Streit in der Schweiz: Welche Zeitung ist die beste?

20. November 2018 • Qualität & Ethik • von

Im „Jahrbuch Qualität der Medien Schweiz“ gibt es ein Qualitätsranking, bei dem die kleine links-alternative Wochenzeitung (Woz) und die vergleichsweise große liberal-konservative Neue Zürcher Zeitung (NZZ) gleichauf abschneiden. Das hat den Weltwoche-Kolumnisten und EJO-Autoren Kurt W. Zimmermann erzürnt, was wiederum den attackierten Medienforscher und EJO-Partner Mark Eisenegger (Universität Zürich) zu einer Replik und Roger Blum (Emeritus, Universität Bern) zu einer Stellungnahme veranlasst hat.

Der Streit ist in mancherlei Hinsicht exemplarisch für die Missverständnisse zwischen Journalismus und Medienforschung. Wir publizieren deshalb hier alle drei Dokumente zusammen, wobei Roger Blum auf das Entscheidende hinweist: Die Medienforscher von Eiseneggers Team haben bei ihrer Messung ganz andere Qualitätskriterien angelegt als Kurt W. Zimmermann bei seiner Schelte.

 

Beitrag von Kurt W. Zimmermann in der Weltwoche vom 25. Oktober 2018

Ein Problem namens Eisenegger

Die Frage nach der Medienqualität ist nun vollends ins Absurde abgeglitten.

Kommen wir gleich zur Frage der Fragen. Welches ist die beste Zeitung der Schweiz? Schnallen Sie sich an. Die beste Zeitung der Schweiz ist die linkste Zeitung der Schweiz. Sie ist ein sozialistisches Blatt und heißt Die Wochenzeitung, genannt Woz. Zu diesem reichlich absonderlichen Urteil kommt soeben das neue „Jahrbuch Qualität der Medien“. Das Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich misst damit jährlich die Qualität der Medien und vergibt Punkte dafür.

Hinter der Woz, mit 7,95 Punkten, folgen auf den nächsten Plätzen, mit weniger Punkten, die qualitativ schlechteren Blätter Neue Zürcher Zeitung, NZZ am Sonntag, Der Bund und die Weltwoche. Nun mögen wir den guten Kollegen der Woz den Siegertitel herzlich gönnen. Aber sie wissen wohl selber, dass das ein Witz ist. Sie machen zwar ein flottes Blatt – aber sie machen so ziemlich genau das Gegenteil von dem, was man heute unter Qualitätsjournalismus versteht.

Die Woz hat eine Auflage von 17 000 Exemplaren und 84 000 Leser. Das ist ein Prozent der Bevölkerung. Den anderen 99 Prozent müssen wir das Blatt also kurz erklären. Die Woz bezeichnet sich als die „einzige linke Zeitung“. Das stimmt. Sie schreibt sauber von links außen. Meinungsvielfalt, etwa liberale Positionen, gibt es nicht. Die Themenwahl orientiert sich weniger an Kriterien wie Relevanz oder Aktualität, sondern an den politischen Präferenzen der linken Klientel.

In der letzten Nummer schrieb man etwa über die Vertreibung von Kongolesinnen aus Angola, über Palästina-Flüchtlinge, über Machokultur an der ETH, über ein neues feministisches Manifest, und man titelte: „Kommt die frauenfeindliche Dystopie?“ Ich weiß nicht, ob sie kommt. Das dünne Blatt hat nur 28 Seiten. Aber es ist professionell auf seine alternative Zielgruppe zugeschnitten. Das macht die Redaktion tadellos. Aber mit der üblichen Definition von Qualitätsjournalismus hat das nichts zu tun. Als primäre Qualitätskriterien sind in der Branche Ausgewogenheit, gesellschaftliche Relevanz und Meinungsvielfalt definiert. Das alles will die Woz bewusst nicht.

Wie kommt also ein Uni-Institut dazu, ein ideologisch einseitiges Blatt zum Vorbild der Branche zu küren? Das Problem hat einen Namen. Der Name ist Mark Eisenegger. Medienprofessor Mark Eisenegger ist der Leiter der jährlichen Medienqualitäts-Studie. Er ist der Nachfolger des 2015 verstorbenen Kurt Imhof. Er steht hilflos in den viel zu großen Schuhen seines Vorgängers. Imhof erfand das „Jahrbuch Qualität der Medien“. Sein Markenzeichen war sein lautes und kehliges Lachen. Er war ein weltoffen-kritischer Geist. Er hätte sich totgelacht bei der Vorstellung, dass eine Woz das beste Blatt des Landes sein soll. Nachfolger Mark Eisenegger fehlt Imhofs souveräne und distanzierte Leichtigkeit. Er gehört zur Spezies der eher verbohrten, humorlosen Kulturpessimisten. Seit Jahren wiederholt er nur dieselbe, plumpe Aussage: „Die Medien werden schlechter und schlechter und schlechter.“

Eisenegger sieht das Heil darum in der Gesinnungspresse. Das beste Blatt ist für ihn ein Titel mit deklariert linker Schlagseite. Eisenegger sagt also den Journalisten: „Schreibt subjektiv, pflegt Vorurteile, seid ideologisch fixiert, öffnet euch nicht bei der Themenwahl und steht politisch am Rand. Dann liefert ihr grandiose Qualität.“ Die Debatte über Qualität im Journalismus ist eine wichtige Debatte. Aber mit Irrlichtern wie Mark Eisenegger führt die Wissenschaft die Debatte in die Absurdität.

 

Replik von Mark Eisenegger in der Weltwoche vom 8. November 2018

Immer auf den Mann

Kurt W. Zimmermann wundert sich, weshalb die Wochenzeitung die beste Zeitung der Schweiz ist. Zuerst muss man präzisieren. Die Woz ist zusammen mit der NZZ die beste Zeitung, denn der Qualitätsunterschied ist minimal. Richtig aber ist, dass die Woz in den gemessenen Dimensionen Relevanz, Vielfalt, Einordnungsleistung und Professionalität sehr gut abschneidet. Sie legt den Akzent auf relevante Themen aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Sie greift überraschende Themen auf und überzeugt in der Vielfaltsdimension. Sie liefert Hintergründe und hält journalistische Handwerksregeln hoch. Beispiele wie die Reportage „Die Dschihadisten von Bümpliz“ (Woz Nr. 34/16) sind hervorragend gemacht, und sie finden Beachtung bis in liberale Kreise hinein. Und es sind keine Einzelfälle.

Kein Wunder, wurden der damalige Woz-Journalist Daniel Ryser (heute bei der Republik) sowie die damalige Chefredaktorin Susan Boos unlängst von der Medienbranche ausgezeichnet. Hier ein Auszug aus der Laudatio: „Eine solch intensive Beschäftigung mit einem Thema leistet sich sonst keine Zeitung mehr.  Chefredaktorin des Jahres wurde Susan Boos von der Woz. Sie ermöglicht in ihrem Blatt noch grosse, zeitintensive Stücke, nicht nur von Ryser.“ Sie werden nicht erraten, von wem dieses Zitat stammt! Exakt, von Kurt W. Zimmermann.

Zimmermann ist ein treuer Begleiter unserer Forschung zur Medienqualität. Kaum ein Jahr ist vergangen, ohne dass er mit einem Kommentar auf unser Jahrbuch reagiert hat. Das Grundmuster bleibt stets dasselbe: immer schön auf den Mann. Schon vor Jahren bezeichnete er den inzwischen verstorbenen Kollegen und damaligen Leiter des Projekts, Kurt Imhof, als „Gastrokritiker mit Allzweck-Zunge“, „Derwisch-Soziologen“, „Kulturpessimisten“ oder „Werkstattchef“, der sein „gigantisches Unwesen“ treibe. Nicht weiter überraschend bin ich nun ins Fadenkreuz seiner journalistischen Liebenswürdigkeiten geraten. Überraschend ist eher, wie rasch Zimmermann seine Meinung ändert, ganz nach Konrad Adenauer: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“. Neuerdings singt Zimmermann Lobeshymnen auf Kurt Imhof, die einen verwundert die Augen reiben lassen.

Auf Personen zu zielen, mag unterhaltsam sein. Eine konstruktive Medienkritik jedenfalls, die diesen Namen verdient und uns in der Sache weiterbringt, sieht anders aus.

 

Leserbrief von Roger Blum in der Weltwoche vom 8. November

Kurt Zimmermann schreibt immer wieder gescheite, lesenswerte Kolumnen, aber manchmal greift er in der Sache und im Ton daneben – so jüngst beim Angriff auf den Medienprofessor Mark Eisenegger von der Universität Zürich. Zimmermann empört sich darüber, dass im „Jahrbuch Qualität der Medien“, das von Eisenegger verantwortet wird, die Wochenzeitung die Bestnote erhielt, und behauptet, Eisenegger sehe das Heil allein in der Gesinnungspresse. Weit gefehlt.

Kurt Zimmermann hätte sich kundig machen müssen über die Kriterien, die im Jahrbuch zum Zuge kommen, nämlich Relevanz, Vielfalt, Einordnungsleistung und Professionalität: Die Qualität eines Mediums ist umso höher, je besser es ihm beispielsweise gelingt, die Ereignisse in größere Zusammenhänge einzuordnen, sie zu vertiefen (Einordnungsleistung). Zimmermann kann sich gar nicht vorstellen, dass die Woz gerade in dieser Hinsicht brilliert. Stattdessen erfand er eigene Qualitätskriterien, nämlich Ausgewogenheit, Relevanz und Meinungsvielfalt, bei denen er annimmt, dass die Woz sie nicht erfülle. Diese Kriterien sind aber ziemlich absurd und würden in keinem Mediensystem taugen.

Zimmermann lobt auch Eiseneggers Vorgänger Kurt Imhof, verschweigt aber, dass damals, als Imhof noch lebte und das Jahrbuch verantwortete, die Medien – und auch Kurt Zimmermann – Gift und Galle gegen ihn spuckten. Mark Eisenegger steht nicht „hilflos in den viel zu großen Schuhen seines Vorgängers“, wie Zimmermann schreibt. Vielmehr standen und stehen beide für kompetente, genaue, wertvolle und der demokratischen Mediengesellschaft dienende Forschung.

 

Zum Thema „Jahrbuch Qualität der Medien Schweiz“ auf EJO: Publizistische Vielfalt ist bedroht

 

 

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