Tschechien: Die Corona-Krise und die Medien

22. Mai 2020 • Aktuelle Beiträge, Internationales, Qualität & Ethik • von

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und andere Qualitätsmedien genießen zurzeit das Vertrauen des Publikums und erleben damit einen „Corona-Bump“. Der wirtschaftliche Abschwung sorgt aber generell für eine ungewisse Zukunft. 

In Tschechien wie auch in anderen Ländern bedeuten die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie, dass die Medien vor einer paradoxen Situation stehen. Einerseits veranlassten der Ausbruch des Coronavirus im Land Anfang März und die Verhängung des Ausnahmezustands sie dazu, auf der Suche nach verlässlichen Informationen regelmäßiger als zuvor Nachrichtenseiten von Qualitätsmedien zu besuchen. Jan Bělíček, Chefredakteur der unabhängigen gemeinnützigen Nachrichtenwebsite A2larm, sagte gegenüber EJO, dass seine Website im März einen Besucherrekord verzeichnet habe: „Die Menschen haben jetzt Zeit, längere und anspruchsvollere Artikel zu lesen. Sie greifen plötzlich auch zu Artikeln, von denen ich normalerweise nicht erwarte, dass sie viele Leser anziehen.“

Andererseits sind die langfristigen Aussichten der Branche nicht ganz so rosig. Eines der ersten Anzeichen dafür, dass die tschechische Wirtschaft sich im Krisenmodus befindet, war ein plötzlicher Rückgang der Werbeeinnahmen der privaten Medien. „Wir stehen am Rande einer Rezession, deren Ausmaß wahrscheinlich das der Krise von 2008 übertreffen wird“, sagt der Medienexperte Václav Štětka. Er erinnert daran, dass der Einbruch der Werbeeinnahmen nach dem Crash von 2008 einer der Faktoren war, der die Abwanderung ausländischer Medienbesitzer aus Mittel- und Osteuropa auslöste.

Verschärfung der Medienkrise

Štětka weist auch daraufhin, dass sich die Printmedien heute in einer noch schwächeren Position befinden als 2008, da vielen von ihnen die Widerstandsfähigkeit fehle, die nötig sei, um die aktulle Krise zu überstehen. Überall müssten die Medienverleger ihren Betrieb verkleinern, da eine große Zahl von Journalisten entlassen werde und der Niedergang der lokalen Medien „Nachrichtenwüsten“ schaffe. Die Verschärfung der Krise als Folge des Coronavirus „könnte die Schließung kleinerer Nachrichtenredaktionen und – falls es zu einer lang anhaltenden Rezession kommt – die Neuordnung der Kräfte auf dem Markt bedeuten“, fügte er hinzu.

Diese Ansicht wird von vielen tschechischen Journalisten geteilt. „Ich rechne damit, dass mehrere Titel aufgrund eines Rückgangs der Werbung oder eines Rückgangs der Abonnentenzahlen zusammenbrechen werden“, sagte Radek Kedroň, Chefredakteur der Nachrichtenwebsite iRozhlas.cz des Tschechischen Rundfunks, gegenüber dem EJO. Ob die öffentlich-rechtlichen Medien vor der Krise gefeit seien, sei fraglich: „Wir können nicht damit rechnen, dass der Tschechische Rundfunk unantastbar bleibt. Der wirtschaftliche Druck wird auch bei uns seine Spuren hinterlassen.“

Erik Tabery, Chefredakteur des wöchentlich erscheinenden Nachrichtenmagazins Respekt, rechnet damit, dass viele Medien sich nicht über Wasser halten werden können – viele Leser seien nun zu Einsparungen gezwungen und müssten sich genau überlegen, ob sie es sich leisten können, weiterhin für Nachrichten zu bezahlen. Andere aber, so Tabery, würden sicherlich von der Verringerung der Konkurrenz profitieren: „Ich glaube, dass die ohnehin Starken gestärkt aus der Krise hervorgehen.“

Medienunternehmen, die sich durch ihre Leser und nicht durch Werbeeinnahmen finanzieren, könnten kurzfristig einen Vorteil genießen, wobei allerdings unklar sei, wie lange dies andauern könnte. „Leistungen von Lesern bringen uns Sicherheit in schwierigen Zeiten, aber auch diese ist nicht gewährleistet. Es hängt davon ab, wie stark die tschechische Gesellschaft von der Wirtschaftskrise betroffen ist“, sagt Jan Bělíček vom Onlinemagazin A2larm. „Unabhängige Medien müssen so schnell wie möglich herausfinden, wie sie unter diesen neuen Umständen gedeihen oder zumindest überleben können.“

Der Ausnahmezustand und die Umstellung auf Heimarbeit wirke sich auch auf die langfristigen Projekte des Online-Magazins aus, für das es externe Mittel erhalten habe und die jetzt nicht umsetzbar seien, so Bělíček. Ein Projekt, für das A2larm die Finanzierung gesichert hatte, wäre beispielsweise mit einer Auslandsreise verbunden gewesen, die nun erst einmal nicht mehr durchführbar ist.

Aufschwung für Datenjournalismus

Die Krise hat nicht nur die Notwendigkeit verstärkt, ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu finden, sondern hat auch die digitale Transformation der Medien beschleunigt. Laut Václav Štětka hat vor allem der Datenjournalismus durch die Pandemie einen bedeutenden Aufschwung erfahren, da es heute mehr denn je einen Bedarf an Journalisten gibt, die in der Lage sind, „riesige Informationsmengen schnell zu verarbeiten und zu interpretieren“.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk

Dass sich das Publikum an die die öffentlich-rechtlichen Medien wendet, wenn es ein besonderes Bedürfnis nach verlässlichen Informationen hat, zeigen die Einschaltquoten der Flaggschiff-Nachrichtensendung „Události“ [Ereignisse] des Tschechischen Fernsehens Mitte März einige Tage nach der Ausrufung des Ausnahmezustandes. Sie waren so hoch wie seit 15 Jahren nicht mehr und überholten sogar die der beliebten Hauptnachrichtensendung des kommerziellen Senders TV Nova.

Selbst Menschen, die den öffentlich-rechtlichen Sender normalerweise nicht schauen – und ihn in normalen Zeiten vielleicht sogar verachten – hatten das Gefühl, in dieser Ausnahmesituation einschalten zu müssen. „Wir wissen aus der Vergangenheit und mit Blick auf andere Länder, dass sich die Menschen bei außergewöhnlichen Ereignissen an etablierte Medienmarken wenden, von denen sie qualitativ hochwertige und professionelle Nachrichten erwarten können“, erklärt Štětka. „In Tschechien genießen die öffentlich-rechtlichen Medien seit langem ein relativ hohes Maß an Vertrauen, so dass der Anstieg der Zuschauerzahlen während der Coronavirus-Pandemie nicht überraschend ist.“

Auch Radek Kedroň von iRozhlas freut sich über den hohen Anstieg der Zuschauerzahlen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: „Ich bin fest davon überzeugt, dass die Covid-19-Epidemie das Vertrauen der Öffentlichkeit in die öffentlich-rechtlichen Medien stärken kann. Darauf deuten die Zahlen vom März hin. Die Leser kamen über Google zu uns: Sie waren offensichtlich von der Marke iRozhlas angetan und entschieden, dass sie sie anderen vorziehen. Und wir sehen jetzt, dass einige von ihnen regelmäßig zu uns zurückkommen.“

Ungewisse Zukunft

Die Corona-Pandemie hat deutlich gemacht, dass wir auch in der heutigen Zeit des Bürgerjournalismus, in der nach dem gängigen Klischee jeder, der Zugang zum Internet hat, Journalist sein kann, professionellen Journalismus brauchen. In den meisten Nachrichtenredaktionen herrscht dennoch das Gefühl, dass Veränderungen unvermeidlich sind, aber dass es schwer vorherzusagen ist, welche Form sie annehmen könnten.

Erik Tabery von Respekt ist der Meinung, dass die Grundprinzipien für die Herstellung eines journalistischen Qualitätsprodukts zwar nach wie vor gültig seien, in der Welt nach der Coronakrise aber nichts als selbstverständlich angesehen werden kann: „Ich glaube, wenn ein Medium eine Kombination aus interessanten Inhalten, professioneller Präsentation und sozialer Verantwortung bietet, dann sollte es erfolgreich sein. Aber um ehrlich zu sein, ist es gut möglich, dass Sie mich in einem Jahr fragen werden, warum ‚Respekt‘ nicht überlebt hat. Ich denke ja, das wird nicht passieren, aber zu diesem Zeitpunkt gelten keine der alten Regeln mehr.“

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