Skandalberichterstattung: Überschreitung von Normen?

16. August 2016 • Qualität & Ethik • von

Strauß-Kahn, Wulff, Kachelmann, Hoeneß – Namen, die für Skandale stehen. Die Berichterstattung über diese Fälle ist zum einen gesellschaftlich relevant und birgt zum anderen auch Gefahren. Mark Ludwig, Thomas Schierl und Christian von Sikorski haben sie als Aufhänger zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Skandalen genommen und den Sammelband „Mediated Scandals – Gründe, Genese und Folgeeffekte von medialer Skandalberichterstattung“ herausgebracht.

9783869622026Die Herausgeber des Sammelbands haben sich zum Ziel gesetzt, die Grundlagenforschung zur Skandalberichterstattung sowohl in Form von theoretischen Überlegungen als auch von empirischen Befunden darzulegen. Darüber hinaus wollen sie mit ihrem Buch eine erweiterte Reflexion über die Skandalberichterstattung als Diskursaufhänger für Missstände, Werte- und Normverletzungen, aber auch über ihre negativen Effekte auf Einzelpersonen und Gesellschaft ermöglichen. Gemeinsam mit zehn weiteren Autoren wollen die Kölner Medienwissenschaftler mit dem Reader aber auch grundlegendes Verständnis um die Bedeutung der Skandale unserer Zeit schaffen.

Zunächst betrachten die Herausgeber die Mediated Scandals, ihre Folgeeffekte sowie die Risiken und Relevanz medialer Skandalberichterstattung. Dabei wird ausführlicher erläutert, was unter Mediated Scandals zu verstehen ist: Eine „tatsächlich vorliegende oder (…) auch nur vermutete Überschreitung von Normen, Werten oder Moralvorstellungen einer Gesellschaft (…), durch eine mediale Thematisierung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht (…), [eine] Empörungsreaktion durch Dritte [auslösend] (…), an die Voraussetzung geknüpft, dass die im Skandal thematisierten Transgressionen einzelner Akteuren, also Personen, Organisationen oder Institutionen zugeschrieben werden können.“ Anschließend werden zunächst grundlegende theoretische Perspektiven der aktuellen Skandalberichterstattung dargelegt und in einem zweiten Teil empirische Studien vorgestellt.

Negierte Reputation und Opfer-Rolle

Thematisch geht es dabei zum einen um die Sicht auf die Skandalisierten und die Aberkennung der gesellschaftlichen Achtung. Unter Einbeziehung von Reputationstheorien nähert sich Mark Eisenegger der Überlegung, dass durch Skandale die über Reputation legitimierte gesellschaftliche Anerkennung als auch das Reputationsstreben an sich gefährdet werden. Um seine Perspektive zu untermauern betrachtet er einerseits Reputation und Skandale als Indikatoren des Medienwandels. Dabei stellt er fest, dass sich eine „deutliche Zunahme der medienvermittelten Skandalisierungsintensität“ zeige, eine „mediale Vorverurteilung auf prekärer Faktenlage ebenso en vogue“ sei „auch Social Media die Skandalisierungsdynamik weiter befeuert“ hätten und „der Skandal noch sehr viel stärker als früher auf Personen“ abziele. Die sinkende Medienqualität „als Folge der Zunahme personalisierender und sozialmoralischer Berichterstattung“ steigere die Skandalisierungsrisiken. Denn er stellt die Tendenz fest, dass qualitätsmindere Medien am deutlichsten Unternehmen unkritisch zunächst eine gute Reputation zuschreiben, aber bei geringsten Verfehlungen auch genauso schnell skandalisieren. Damit sind Skandale für den Autor Wahrnehmungsphänomene, die Hinweise auf den sozialen Wandel der Gesellschaft geben: Je nachdem wie eine Gesellschaft soziokulturell und zeithistorisch geprägt ist, hat sie variierende Erwartungsstrukturen. Was gestern noch kein Skandal war, kann morgen aber schon Anlass zur Skandalisierung sein.

Weg von der gesellschaftlichen hin zu persönlichen Auswirkungen betrachtet Hans Martin Kepplinger Skandale. Ausgehend von den reziproken Effekten – dem Einfluss, den die Massenmedien auf die Protagonisten der Berichterstattung haben – analysiert er, warum sich die Skandalisierten als Opfer fühlen, auch wenn sie zugeben, was man ihnen vorwirft. Als Ursache für die in seiner Zwei-Phasen-Theorie dargelegten Reaktion von Skandalisierten stellt er fest, „dass die meisten Skandalisierten den Druck der öffentlichen Angriffe nicht aushalten und […] Leid loswerden wollen, in dem sie drüber reden.“ Die Journalisten wiederum reagierten negativ auf eben diese Leidbekundungen, da bei ihnen Unwissenheit über die emotionale Belastung einer Skandalisierung vorherrsche und weil eine Rollen-Inkonsistenz (Täter-Opfer in Personalunion) festzustellen sei. Jedoch gibt Kepplinger zu bedenken, dass Journalisten selbst immer öfter öffentlichen Angriffen im Internet ausgesetzt seien.

Bedeutung der Journalisten

Auch Natascha Rother setzt sich in ihrem empirischen Beitrag mit Journalisten und ihrer Rolle im Skandal auseinander. In ihrer Studie geht es um die Frage, „wie Journalisten die Situation bei aufkommenden Skandalen wahrnehmen, unter welchen Arbeitsbedingungen sie arbeiten, wie dies ihr Handeln beeinflusst und welchen Nutzen sie sich von der Berichterstattung über Missstände und Skandale versprechen“. Bezogen auf TV-Politikmagazine stellt sie u.a. fest, dass sich Journalisten für Folgeeffekte einer sachgemäßen Berichterstattung nur bedingt verantwortlich fühlen und Skandalisierungsexesse auch von den Rezipienten nachgefragt und somit auch von ihnen ausgehen würden. Journalisten befänden sich „in einem ständigen Konflikt zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik“.

Wie Simone C. Ehmig in ihrem Beitrag über Alltägliches, das zum Skandal wird, feststellt, berichten Journalisten zudem „vor allem über Missstände, die sie selbst wahrnehmen, jedoch weit unterdurchschnittlich über Missstände in den Medien und im Mediensystem.“ Ihrer Ansicht nach hänge die Wahrnehmung von Missständen wesentlich von den Interessen und Rollen der Beteiligten und Betrachter ab. Zur Behebung der Missstände sei aber eine anprangernde Berichterstattung notwendig.

Rezipientenmeinung

Zur Relevanz und Wirkung visueller Skandalberichterstattung haben die Herausgeber selbst geforscht. Dabei stellen sie u.a. fest, dass „skandalisierte Einzelpersonen (z.B. Politiker) oftmals in einer Weise gerahmt [werden], die nahelegt, das andere Akteure (z.B. politische Weggefährten) sich von den skandalisierten Personen distanziert haben“. Diese Auswahl der Bilder beeinflusse die Wahrnehmung der Skandalisierten. Welche Bildauswahl Journalisten demnach bei Skandalen treffen, sei entscheidend für die Rezipientenwahrnehmung. Nicht nur deswegen mahnen Sigrud Allern und Esther Pollack in ihrem englischsprachigen Beitrag auf Basis ihrer Forschungsergebnisse über die im skandinavischen Raum wachsende Skandalisierungsdynamik an, dass ein Überwachen der Überwacher (sprich der Medien) wichtig sei.

Auch Stefan Geiss macht deutlich, wie wichtig ein journalistisch verantwortungsvoller Umgang mit Skandalberichterstattung ist. Der Autor hat die Vorverurteilung im Skandal untersucht. Dabei stellt er fest, dass die bloße Nennung eines Verdachts bei den Rezipienten dazu führt, dass der Skandalisierte für schuldig gehalten wird. Es könne aber auch „mit zurückhaltender Berichterstattungs-Formulierungen bis an die Grenzen der Selbstzensur“ eine Vorverurteilung durch die Rezipienten nicht verhindert werden.

Einflussnahme von außen

Inwieweit unterschiedliche Formulierungen einer Botschaft – bei identischem Inhalt – das Verhalten des Empfängers unterschiedlich beeinflussen können, wird sowohl theoretisch als auch empirisch im Sammelband beleuchtet. Robert Entman geht in seinem englischsprachigen Beitrag der Frage nach, warum sich manch triviale Normverstöße zu massiven Skandalen entwickeln, während andere schwerwiegende Verstöße wenig Beachtung finden. Gründe macht er u.a. im strategischen Framing aus, dem Versuch politischer Akteure über Kommunikationsaktivitäten Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung zu nehmen, so dass erst gar kein Skandal entsteht. Christian von Sikorsik und Maria Hänelt haben das (Re-)Framing der Onlinekommentare in der Skandalberichterstattung untersucht und ein theoretisches Prozessmodell dazu entwickelt, mit dem sie aufzeigten, dass sich Online-Nutzer „zumindest teilweise […] offensichtlich an den Sichtweisen anderer Nutzer orientierten.“ Je nachdem wie diese Kommentare gerahmt sind (eher Skandal-Ursachen oder Skandal-Konsequenz), beeinflusst das laut Modell die Wahrnehmung, Widergabe und Einstellung zum Skandal und Skandalisierten (Framing-Effekt).

Inga Oelrichs stellt in ihrem Beitrag spezifische Skandal-Nachrichtenfaktoren im Vergleich zu den gängigen Nachrichtenfaktoren fest. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass aufmerksamkeitserregende Merkmale (z.B. Prominenz) typisch für Skandale seien, jedoch die strukturtypische Skandalberichterstattung auch abseits von großen Skandalfällen zu finden sei, das heißt, nicht nur auf den Titelseiten, sondern auch abseits von Aufmachern.

Ziel der Herausgeber erreicht

Mit diesen verschiedenen Gesichtspunkten und der Kombination aus theoretischen und empirischen Ansätzen erreichen die Herausgeber ihr Ziel: Es wird über Skandale als Diskursaufhänger für die Gesellschaft reflektiert und die Folgen für Skandalisierte und Gesellschaft bis hin zur unheilvollen Dramatisierung durch Journalisten werden umfassend thematisiert. Der Sammelband bietet aber nicht nur für Medienwissenschaftler und -schaffende spannende Ansätze, sondern beleuchtet den Skandalbegriff und seine Hintergründe auch eingehend für jeden Mediennutzer.

Mediated Scandals – Gründe, Genese und Folgeeffekte von medialer Skandalberichterstattung, Halem Verlag, 2016, herausgegeben von Mark Ludwig, Thomas Schierl und Christian von Sikorski

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