Österreichische und australische Leserbriefkultur

20. Juni 2016 • Qualität & Ethik • von

In Australien herrscht eine aktive und Themen-initiierende Leserbrief-Kultur, von der Journalisten im deutschsprachigen Raum noch viel lernen können.

write-593333_1920Im Mai veröffentlichte die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali einen an sie gerichteten (Hass-)Leserbrief; fast 6200 Menschen kommentierten dies online. Währenddessen machten in Österreich zahlreiche „Hasspostings“ gegen Ingrid Thurnher nach der Präsidentschafts-Debatte im ORF in sozialen Netzwerken die Runde. Diesen raunzigen Online-Kommentaren gegenüber erscheint der klassische Leserbrief in der Zeitung oftmals langweilig, altbacken und bemüht intellektuell.

Doch Achtung! Ganz im Gegenteil zu den Beobachtungen im deutschsprachigen Raum herrscht im anglo-amerikanischen Raum, z.B. in Australien, eine andere, aktive und Themen-initiierende Leserbrief-Kultur. Interviews aus der eigenen Forschung zeigen, dass oftmals Themen aufgenommen werden, die in Leserbriefen aufgebracht werden. „Manchmal spaziert hier jemand einfach in die Redaktion; da müssen wir uns dem Thema annehmen“, so eine Journalistin einer Regionalzeitung in der Nähe von Adelaide. Auch australische Politikberater und Personen aus der Wirtschaft wissen um das Potenzial von Leserbriefen: „Wir kennen unsere Kritiker – wir müssen deren Äußerungen in Leserbriefen ernst nehmen; sie geben Themen eine Stimme!“

Geblendet von all den neuen Blog-, Post- und Re-Tweet-Möglichkeiten beobachten sowohl JournalistInnen als auch Medien- und KommunikationswissenschaftlerInnen, sowohl down under als auch hierzulande, wie „das Internet“ als Dialogmedium wächst. Dem entsprechend stürzen wir uns auf Blogs, Kommentare und Facebook-Postings als DIE neuen Foren öffentlicher Diskurse. Doch was ist das – noch immer – Besondere an einem Leserbrief? Was können wir z.B. von Australien lernen?

1. Weniger Meckern, mehr konstruktive Kritik: Beim Murray Pioneer, einer australischen Regionalzeitung, werden Leserbriefe als „Artikel“ gewertet, die Beurteilung: „keine Beschwerden, relativ hohe Qualität“. Auch in Österreich zeigt sich, dass selbst bei durchschnittlich 30 (regional) bis 50 (überregional) Leserbriefen, die pro Tag bei den Zeitungen eingehen, „Schimpfpost eher selten“ ist, so die zuständige Redakteurin bei der Kleinen Zeitung. Von ca. 50 Leserbriefen, die uns per Post oder Email täglich erreichen, sind „maximal zwei wirklich böse oder mit Hass-Passagen“, bestätigt die Kollegin von den Salzburger Nachrichten.

2. Regionale und lokale Bezüge „großer Themen“ werden deutlich: Ein befragter australischer Umweltaktivist schreibt zwar regelmäßig für den Guardian, vermerkt aber: „Das hat für die politischen Aktivitäten hierzulande natürlich keine Bedeutung“. Anders auf lokaler und regionaler Ebene: Hier geht es um einen tatsächlichen Dialog, wie eine Leserdialogseite bei der Australischen Sunraysiadaily. Gute Beispiele gibt es aber auch in der heimischen Zeitungslandschaft: So richten die Salzburger Nachrichten bei besonderen Themen, wie z.B. Flüchtlingsbewegungen, eine „Debattenseite“ ein, um die Leserbriefe entsprechend gewichten zu können.

3. Einbindung kommunikativer Peers: Leserbriefe sind authentischer, statt Nicknames werden Name und Wohnort mitveröffentlicht, anonyme Leserbriefe gibt es nicht. Damit zeigen Leserbriefe, anders als Online-Kommentare noch deutlicher, wer die zusätzlichen Akteure sind, die an öffentlicher Kommunikation teilnehmen: „Wir kennen schon unsere lokalen Superkommunikatoren, die muss man mitdenken“, so eine Journalistin der australischen Regionalzeitung The Courier. Den „harten Kern an LeserbriefschreiberInnen“ kennt man auch bei der Kleinen Zeitung, doch wie damit umgehen?

Genau hier möchte ich ansetzen: Verglichen mit Online-Kommentaren und Postings bilden Leserbriefe den öffentlichen Diskurs deutlicher und mit mehr Tiefe ab. Dieser entsteht durch Erzählungen im öffentlichen Raum, die Moralvorstellungen prägen, Problembezüge herstellen und soziale Ordnungen aufbauen, festigen oder verändern.

Die Veröffentlichung von Hass-Postings wie bei Hayali oder gar die öffentliche Zur-Schau-Stellung von Meckerliesen oder „irren Leserbriefen“ wie bei einem Hate Slam wirkt meines Erachtens eher kontraproduktiv. Passender erscheint mir das „Ermöglichen“ einer tatsächlichen themenbezogenen Debatte an „Ort und Stelle“, also z.B. direkt im Politikressort, an der JournalistInnen, ThemenexpertInnen sowie LeserInnen mit ihren Berichten und Erzählungen zusammengeführt werden. Hier erscheinen insbesondere Lokal- und Regionalzeitungen in Australien mutiger, nicht nur aber auch weil sie ihre Nische in einem hochkonzentrierten Medienmarkt besser nutzen müssen und wollen.

Erstveröffentlichung: derstandard.at vom 13. Juni 2016

Bildquelle: pixabay.com

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