On Bullshit

18. Oktober 2016 • Qualität & Ethik • von

Zur Feier des Tages nehmen wir heute einmal unter die Lupe, was Normalmenschen mit Ausnahme von Hundeliebhabern nicht einmal freiwillig in die Hand nehmen, geschweige denn in den Mund: Fäkalien.

Shit, Scheiße oder andere Fäkalwörter haben eine erstaunliche „Karriere“ hingelegt.

Shit, Scheiße oder andere Fäkalwörter haben eine erstaunliche „Karriere“ hingelegt.

Was den Sprachgebrauch anlangt, haben sie eine erstaunliche „Karriere“ hingelegt. Sie erfreuen sich größten Zuspruchs unter Medienleuten, die ja ohnehin dankbare Abnehmer sind, wenn Dritte kreativ mit Sprache umgehen. War „Scheiße“ noch in den fünfziger und sechziger Jahren zumindest im Bildungsbürgertum weithin tabu, so ist sie inzwischen im deutschen Sprachraum nicht nur in der Umgangssprache „salonfähig“ geworden. Sie verleiht längst auch Talkshows, Jugendsendungen, Gratis-Postillen und anderen Medienangeboten Würze oder, je nach Geschmack, Hautgout. Und zwar so sehr, so regelmässig und so berechenbar, dass das eigentlich längst keinen Aufreger mehr wert ist. Vermutlich wollen wir ja alle nur tagtäglich neu demonstrieren, wie locker und tabulos wir mit Sprache und eben auch mit Exkrementen umgehen.

Damit die Sache nicht ins Uferlose entgleitet, und auch, weil der Siegeszug des Amerikanischen in Form von mehr oder minder geniessbarem Denglisch längst unaufhaltsam ist, soll unsere Aufmerksamkeit jetzt allerdings einem Anglizismus gelten, der sich nicht zuletzt unter Werbern und PR-Leuten zunehmender Beliebtheit erfreut. So lassen sich Medieninhalte eben auch einmal anders umschreiben, als das Pegida-Trupps bei ihren Montagsdemos gewohnheitsmäßig getan haben. Reden wir also nicht von der „Lügenpresse“, sondern von der Bullenscheiße.

Sie gelangte im Angelsächsischen zu höheren Weihen, als der Philosoph Harry G. Frankfurt 2005 sein kleines, aber feines Traktat publizierte, das bald zum Bestseller avancierte: „On Bullshit“. Seither nehmen die Dinge ihren Lauf.

Frankfurts Erfolg hat Dutzende weitere englischsprachige Autoren veranlasst, Bücher mit „Bullshit“ im Titel zu veröffentlichen, was ja wohl irgendwie auch ein Indikator dafür ist, dass wir tatsächlich in Fluten von Gülle zu ertrinken drohen. Grob einteilen lässt sich die Publikationsflut im Sachbuch-Sektor in die „Bullshit“- und in die „No Bullshit“-Produktion. Am vollmundigsten in der Bullshit-Sektion kommt ein Büchlein mit dem Titel „Everything Is Bullshit“ daher. Es verspricht nicht mehr und nicht weniger, als allen Beschiss auf Erden zu enthüllen. Auf der Gegenseite verheißt ein Autorengespann nicht minder das Unmögliche: „No Bullshit Social Media.“

Wem das nicht reicht, der kann sich inzwischen auch an Romanen und therapeutischen Malbüchern zum Thema delektieren. Zwei einschlägige Lexika empfehlen sich obendrein all denen als unentbehrliche Helfer an, die geübt und feinsinnig mit Sprache umgehen möchten. Das eine widmet sich gezielt dem „Corporate Bullshit“, also dem verbalen Newspeak-Unflat, mit dem Konzerne sich, ihre Mitarbeiter, Kunden, andere Stakeholder und den Rest der Welt beglücken. Im anderen kann man zum Beispiel in Erfahrung bringen, wie sich „mumbo-jumbo“ oder „meadow mayonnaise“ von gewöhnlichem Bullen- und Kuhfladen unterscheiden. Ob es sich dabei im Sinne Niklas Luhmanns um „funktionale Äquivalente“ handelt oder nicht, dürfte indes auch den Lexikon-Autoren entgangen sein. Vermutlich ja vor allem deshalb, weil der deutsche Meistersoziologe anno dazumal noch eine distinguiertere Sprache pflegte.

Und wo stehen wir heute, angesichts all des Mists, der Desinformation und der Konspirationstheorien, mit denen Werbe- und Propagandastrategen, Spin Doctors, Trolls und Social Bots tagtäglich die sozialen Netzwerke fluten? Um zwei weitere prominente amerikanische Stimmen zu zitieren: Der Software-Architekt der New York Times, Jacob Harris, sorgt sich, dass in den Medien „die Bullshit-Daten-Woge überhandnimmt“. Und Max Reid, bis vor kurzem Chefredakteur des Celebrity- und Medienblogs Gawker, den der Investor Peter Thiel in den Konkurs getrieben hat, legte kürzlich nach. Reid sieht uns „knöcheltief“  in „viralem Müll“ versinken und dabei „am Rande eines gurgelnden Morasts“. Halten wir uns also die Nase zu, und lassen wir fröhlich die Scheiße weiterdampfen.

 

Erstveröffentlichung: Schweizer „Werbewoche“ Nr. 15/2016. Eine Kurzfassung ist im Tagesspiegel am 10.10.2016 erschienen.

Bildquelle: flickr.com

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