Infotainment: Unterhaltung für die Demokratie

14. Mai 2013 • Qualität & Ethik • von

Monatelang drehte sich die Berichterstattung über den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück im vergangenen Winter nur um ein Thema: Die realitätsferne Dekadenz des Sozialdemokraten, die sich an horrenden Rednerhonoraren zeigte und an seinen unüberlegten Äußerungen, Bundeskanzler verdienten in Deutschland zu wenig. Die Medien stürzten sich auf Steinbrücks Fauxpas – über die Inhalte seiner Politik fiel kaum ein Wort mehr. Die Polemik um Steinbrück ist ein klassischer Fall von Infotainment – eine Berichterstattung, mit der die Rezipienten sowohl informiert als auch unterhalten werden sollen.

Immer wieder stellt sich die Frage, wem mit einer solchen Berichterstattung gedient ist. Eine Studie kommt nun zu einem geteilten Urteil über Infotainment. Es kann durchaus das politische Interesse der Bürger steigern, andererseits aber auch zu größerem Misstrauen gegenüber der Politik und somit langfristig zu politischem Fatalismus führen. Wie Infotainment wirkt, hängt ganz davon ab, ob die Unterhaltung durch reißerische Aufmachung oder aber durch einen emotionalen Zugang erzielt wird.

Die Wissenschaftler Nael Jebril (Reuters Institute for the Study of Journalism, University of Oxford), Erik Albæk (University of Southern Denmark) und Claes H. de Vreese (University of Amsterdam) werteten über drei Wochen im Herbst 2008 jeweils die wichtigsten Zeitungen und TV-Nachrichtensendungen in Spanien, Dänemark und Großbritannien aus, darunter Flagschiffe wie The Guardian, BBC News, El País und Politiken. Insgesamt untersuchten die Forscher aus Großbritannien, Dänemark und den Niederlanden 3994 Nachrichtenbeiträge auf unterhaltende Elemente. Dies waren Stücke, die sich entweder auf die Privatsphäre von Politikern bezogen oder politische Inhalte emotional aufbereiteten.

Je einige Tage vor und nach dem Untersuchungszeitraum ließ das Team außerdem repräsentative Umfragen unter den Bevölkerungen der drei Nationen durchführen. Die insgesamt 4752 Befragten bekamen dabei auch Fragen vorgelegt, welche politisches Interesse und politischen Zynismus abbilden sollten. So sollten sie Zustimmung oder Ablehnung gegenüber Aussagen wie „Minister und Staatssekretäre sind hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt“ oder „Politiker verstehen nicht, was in der Gesellschaft passiert“ bekunden. Die Forscher wollten so untersuchen, wie sich die Einstellung der Befragten gegenüber der politischen Sphäre durch die jeweilige Berichterstattung veränderte.

Einer der zentralen Befunde der Wissenschaftler lautet: Hängt die Berichterstattung große politische Themen an einer persönlichen Geschichte auf, kann dies das Verständnis für Politik durchaus steigern. Vor allem politisch weniger interessierten Mediennutzern helfen solche Elemente, sich auf die Nachricht einzulassen. „Wir stellen das pauschale Urteil infrage, nach dem Infotainment nur schlechte Seiten haben soll“, schreiben die Autoren und spielen damit auf die weit verbreitete Meinung unter Medienexperten an, die zunehmend unterhaltende Politikberichterstattung verfehle den demokratischen Auftrag des Journalismus.

„Die Studie legt nahe, dass weiche Nachrichten trotz ihrer umstrittenen Wirkung auf das politische Wissen der Öffentlichkeit zu einem demokratischen Diskurs beitragen können, indem sie den politischen Zynismus senken“, konstatieren Jebril und seine Kollegen. Damit gehört die personalisierte Berichterstattung zum sogenannten funktionalen Infotainment, das politisch relevante Informationen nicht überlagert.

Ist das Infotainment dagegen so gestaltet, dass mehr über private Skandale und persönliche Konflikte zwischen Politikern als über die eigentliche Politik berichtet wird, liegt dysfunktionales Infotainment vor. Der gegenteilige Effekt greift: Die Berichterstattung führt der Untersuchung zufolge bei allen Publikumsgruppen dazu, dass sie sich von der Politik abwenden. „Mit Nachrichten, die hauptsächlich private Sphären der Politiker beleuchten, können Journalisten ihre Rolle in der Demokratie nicht ausfüllen“, schreiben die Autoren.  „Mit dysfunktionalem Infotainment wollen und können sie beim Publikum nicht die Aufmerksamkeit für die wahren politischen Inhalte wecken.“

Was den Anteil unterhaltender politischer Information und skandalisierender Berichte der drei Untersuchungsländer angeht, führt Großbritannien das Feld an, gefolgt von Dänemark und Spanien. Jüngere Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass es auch in Skandinavien zu einer Zunahme der medialen Skandalisierung gekommen ist. Als Gründe für die unterschiedlichen Anteile von Infotainment im politischen Journalismus sehen die Forscher die jeweiligen Rahmenbedingungen, unter denen die Journalisten produzieren, an.

So stehen Medien in Großbritannien unter einem großen Konkurrenzdruck; mit ihrer Berichterstattung über das Privatleben von Politikern versuchen sie so viele Mediennutzer wie möglich anzulocken. Beim britischen Privatsender ITV haben der Forscher zufolge 27 Prozent der politischen Nachrichtenbeiträge einen privaten Bezug. In Spanien, wo eine große Nähe vieler Medienmacher zur politischen Elite herrscht, halten sich die Medien dagegen mit skandalöser Berichterstattung über das Privatleben der Politiker eher zurück, nur sieben Prozent aller untersuchten TV-Beiträge von Informativos Telecinco, Noticias Antena 3 und Telediario TVE enthalten laut den Forschern entsprechende Elemente. Während der dänische Privat-Sender TV2Nyhederne in seiner Berichterstattung komplett auf das Privatleben der Politiker verzichtet, ziehen die anderen dänischen Medien insgesamt etwa die Hälfte ihrer politischen Berichte anhand von persönlichen Geschichten auf.

Für Deutschland gibt es keine aktuelle Studie über die Effekte von Infotainment; eine Untersuchung von Wilfried Scharf und Uli Bernhard aus dem Jahr 2008 zeigt lediglich, dass der Anteil unterhaltender politischer Information seit den 80er Jahren stark zugenommen hat. Eine Studie im Auftrag des netzwerk recherche von 2007 beschäftigt sich mit Nachrichtenfaktoren und erkennt dabei ebenfalls, dass unterhaltende Aspekte wie die Personalisierung von Nachrichten stark an Bedeutung gewonnen haben.

Das dürfte die Autoren der Studie freuen, die sich mehr funktionales Infotainment in den Medien wünschen, denn: „Sich auf Geschichten mit Bezug zu den Menschen zu verlegen und um ein politisches Thema einen emotional geprägten Rahmen zu bauen, kann positive Effekte auf das politische Interesse haben.“

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Analysierte Zeitungen und TV-Nachrichtensendungen:

El Mundo, ABC, El Pais, Informativos Telecinco, Noticias Antena 3, Telediario TVE, The Sun, Daily Telegraph, The Guardian, ITV News, BBC News, EkstraBladet, JyllandsPosten, Politiken, TV2Nyhederne, DR1 TV-Avisen

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Jebril, Nael; Albæk, Erik; de Vreese, Claes H. (2013): Infotainment, cynism and democracy: The effects of privatization vs personaliziation in the news, in: European Journal of Communication, 28. Jg. 28, H. 2, S. 105-121.

Das Reuters Institute for the Study of Journalism ist ein Partner des EJO.

Bildquelle: jotefa / Flickr

 

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