Der Anschlag auf die Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo im Januar 2015 hat weltweit Diskussionen ausgelöst zu Freiheit und Grenzen von Karikaturisten. Wie viel Freiheit ist erwünscht, ist nötig, wird von der Gesellschaft erwartet und toleriert?
Mit einer Befragung von 17 Karikaturistinnen und Karikaturisten in der Schweiz geht dieser Beitrag der Frage nach, wie Karikaturisten selbst Freiheiten und Grenzen bei ihrer Arbeit einschätzen und wahrnehmen. Insbesondere wurde untersucht, welche Rahmenbedingungen die Arbeit von Karikaturisten einschränken, wo sie ihre eigenen Grenzen ziehen, welche Instanzen aus Sicht der Karikaturisten für die Durchsetzung von medienethischen Standards sorgen, und inwiefern der Satire in den Augen der Karikaturisten überhaupt Grenzen zu setzen sind.
Wenig Grenzen in der täglichen Arbeit
Die Befragung in der Deutsch- und französischen Schweiz hat gezeigt, dass sich Karikaturisten zunächst einmal sehr frei fühlen, das zu zeichnen und zu kritisieren, was ihren Vorstellungen entspricht. Am stärksten fühlen sich die Befragten in ihrer täglichen Arbeit von der Redaktion eingeschränkt, für die sie zeichnen. Als diesbezüglich zweitwichtigste Einflussgröße sehen sich die Karikaturisten selbst; sie setzen sich vor allem selbst die Grenzen bei ihrer Arbeit. An dritter Stelle wurde das Zielpublikum des Mediums oder der Karikatur genannt. Weitere Instanzen erhielten nur noch vereinzelten Nennungen, so zum Beispiel die Kultur oder Gesellschaft, bzw. gesellschaftliche Tabus (4 Nennungen), das Gesetz (1 Nennung) oder die Würde des Menschen (ebenfalls eine Nennung). Drei Befragte gaben an, dass ihnen keine Grenzen gesetzt seien bei ihrer Arbeit.
Der Karikaturist zeichnet, die Redaktion wählt aus
Es sind also in den Augen der Karikaturisten vor allem die auftraggebende Redaktion bzw. der Chefredaktor, der über die Grenzen des Karikaturisten befindet. Auf die konkrete Nachfrage, inwiefern denn die Chefredaktion oder Redaktion Vorgaben an die Karikaturisten machen, betonten sechs Karikaturisten, dass von dieser Seite kaum Einschränkungen erfolgen, weitere sechs sehen den Einfluss nur darin, dass die Redaktion am Schluss auswählt; zudem fügten zwei Karikaturisten hinzu, dass die Redaktion höchstens von ihrem Vetorecht Gebrauch machen würde. Folgende Aussage fasst die Mehrheitsmeinung hierzu zusammen: „Die Redaktionen und Medien haben zwar keinen Einfluss darauf, wie ich eine Karikatur zeichne. Aber schlussendlich können sie darüber entscheiden, ob sie die Karikatur publizieren wollen oder nicht.“ Gemäß einem Karikaturisten können dabei auch ökonomische Überlegungen eine Rolle spielen: Als Wirtschaftsunternehmen würden die Medien heute nicht mehr den gleichen Mut haben, allzu kritische Karikaturen zu veröffentlichen. Nur gerade ein Befragter gab an, dass auch der Verlag beschränkend Einfluss nähme.
Das Publikum ist wichtig
Gefragt nach den Quellen der Einschränkungen auf die eigene Arbeit messen die Karikaturisten neben der Redaktion dem Publikum die wichtigste Rolle bei. Zwar gaben vier Befragte an, dass sie nicht finden, dass ihre Zeichnungen dem Publikum gefallen müssten. Diesen Antworten stehen aber sieben Antworten gegenüber, die betonen, dass eine Karikatur nur funktioniere, wenn das Publikum sie auch verstehe, bzw. wenn sie zielgruppengerecht gestaltet sei. Ein Karikaturist differenziert diese Haltung folgendermaßen: „Die Karikatur muss für das Publikum zwar unmissverständlich sein. Sie muss dem Publikum aber nicht per se gefallen. Das Lachen darf ruhig ein bisschen im Hals stecken bleiben.“
Presserat und rechtlicher Rahmen ohne Einfluss
Im Gegensatz zu den Redaktionen und dem Publikum übt der Presserat in den Augen der Karikaturisten keinerlei beschränkende Wirkung auf sie aus. So finden zehn von vierzehn Befragten, dass der Presserat keinen Einfluss auf ihre Arbeit hätte, und weiter drei gaben an, dass sie nicht einmal wüssten, was der Presserat überhaupt sei. Nur gerade ein Befragter äußerte sich inhaltlich zur Rolle des Presserates. Allerdings dahingehend, dass dieser als einschränkende Instanz an Bedeutung verloren habe: „Die Schwelle, dass es eine Klage gibt und etwas vor dem Presserat landet, ist gestiegen.“
In den Augen der Karikaturisten wirken sich auch Gesetze kaum negativ auf die Freiheit bei ihrer Tätigkeit aus. So gaben sechs Befragte an, von rechtlicher Seite bestünden für sie keine Grenzen im Alltag, gegenüber nur gerade drei Befragten, die fanden, dass das Gesetz für sie relevante Vorgaben mache. Ein weiterer Befragter gab an, dass es zwar die Gesetze gäbe, dass sie aber über gute Juristen verfügen würden, und die Gesetze so kaum beschränkend wirkten.
Ambivalentes Verhältnis zu gesellschaftlichen Werten und Normen
Als relevanter werden hingegen die gesellschaftlichen Werte und Normen gesehen, wobei die Haltung der Karikaturisten hier ambivalent ist. Einerseits sagten sechs Befragte, dass Werte und Normen einen Einfluss auf ihre Arbeit hätten: „Ich bin ja hier aufgewachsen und natürlich durch diese Werte geprägt. An diese Werte halte ich mich natürlich unbewusst, sie prägen sicher auch meine Karikaturen.“ Auf der anderen Seite sehen vier Befragte ihre Rolle als Karikaturisten gerade darin, gelegentlich gegen diese Normen zu verstossen. Folgende zwei Aussagen bringen diese Ambivalenz zum Ausdruck: „Ja, sie beeinflussen mich sehr. Und manchmal, wenn ich es für nötig halte, verstoße ich ganz bewusst gegen sie.“ (Oui, cela m’influence beaucoup. Et je les transgresse parfois en toute conscience quand je le trouve nécessaire.) Und: „Gesellschaftliche Werte beruhen auf einem Konsens. Eine gute Karikatur (miss-)braucht diesen Konsens als Grundlage.“
Persönliches Rollenverständnis
Abschließend wurde schließlich noch danach gefragt, inwiefern das eigene Rollenverständnis als Karikaturist und das eigene medienethische Verständnis die empfundene Freiheit beeinflussen oder einschränken. Hier betonten fünf Karikaturisten, dass sie ihre Rolle nicht darin sehen, andere einfach zu provozieren, anzuprangern oder in die Pfanne zu hauen. „Wenn ein Karikaturist zum Zyniker wird, verliert er seine Glaubwürdigkeit und seinen Stil.“ Es gehe auch darum, intelligente Zeichnungen zu erstellen, die zum Nachdenken anregen, und, ebenso wichtig, lustig zu sein. Einem Karikaturisten müsse es darum gehen, das Publikum zu unterhalten und zu provozieren, nicht zu schockieren.
Eine weitere Dimension, die von mehreren Zeichnern angesprochen wurde, ist der Anspruch, ein gezeichnetes Thema auch wirklich verstanden zu haben. „Ich mache fast nie etwas zu (…) Sachen, von denen ich zu wenig verstehe.“ Und eine Karikaturistin betont: „Idealerweise informiere ich mich über das zu zeichnende Thema, damit ich nicht von einer anderen möglichen Interpretation meiner Zeichnung überrrascht werde.“ (Je m’informe au mieux sur le sujet que je dessine, afin de ne pas être surprise par une autre interprétation possible de mon dessin.)
Auf persönliche Tabuthemen angesprochen, wurde immer wieder auf das Thema Religion verwiesen: „Religion ist immer das Schwierigste. Egal welche. Egal was man macht. Auch wenn es etwas Harmloses ist, gibt es immer jemanden, der wütend wird.“ Gleichzeitig betonte ein anderer Zeichner: „Die meisten Karikaturisten, inklusive ich, haben keine Probleme, unsere Kirche hochzunehmen. Nicht die Religion an sich, sondern wie die Religion ausgelebt und interpretiert wird.“
Soll Satire sein sein? Ja, aber…
Abschließend, und anknüpfend an die Frage nach dem persönlichen Verständnis der Rolle von Karikaturen und Karikaturisten, wurde die Frage diskutiert, ob das oft zitierte Zitat von Kurt Tucholsky, wonach Satire alles dürfe, in den Augen der Karikaturisten zutreffe.
Die häufigste Antwort auf diese Frage lautete: „Ja, aber…“. So müssten Karikaturen, als gezeichnete Satire, ein Ziel oder eine Botschaft haben, einen echten Missstand anprangern, intelligent sein und dürfe nie gegen unten, sondern nur gegen oben gerichtet sein. Ein weiterer Umstand, auf den mehrfach hingewiesen wurde, ist die Problematik, die mit diesem Anspruch auf absolute Freiheit verbunden ist: Satire und Karikaturen müssten eigentlich frei sein, allerdings käme es immer darauf an, wann, wo und wie sie eingesetzt würden. Und Karikaturisten verlören in einer globalen und digital vernetzten Welt zunehmend die Kontrolle darüber, wo eine Karikatur wie wirke. Dies schaffe neue Herausforderungen für Karikaturisten, welche den Anspruch auf absolute Freiheit einschränken würden.
Ein Zeichner dazu: „Man hat zwar ein Zielpublikum vor Augen, aber man kann es nicht mehr steuern.“ Das führt im besten Fall zu Unverständnis beim Empfänger, im schlimmsten Fall zu öffentlicher Gewalt. Es mutet fast schon paradox an, dass das Internet und die digitale Globalisierung, mit der gemeinhin die Hoffnung auf eine freiere Meinungsäußerung verbunden wird, mitunter als größte Gefährdung für die eigene Freiheit als Karikaturist gesehen wird.
Methodisches
In die Untersuchung flossen die Antworten von insgesamt 17 Schweizer Karikaturisten ein, 11 aus der Deutschschweiz und 6 aus der französischen Schweiz. Bei den Befragten handelt es sich um zwei Frauen und 15 Männer, die alle Karikaturen zu printjournalistischen Produkten, die täglich oder wöchentlich in der Schweiz erscheinen, beisteuern. Daneben publizieren die meisten Befragten Zeichnungen in weiteren Medien. Der schriftliche, qualitative Fragebogen umfasste die folgenden drei Fragengebiete: Welches sind die Institutionen oder Rahmenbedingungen, die Ihnen in Ihrer Arbeit als Karikaturist Grenzen setzen? Welche Freiheiten nehmen bzw. Grenzen setzen sich die Karikaturisten selbst? Und: Inwiefern soll Satire alles dürfen?
Ein ausführlicherer Bericht ist für einen Tagungsband geplant, der im Nomos-Verlag in der Reihe „Journalismus aktuell“ erscheinen wird.
Bildquelle: twiga269 ॐ FEMEN #JeSuisCharlie / Flickr CC: Journal des Survivants, Charlie Hebdo, N° 1178; Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/
Schlagwörter:Charlie Hebdo, Grenzen, journalistisches Rollenverständnis, Karikatur, Karikaturist, Normen, Schweiz, Werte