitung zum Beispiel wissenschaftlicher Erkenntnisse gefährden. Es bleibt also zu beantworten, ob der „Gesamtnutzen“ der Gesellschaft nach Einführung erweiterter Schutzmechanismen sinkt oder steigt.

Kontrollfunktion

Weiters können Open Data den Bildungs- und Informationsauftrag der Medien bedienen, dabei aber gleichzeitig in Konflikt zu auf dem Ausschlussprinzip basierenden Geschäfts- und Erlösmodellen geraten. Ethisch kann nun argumentiert werden, dass der Bildungs- und Informationsauftrag einen höheren Wert darstellt als ökonomische Interessen und die „licence to operate“ vieler Medienunternehmen erst herstellt; allerdings soll die ökonomische Überlebensfähigkeit des Unternehmens nicht von vornherein gefährdet werden. Die Rolle von Medienunternehmen (man denke etwa an den Datenjournalismus) kann dabei eine doppelte sein: Sie können selbst Open Data bereitstellen und somit den eigenen Beitrag zur erwähnten demokratiepolitischen Funktion nachweisen, oder sie nutzen und evaluieren Open Data von Drittanbietern. Ihre Kontrollfunktion erweitert sich dann von der Glaubwürdigkeit von Informationen zu der Glaubwürdigkeit von Daten (als Grundbausteine der automatisierten digitalen Content-Produktion).

Zuletzt und auf ganz allgemeiner Ebene sehen Medienökonomen wie Vincent Mosco (2009) Creative Commons und Open Data als alternatives Urheberrecht auf marktlicher Basis und kritisieren, dass auf diese Art einer sogenannten „Kommodifizierung“ Vorschub geleistet wird. Dies würde bedeuten, dass Informationen „verdinglicht“ und „vermarktet” werden, obwohl sie eigentlich (als Ideen oder bereits als Wissen für Unternehmen) zunächst von geldwerten Überlegungen befreit betrachtet werden sollten. Dieser aus der „kritischen“ politischen Medienökonomie stammende Gedanke weist Medienunternehmen auf den besonderen Status von zuerst frei verfügbaren Informationen hin und dass die Entwicklung von auf solchen beruhenden Geschäftsmodellen zwar rechtlich machbar, aber nicht immer ethisch unproblematisch ist.

Das bis hierher Gesagte würde für eine Open-Data-Policy für Medienunternehmen sprechen, die selbst-, ko- oder fremdreguliert organisiert werden kann. Stichwortartig kann eine solche Policy folgendermaßen umrissen werden:

  • Es braucht Maßnahmen, um die drohende „Unternutzung“ oder „Austrocknung“ einer Wissensallmende zu vermeiden, und zwar aus wirtschaftlichen ebenso wie aus moralischen Gründen.
  • Wie Elinor Ostrom in ihrem bahnbrechenden Werk „Die Verfassung der Allmende“ (1999) gezeigt hat, gilt es, sich Anreizsysteme für die Nutzung von Allmendegütern zu überlegen, die weder der Markt noch der Staat gewährleisten kann; eine ihrer Ideen wäre es, „Gemeinschaftseigentum“ an Open Data zu definieren (und zu überwachen).
  • Jedes Governance-System für Open-Data-Geschäftsmodelle sollte die Elemente „transparente Information“, „Kommunikation“, „Überwachung“ und „Sanktion“ beinhalten und so nachhaltig das Vertrauen aufbauen, das ein Open-Data-System benötigt.
  • Es zeigt sich, dass die Erstellung einer Policy für Open Data ein multidisziplinäres Projekt ist, das vermutlich nur unter Einbezug von Erkenntnissen der Technologieforschung (IT, Medientechnologie, Mathematik/Statistik et cetera), Ökonomik, Ethik und Kommunikationswissenschaft erfolgversprechend sein wird.

Erstveröffentlichung: derstandard.at vom 12. Juni 2018 

Bildquelle: Ralf Appelt / Flickr CC: Open Data #scrabble; Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/ 

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