Das Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich hat kürzlich sein achtes Jahrbuch „Qualität der Medien – Schweiz“ vorgestellt. Ein zentrales Thema darin: der digitale Strukturwandel und die „Plattformisierung“, die von Facebook, Google & Co. ausgeht.
„Für Leute ab 35 haben Medienmarken noch eine hohe Bedeutung, aber für junge Leute ist Facebook, allenfalls Google die Marke. Für Junge ist Nike eine Marke oder Gap, aber Medienmarken kennen die Jungen nicht – vielleicht höchstens noch 20 Minuten.“ Mit diesen Worten bringt die Chefredaktorin der Werbewoche, Anne-Friederike Heinrich, das Problem für viele Medienanbieter auf den Punkt. Die großen Plattformen schwächen die Informationsanbieter nicht nur, weil sie einen Großteil der Werbegelder abschöpfen. Sondern auch, weil sie die Bindung an Medienmarken schwächen, aktuell besonders bei den Jungen.
Der digitale Strukturwandel und die „Plattformisierung“, die von Facebook, Google & Co. ausgeht, ist ein zentrales Thema des aktuellen Jahrbuchs Qualität der Medien, das letzte Woche der Öffentlichkeit präsentiert wurde. In der jüngsten Ausgabe des Jahrbuchs, das seit 2010 erscheint, wurde der Fokus im Vergleich zu den früheren Ausgaben ausgeweitet. Erstens beleuchtet das Jahrbuch den Einfluss der „Plattformisierung“ nicht nur auf die großen, reichweitenstarken professionellen Informationsanbieter, sondern auch auf den „long tail“ in der Netzöffentlichkeit, in dem sich viele neue (pseudo-)journalistische Anbieter tummeln, darunter viele zweifelhafte. Zweitens wurde neu auch die Qualität der Facebook-Angebote der Informationsmedien analysiert und mit der Qualität auf den Websites verglichen. Das Jahrbuch zeigt damit, wie die Tech-Intermediäre den Informationsjournalismus in der Schweiz unter Druck setzen.
Zunehmend entbündelter Medienkonsum
Der Newskonsum findet auch in der Schweiz immer mehr über digitale Kanäle statt. Newssites oder Social Media sind bereits heute für 41% der Schweizerinnen und Schweizer die Hauptquelle für Information. Das zeigen die Umfrage-Daten aus dem Reuters Digital News Report 2017, an dem wir als Schweizer Partner mitgewirkt haben. Je jünger das Publikum, desto größere Bedeutung haben Plattformen wie Facebook oder Google. Bereits 40% der 18- 24-Jährigen steuern für den Online-Newskonsum hauptsächlich Social-Media-Plattformen oder Suchmaschinen an und verzichten auf den direkten Zugriffsweg über die Newssite. Mit der Zunahme des entbündelten respektive „emergenten“ Medienkonsums verbinden Nutzer konsumierte News immer mehr mit den Plattformen der Tech-Intermediäre anstatt mit den tatsächlichen Produzenten der Inhalte. Antonis Kalogeropoulos und Nic Newman haben denn auch ihre jüngste Studie treffend betitelt: „I saw the news on Facebook“. Diese Entwicklung führt erstens zu einer Schwächung der etablierten Medienmarken. Zweitens fließt der Großteil der Werbeerträge zu den globalen Tech-Intermediären und schwächt damit zusätzlich die ohnehin schon prekäre Finanzierungsbasis der Informationsmedien, auch und gerade in den kleinen, segmentierten Medienmärkten der Schweiz, die seit jeher besonders stark unter dem Abfluss von Werbegeldern ins Ausland leiden.
Steigende Qualität in einem hoch konzentrierten Online-Markt
Der digitale Strukturwandel verschärft die Medienkonzentration. Gerade der Schweizer Markt für digitale News ist hoch konzentriert. In der Deutschschweiz kontrollieren die drei Medienhäuser Tamedia AG, Ringier AG und die SRG SSR bereits 71% des Onlinemarktes für Informationsmedien. In der Suisse romande und in der Svizzera italiana verfügen die jeweils «größten Drei» über einen Marktanteil von gar 88%. Nur wenige Informationsanbieter können sich den Aufbau und den Unterhalt einer digitalen Informationsplattform leisten, die das Potenzial hat, ein Massenpublikum zu erreichen. Die gute Botschaft ist immerhin, dass die Berichterstattungsqualität professioneller Schweizer Informationsmedien vergleichsweise hoch bleibt und tendenziell sogar zunimmt. Die Newssites der Abonnementspresse, aber auch der Pendlerpresse können ihre Qualitätswerte seit 2014 kontinuierlich verbessern. Mit 6,3 von maximal 10 Scorepunkten liefern die Newssites der Abonnementspresse im Jahr 2016 im Schnitt nur geringfügig niedrigere Qualität als die gedruckten Pendants mit 6,6 Scorepunkten. Die Pendlerangebote erzielen Online (5,0) signifikant höhere Qualitätsscores als Offline (4,7 Scorepunkte). Von allen Medientypen bleiben mit Blick auf die Qualität nach wie vor die Informationssendungen des öffentlichen Radios (8,2 Scorepunkte) und öffentlichen Fernsehens (7,7), gefolgt von den Sonntagszeitungen und Magazinen (6,9) und von den Newssites des öffentlichen Rundfunks (6,8) an der Spitze.
Facebook drückt die Qualität
Während viele Informationsmedien nach Jahren der Konvergenz nun offensichtlich auch im Online-Bereich ihre Qualität steigern können, kann das Qualitätsniveau auf den Plattformen der Tech-Intermediäre meist nicht gehalten werden. Bei sechs von 14 Medien ist die Qualität auf Facebook zwar relativ ähnlich wie auf den Newssites, aber die Hälfte der untersuchten Informationsanbieter kreiert ein Facebook-Angebot, das qualitativ messbar niedriger ist. Facebook ist ein Emotionsmedium; entsprechend sind Softnews und Infotainment hier deutlich übervertreten. Plattformen wie Facebook begünstigen demzufolge die Verbreitung von Beiträgen niedriger Qualität. Lediglich bei der NZZ ist die Qualität des ausgewählten und vom Standpunkt der Beitragsmenge weniger umfangreichen Facebook-Angebots höher als jenes auf der Newssite (+0,4 Scorepunkte). Dabei wird deutlich, dass die Softnews-Strategie vieler Medien auf Facebook nicht zielführend ist. Nehmen wir die Nutzerreaktionen (Likes, Shares, Kommentare) zum Maßstab, dann sehen wir nämlich, dass in der Regel bei Qualitätsmedien auch auf Facebook die Qualitäts-Beiträge zu Nutzerreaktionen führen, während bei den Medien, die eher Boulevardjournalismus betreiben, gerade die boulevardesken Beiträgen die meisten Nutzerreaktionen hervorrufen. Umgekehrt lösen boulevardeske Beiträge auf dem Facebook-Angebot beispielsweise der NZZ kaum Reaktionen aus, während Qualitäts-Beiträge auf der Facebook-Seite beispielsweise der Pendlerzeitung 20 Minuten kaum weiterverbreitet werden. Für Informationsanbieter bedeutet dies: Das Facebook-Angebot muss zum Profil der eigenen Medienmarke passen.
Alternative Medien profitieren von Tech-Giganten
Die von Tech-Intermediären getriebene „Plattformisierung“ verändert die Angebotsstruktur im Netz. Die oft beschworene neue Vielfalt im Netz entpuppt sich dabei als Scheinvielfalt. Im Schatten der marktdominierenden Newssites mutiert die digitale Öffentlichkeit zu einer „Long tail“-Öffentlichkeit, bei der ein „Schweif“ an neuen digitalen Angeboten mit Informationsanspruch kontinuierlich in die Länge wächst. Die Reichweite dieser Angebote „hinten im Schweif“ bleibt aber gering und nur wenige dieser Anbieter weisen ein qualitätsorientiertes Profil auf. Dazu zählen erstens PR-geleitete Angebote („Corporate Publishing“) und zweitens neue „alternative“ Medien wie uncut-news.ch, alles-schallundrauch.blogspot.ch oder legitim.ch, die sich direkt gegen einen angeblichen «Mainstream» in Gesellschaft und Medien richten. Zurzeit fristen alternative Medien in der Schweiz noch ein Randdasein. Gründe dafür liegen unter anderem im nach wie vor hohen Vertrauen in die professionellen Medien und in der geringen gesellschaftlichen Polarisierung: Die meisten Schweizer Medientitel haben ein Publikum, das politisch ziemlich genau den Durchschnitt der Bevölkerung abbildet. Informationssendungen des öffentlichen Rundfunks oder die Pendlerzeitung 20 Minuten beispielsweise werden sowohl von „linken“ als auch „rechten“ als auch denjenigen Personen genutzt, die sich in Umfragen selbst der „Mitte“ zugehörig einstufen. Allerdings erreichen alternative Medien fallweise und vor allem über die Plattformen der Tech-Intermediäre wie Facebook oder YouTube substantielle Reichweiten. So erzielte der reichweitenstärkste Beitrag auf der Facebook-Seite von legitim.ch beinahe 4’000 Nutzerreaktionen – ein Wert, den selbst professionelle Schweizer Informationsmedien nicht oft erreichen. Das Angebot uncut-news.ch setzt auf YouTube und ist mit gesamthaft 33 Mio. Aufrufen ähnlich stark frequentiert wie der meistgenutzte YouTube-Informationskanal des öffentlichen Schweizer Radios und Fernsehens SRF (37 Mio. Aufrufe).
Es bleibt zu hoffen, dass die Erkenntnisse zu diesen globalen Zusammenhängen in die medienpolitische Diskussion in der Schweiz einfließen, die sich nun weiter intensiviert. Schon am 4. März 2018 wird in der Schweiz darüber abgestimmt, ob Empfangsgebühren für Radio und Fernsehen auf nationaler Ebene prinzipiell verboten werden sollen. Würden Gebühren abgeschafft, wäre nicht bloß das Modell der öffentlichen SRG am Ende, mit deren Empfangsgebühren der Journalismus gerade in den kleineren Sprachregionen der Suisse romande, Svizzera italiana und der rätoromanischen Schweiz gestützt wird. Auch die finanzielle Basis für viele private (regionale) Rundfunkanbieter, die sich je rund zur Hälfte aus Gebühren finanzieren, würde wegbrechen. Dies wäre fatal in einer Zeit, in welcher der professionelle Informationsjournalismus so nötig ist wie nie zuvor. Ihm kommt u.a. eine unverzichtbare Funktion zu, in der freien Wildbahn des digitalen Netzes eine Kontroll- und Kuratierungsfunktion wahrzunehmen.
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Das Jahrbuch sowie die E-Journals Studien und Reflexionen Qualität der Medien erscheinen im Schwabe Verlag und können über die Website des Verlags (www.schwabeverlag.ch) bezogen werden. Auszüge aus dem Jahrbuch und den E-Journals sind auf der Website des fög – Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft / Universität Zürich zugänglich: www.foeg.uzh.ch.
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