Vielfalt als Herausforderung im Schweizer Journalismus

12. Januar 2022 • Aktuelle Beiträge, Forschung aus 1. Hand, Qualität & Ethik • von

In einer weiterhin schwierigen Situation leisten Schweizer Medien eine in mehreren Bereichen gute Qualität. Doch die Vielfalt bleibt eine große Herausforderung – dies erklärt das „Jahrbuch Qualität der Medien“, das vom Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich zum zwölften Mal veröffentlicht wurde.

Im kleinen und nach Sprachregionen aufgeteilten Medienmarkt der Schweiz bleibt die Ressourcenlage für den Journalismus schwierig, trotz staatlicher Unterstützung während der Corona-Pandemie. Anhaltende Ressourcenprobleme schlagen sich nieder in einer eingeschränkten Anbietervielfalt, in einer zunehmenden inhaltlichen Medienkonzentration durch das Verbreiten identischer Beiträge via Mantelredaktionen und in einer eingeschränkten Akteursvielfalt innerhalb der Berichterstattung. Aus den verschiedenen Analysen, die wir für das „Jahrbuch Qualität der Medien“ durchgeführt haben, lassen sich die folgenden grundlegenden Punkte zur Vielfalt und zur Medienqualität generell festhalten.

Doppelte Medienkonzentration“

Im Schweizer Mediensystem beobachten wir eine zunehmende doppelte Medienkonzentration, die wir bereits hier schon beschrieben haben. Erstens ist die Anbietervielfalt eingeschränkt; neben dem öffentlichen Rundfunk, der politisch gewollt eine starke Stellung einnimmt, dominiert in den drei größeren Sprachregionen das private Medienhaus TX Group. Nur wenige weitere Anbieter erzielen noch substantielle Marktanteile, so in der Deutschschweiz CH Media und Ringier, in der Suisse romande ESH Médias und die Stiftung Aventinus und in der Svizzera italiana die Verlagsgesellschaft des Corriere del Ticino. Neue Anbieter mit Online-Nachrichten von zum Teil sehr guter Qualität wie das Start-up Republik bieten kein Rundum-Angebot, sondern beschränken sich auf kleinere Lokalräume und/oder auf einige wenige Beiträge pro Tag. Trotz wachsenden Erfolgs (die Republik hat laut Eigenangaben den „break-even“ geschafft) bleiben sie somit Nischenangebote.

Zweitens nimmt die „inhaltliche Medienkonzentration“ zu, indem Medienmarken vermehrt von Zentralredaktionen beliefert werden und sich immer weniger voneinander unterscheiden. Von 2017 auf 2020 hat sich der Anteil geteilter, also identischer Beiträge von 10% auf 25% erhöht; besonders hoch ist die inhaltliche Konzentration in der Politikberichterstattung mit 29%. Aus demokratietheoretischer Sicht besonders problematisch ist, dass die Anzahl geteilter Leitartikel, Kommentare und Rezensionen im Zeitraum von 2017 bis 2020 im Deutschschweizer Pressemarkt von 8% auf 23% angestiegen ist. Auf diese Weise wird die Meinungsvielfalt reduziert.

Medieninhalte: Eindeutiger Gender Gap

In der Medienberichterstattung von Schweizer Medien besteht ein deutlicher Gender Gap. Die Ergebnisse einer teilautomatisierten und einer manuellen Inhaltsanalyse zeigen, dass Frauen im Vergleich zu Männern in Schweizer Medien nach wie vor deutlich unterrepräsentiert sind. Auf eine Erwähnung einer Frau kommen rund drei Erwähnungen von Männern (Frauenanteil: 23%). Diese Ungleichheit besteht in allen Schweizer Sprachregionen und über sämtliche Medientypen hinweg, mit geringfügigen Unterschieden. Der größte Gender-Gap besteht in Wirtschafts- (17% Frauenanteil) und Sportnachrichten (13%). Am geringsten ist er in Kulturberichterstattung (27%) und bei Human-Interest-Themen (31%). Die Politikberichterstattung liegt dazwischen (23%). Männer werden zudem häufiger in professionellen Rollen und Führungspositionen dargestellt. Je höher die Hierarchiestufe, desto ausgeprägter ist der Gender-Gap. So beträgt der Frauenanteil bei den Top-Leitungsfunktionen 17%, bei der Thematisierung von Personen in einfachen Leitungsfunktionen 22% und bei der Thematisierung von Personen auf Ebene von Mitarbeitenden 27%. Insgesamt zeigt sich, dass die Präsenz von Frauen bei der redaktionellen Berichterstattung doppelt so hoch ausfällt im Vergleich zu Medienbeiträgen, die auf Agenturmeldungen basieren. Wenn demnach Journalist:innen Ressourcen investieren können und Beiträge selber schreiben, wird die Medienpräsenz von Frauen positiv beeinflusst.

Auch in der Berichterstattung über die Corona-Pandemie haben Frauen einen schweren Stand, auch was ihre Sichtbarkeit als Expertinnen betrifft. Im Vergleich der ersten und der zweiten Pandemie-Welle sind Wissenschaftlerinnen zwar sichtbarer geworden; der Frauenanteil an Experten-Stimmen beträgt in der zweiten Welle 21% und nicht mehr nur 12% wie in der ersten Welle. Doch Frauen bleiben weiterhin untervertreten gegenüber ihren männlichen Kollegen.

Wenig sichtbare Minderheit

Am konkreten Fall der Debatte über die Volksinitiative für ein Verhüllungsverbot, das die Schweizer Stimmbevölkerung im März 2021 angenommen hat, zeigt sich eine weitere Einschränkung der Akteursvielfalt. Das Verhüllungsverbot zielte in erster Linie auf die (Voll-)Verschleierung von muslimischen Frauen. Doch in der Medienberichterstattung waren Frauen nicht präsenter als Männer und vor allem die betroffene Minderheit – Musliminnen und Muslime – hatte bloß 11% der gesamten Akteurs-Sichtbarkeit. Redaktionelle Ressourcen spielen auch hier eine Rolle, in welchem Maß Muslim:innen zu Wort kamen und vor allem welche. Denn im direkten Vergleich mit Twitter wurde deutlich, dass in den redaktionellen Beiträgen der Medien muslimische Frauen (8%) immerhin etwas sichtbarer waren als auf Twitter (3%) und dass in den Medien verschiedene muslimische Frauen zu Wort kamen, auch statustiefere, die insgesamt unterschiedliche Pro- und Kontra-Positionen zur Volksabstimmung einbrachten. Auf Twitter hingegen äußerten sich eher muslimische Männer und die Präsenz von Frauen war auf einige ganz wenige, eher statushohe Personen und ganz wenige Positionen (nämlich eine Zustimmung zum Verbot) beschränkt. Medien bemühten sich also, wo es ging, um ein vielfältigeres Spektrum, doch die grundlegenden Vielfalts-Defizite konnten sie nicht beheben.

Bessere Leistungen in anderen Qualitätsdimensionen

Was die Medienqualität jenseits der Vielfaltsdimension betrifft, die auf der Grundlage einer Analyse der Gesamtberichterstattung während künstlichen Wochen gemessen wurde, gibt es auch positive Resultate. Die Medienqualität als Ganzes blieb stabil, veränderte sich jedoch in einzelnen Dimensionen. Die Medien informierten mehr über Politik (37%, +5 Prozentpunkte PP gegenüber dem Vorjahr) und weniger über Soft-News wie Sport (10%, -1,5 PP) und Human Interest (30%, -1,3 PP) – ein klares Resultat einer veränderten Themen- und Ereignislage, bei der die (nationale) Politik wegen der Corona-Pandemie verstärkt ins Zentrum rückte. Bei den Onlineauftritten der Boulevard- und Pendlerzeitungen konnten deshalb höhere Qualitätswerte gemessen werden. Der Anteil von Einordnungsleistungen in Form von Hintergrundbeiträgen ging zum ersten Mal seit sechs Jahren nicht mehr zurück. In der Berichterstattung speziell über die Corona-Pandemie, die wir in einer weiteren Studie untersucht haben, können wir diesbezüglich Qualitätsverbesserungen feststellen: Zahlen und Statistiken wurden im Vergleich zur ersten Welle von den Medien häufiger eingeordnet (21% vs. 12% in der ersten Welle). Auch lässt sich, wie schon in unserer Studie zur ersten Welle festgehalten, in den Medien keine „Hofberichterstattung“ beobachten. In dieser Hinsicht ähneln unsere Resultate denjenigen einer Studie zur Qualität der Pandemieberichterstattung, die Marcus Maurer und Simon Kruschinski (Universität Mainz) und Carsten Reinemann (Universität München) kürzlich durchgeführt haben.

Diskussion und Entscheidung um Medienförderung

Die Corona-Pandemie hat den längerfristigen Trend einer Ressourcenschwäche im Journalismus verschärft. Zu einen sind weitere Werbeeinnahmen weggefallen. Erstmals sind auch die Onlinewerbeeinnahmen der Schweizer Medienanbieter rückläufig (-11%). Zum anderen bleibt die Zahlungsbereitschaft tief. Nur 17% der Schweizerinnen und Schweizer haben im Vergangenen Jahr für Onlinenews bezahlt. Trotzdem erzielten die großen Medienhäuser auch im Corona-Jahr 2020 Gewinne. Die Gewinne waren aber nur dank weiteren Sparmaßnahmen wie Entlassungen oder Zusammenlegungen von Redaktionen (z.B. durch die TX Group in Bern) sowie staatlicher Hilfe möglich. Neben direkten Zahlungen in Form von „Nothilfen“ haben die Schweizer Medienhäuser vor allem das Instrument der Kurzarbeit, bei der ein Teil der Löhne vom Staat übernommen wird, eingesetzt. Zudem werden Gewinne in nicht-journalistischen Bereichen, wie zum Beispiel Job-Börsen, erzielt und solche Gewinne nicht (mehr) zur Querfinanzierung des Journalismus eingesetzt.

Angesichts der offensichtlichen Ressourcenproblematik nehmen Diskussionen über eine stärkere öffentliche Medienförderung zu – intensiviert auch durch ein Referendum im Februar 2022. Die Schweizer Stimmbevölkerung wird über ein komplexes Gesetzespaket abstimmen, das jährlich der Medienbranche jährlich zusätzlich maximal 151 Millionen Franken (ca. 150 Millionen Euro) zukommen lässt. Rund die Hälfte dieser Summe soll dazu dienen, die Auslieferung und Zustellung von gedruckten Zeitschriften und Zeitungen zu unterstützen – im Kontext der digitalen Transformation eine wenig zukunftsgerichtete Strategie. Allerdings sieht das Gesetz neben Unterstützung für technische Infrastrukturen und Branchen-Organisationen wie den Presserat auch eine Förderung von Online-Medien vor, insbesondere von kleineren Online-Anbietern. Die Erfolgschancen dieses Gesetzes sind offen, zumal der Abstimmungskampf erst vor kurzem begonnen hat. Ein Ergebnis aus dem Reuters Institute Digital News Report (Feldphase Anfang 2021) zeigt, dass in der Schweiz gleich viele Leute die staatliche Unterstützung privater Medien befürworten (37%) wie ablehnen (37%) – mit beachtlichen Anteilen an Leuten, die (noch) keine klare Meinung dazu haben (26%). Auffallend an dieser Befragung war allerdings, dass die Befürwortung in der Schweiz im größeren Ländervergleich relativ hoch ausfällt. Möglicherweise haben die heftigen Debatten über die Rundfunkgebühren, deren Abschaffung 2018 nach einer außerordentlich intensiven Diskussion schließlich sehr klar abgelehnt wurde (72%), ihre Spuren hinterlassen und die Einsicht verstärkt, dass in einem kleinen, von globalen Tech-Intermediären geprägten Medienmarkt der Markt alleine wohl nicht die Vielfalt hervorbringt, die man sich wünscht.

 

Das ganze Jahrbuch kann auf https://www.foeg.uzh.ch/de/jahrbuch-qualit%C3%A4t-der-medien.html kostenlos heruntergeladen werden. Das Jahrbuch hat verschiedene Datenquellen: Sekundärdaten aus der Medienindustrie, eigene Daten aus Bevölkerungsbefragungen zu Medienrepertoires oder zur Wahrnehmung von Desinformation, Sekundärdaten aus Bevölkerungsbefragungen (u.a. aus dem Reuters Institute Digital News Report) und vor allem mehrere eigene manuelle und teilautomatisierte Inhaltsanalysen, so zur Qualität der Medienberichterstattung generell und spezifisch zur Berichterstattung zur Corona-Pandemie in der ersten und zweiten Welle, zur Qualität der Debatte über eine Volksinitiative im Vergleich von Medienberichterstattung und Twitter, zur Darstellung von Frauen in den Medien und zur Kulturberichterstattung.

 

Bildquelle: pixabay.com

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