Erstveröffentlichugn: message 04/2007
Die Wende hat die Tschechen in die demokratische Welt und damit auch in den Kapitalismus geworfen, und eine Episode aus dem Spätherbst des Jahres 1989 mag verdeutlichen, was dieser Umbruch für den Journalismus bedeutet hat: Obwohl im Prager Theater seit dem 17. November gestreikt wurde, wagten Rundfunk und Fernsehen es nicht, darüber zu berichten. Erst rund eine Woche später erschienen in tschechischen Printmedien die ersten Reportagen. Wenn in der damaligen ?SSR etwas Wichtiges passierte, was nicht regierungskonform war, dann unterrichteten die Auslandsmedien die Tschechen darüber, vor allem Radio Free Europe.
Die Politik, die Wirtschaft und das soziokulturelle System wurden seither umgekrempelt – und mit ihnen – sowie als Teil von ihnen – auch die Medien. In einer ersten empirischen Studie haben jetzt Jaromir Volek (Masaryk Universität, Brünn) sowie Jan Jirák und Barbara Köpplová (beide Karls-Universität, Prag) die tschechischen Journalisten repräsentativ befragt und dabei herausgefunden, wie diese den eigenen Beruf sehen und auch, wie sie sich dabei von ihren westlichen Kolleginnen und Kollegen unterscheiden. Die Forschungsarbeit lehnt sich an vergleichbare Analysen von David Weaver und Cleve Wilhoit in den USA und von Siegfried Weischenberg in Deutschland an.
Tschechiens Journalismus ist von einem Nebeneinander dreier Journalisten-Generationen geprägt, die ganz unterschiedliche historische und berufliche Erfahrungen gesammelt haben: Da ist die Generation derjenigen, die sich nach 1989 den neuen Verhältnissen angepasst haben. Es gibt aber auch noch eine kleine Gruppe älterer Journalisten, die ihre ersten beruflichen Erfahrungen während des Prager Frühlings gesammelt haben und nach einer 20-jährigen Zwangspause in die Redaktionen zurückgekehrt sind. Und da ist, von Jahr zu Jahr wachsend, jene Generation, die erst nach dem Fall des eisernen Vorhangs zum Journalismus gefunden hat.
Obschon alle drei Gruppen sich mit den neuen Informations- und Komunikationstechnologien und auch mit der Kommerzialisierung des Mediensektors auseinandersetzen müssen, unterscheiden sich ihre Sichtweisen so stark, dass die Forscher einen regelrechten Generationenkonflikt ausmachen: Lebensalter und die Jahre der Berufszugehörigkeit prägen die professionellen Orientierungen der tschechischen Journalisten besonders stark – weit mehr als die Ausbildung, die in den USA die Selbstwahrnehmung der Medienprofis stark beeinflusst.
Von den 2585 befragten Journalisten sind 60 Prozent männlich, nur ein gutes Drittel (34,3 Prozent) ist 40 Jahre und älter. In den Redaktionen dominieren also zumindest zahlenmässig bereits diejenigen mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit, die das sozialistische Regime nicht mehr als erwachsene und berufstätige Menschen erlebt haben. Der durchschnittliche tschechische Journalist ist 36 Jahre alt, männlich und hat – mit oder ohne Abschluss – eine Universität besucht. Er arbeitet seit elf Jahren in den Medien.
Ähnlich wie ihre amerikanischen und ihre deutschen Kollegen nehmen die tschechischen Journalisten ihren Informationsauftrag sehr ernst: 83 Prozent halten es für „sehr wichtig“, 16 Prozent für „ziemlich wichtig“, Information an Dritte kommunizieren zu können – was zusammengenommen 99 Prozent ergibt und fast schon an jene Wahlergebnisse erinnert, mit denen in den sozialistischen „Volksdemokratien“ Potentaten Zustimmung für sich reklamierten. „Probleme entdecken und auf sie aufmerksam machen“, ist für 94 Prozent der tschechischen Journalisten ein „sehr wichtiger“ oder „ziemlich wichtiger“ Aspekt ihrer Arbeit – und die „Chance, Leuten zu helfen“ bekommt ebenfalls 90 Prozent Zuspruch.
AUFLISTUNG:
Frage: Wie wichtig sind die folgenden Aspekte für Ihre journalistische Arbeit? (N=406)
Sehr wichtig – Ziemlich wichtig – Eher unwichtig – Völlig unwichtig
1. Möglichkeit, an andere Menschen Information weiterzugeben 83% 16% 1% 0%
2. Möglichkeit, Probleme aufzudecken und publik zu machen 67% 27% 5% 1%
3. Möglichkeit, anderen Menschen zu helfen 54% 36% 8% 2%
4. Verbindungen herzustellen 42% 42% 14% 2%
5. Möglichkeit, als erster Informationen zu erhalten 42% 37% 19% 2%
6. Freiheit, ohne Einschränkung von Vorgesetzten 37% 50% 10% 3%
7. Bestätigung bestimmter Werte und Ideen 37% 42% 18% 3%
8. Einkommen, finanzielle Bedingungen 33% 50% 13% 2%
9. Arbeitsplatz-Sicherheit 33% 41% 20% 6%
10. Möglichkeit, dazuzulernen und sich zu spezialisieren 30% 43% 21% 6%
11. Möglichkeit, die Öffentlichkeit zu beeinflussen 13% 45% 31% 11%
12. Möglkichkeit, in der Öffentlichkeit aufzutreten 12% 26% 40% 23%
13. Karrierechancen 11% 41% 36% 12%
14. Öffentliches Ansehen 10% 47% 36% 7%
15. Möglichkeit, politische Entscheidungen zu beeinflussen 6% 24% 38% 32%
Der Berufswirklichkeit nähern sich die Forscher weiter, indem sie die Grundgesamtheit drei Rollenmodellen zuordnen.
Die Karriereorientierung dominiert im ersten Modell: Dieser Gruppe sind Journalisten zuzurechnen, die sowohl ihr Einkommen als auch ihre berufliche Freiheit und damit ihre Selbstverwirklichungs-Möglichkeiten hoch bewerten. Auch Weiterbildungs-Angebote und die Chance, viele Sozialkontakte zu knüpfen, wissen solche Journalisten besonders zu schätzen.
Die investigative und advokativ-beschützende Orientierung charakterisiert das zweite Rollenmodell: Die Möglichkeit, Misstände aufzudecken und sozial schwache, wenig artikulationsfähige Gruppen zu unterstützen. Probleme aufzeigen zu können, der Allgemeinheit zu dienen und anderen helfen zu können – kombiniert mit dem Wunsch, Information zeitnah bereitzustellen – prägen dieses Rollenkonzept.
Die Orientierung auf Meinungsführerschaft kennzeichnet das dritte Modell: Die Realität widerzuspiegeln, aber vor allem eigene Positionen der Öffentlichkeit zu präsentieren und damit auf die öffentliche Meinung Einfluss zu nehmen, wird von diesen Journalisten besonders hoch bewertet.
Diese Rollenmodelle setzen die Forscher dann in Bezug zu weiteren von ihnen erhobenen Daten und finden dabei eine Reihe bemerkenswerter Besonderheiten heraus:
– Am stärksten karriereorientiert ist die nachrückende Generation, Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen oder gar „erzieherisch“ wirken möchten dagegen eher die älteren Journalisten.
– Karriereorientierte Journalisten finden sich häufiger bei national verbreiteten und bei den elektronischen Medien, also auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der investigativ-advokative Journalistentyp ist öfter bei Printmedien anzutreffen. Insbesondere auf regionaler und lokaler Ebene, wo sie ein unmittelbares Feedback bekommen, übernehmen Journalisten gerne die Beschützer-Rolle.
Insgesamt, so die Wissenschaftler, würden die tschechischen Journalisten zumindest deklaratorisch „aktiv Information suchen und aufbereiten“, die „Lebensqualität verbessern helfen“ und für „soziale Gerechtigkeit kämpfen“ wollen. Dabei sähen sie ihren Beitrag als „Angebot“, sie wollen also nicht indoktrinieren. Die Antworten aus der Befragung würden aber auch zeigen, dass dies „unerfüllte Ideale“ seien, weil sich gegenwärtig der Journalismus mehr und mehr „zu einem Instrument verwandle, um Verlegern und Rundfunkunternehmern zu wirtschaftlichem Erfolg zu verhelfen“.
DAS TSCHECHISCHE MEDIENSYSTEM IM ÜBERBLICK
Vor dem Sozialismus war das Mediensystem in Tschechien stark von der Parteipresse geprägt.
eute sind die tschechischen Medien überwiegend in privatem Eigentum – bis auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der stark von den Vorbildern ARD, ZDF und BBC geprägt ist. Die Printmedien wurden nach 1989 privatisiert und gewannen so relative Unabhängigkeit vom Staat. Der Zufluss von Auslandskapital erlaubte es, die überalterten Druckereien zu modernisieren. Ausländische Investoren spielen in den tschechischen Printmedien eine dominierende Rolle. Mit Ausnahme von Právo gehören alle national verbreiteten Tageszeitungen ausländischen Eigentümern.
Das hochentwickelte System von Regionalzeitungen, das bis 1989 von der kommunistisichen Partei kontrolliert wurde, ist inzwischen überwiegend im Eigentum der Verlagsgruppe Passau. Seit kurzem bündelt diese ihr Potential, indem sie Synergien realisiert und mit Denik ein national verbreitetes Blatt herausgibt, das ihre Regionalzeitungen in einem gemeinsamen Kopfblatt zusammenführt.
Anders als in Deutschland, in Grossbritannien und in den USA haben sich Boulevardzeitungen erst zwischen den beiden Weltkriegen herausgebildet. Obschon sie somit in Tschechien keine Tradition haben, sind solche Blätter heute bei der Bevölkerung sehr beliebt.
UNTERSUCHUNGSKONTEXT UND METHODE
Die hier präsentierten Forschungsergebnisse sind Teil eines grösseren Forschungsvorhabens „Journalisten in Tschechien“. Es beruht auf einer repräsentativen Befragung tschechischer Journalisten (durchgeführt von Focus Agency im Jahr 2003), auf einer ebenfalls repräsentativen Meinungsumfrage unter der tschechischen Bevölkerung zur Berufsrolle des Journalisten (erstellt von der Opinion Windows Agency 2004) und auf Leitfadeninterviews ausgewählter Journalisten (durchgeführt von den Kommunikationswissenschaftlern Jan Jirák, Barbara Köpplová und Jaromir Volek).
Es wurden haupt- und nebenberufliche Journalisten befragt. Die Forscher haben sich dafür entschieden, in ihrer Untersuchung nur Journalisten von Medien zu berücksichtigen, die sich dem Nachrichten- und Informationsjournalismus zurechnen lassen. Nicht erfasst wurden beispielsweise Lifestyle- und Freizeit-Magazine, Publikationen, die nur alle 14 Tage oder monatlich erscheinen, aber auch Musik-Radios oder Sportkanäle im Fernsehen. So konnten sie 109 Redaktionen identifizieren. Diese wurden mit der Bitte angeschrieben, Basisdaten zu ihrer jeweiligen Zusammensetzung zu liefern – und alle Redaktionen haben kooperiert. So konnten als Grundgesamtheit insgesamt 2585 Journalistinnen und Journalisten identifiziert werden. Unter Berücksichtigung der zunächst erhaltenen soziodemographischen Daten wurde sodann ein repräsentatives Sample von 406 Journalisten gebildet, die an der Befragung teilnahmen.
Schlagwörter:Barbara Köpplová, Demokratie, Jan Jirák, Jaromir Volek, Osteuropa, Tschechien