Vom Verlust der Vielfalt

18. August 2016 • Qualität & Ethik, Redaktion & Ökonomie • von

Die Schließung des österreichischen Wirtschaftsblatts mag ökonomisch begründet sein. Demokratiepolitisch ist es ein weiterer, heikler Rückschritt, sagt die Medienethikerin Larissa Krainer.

WirtschaftsblattDie Österreichische Pressestatistik listet seit 1960 die Zahl der eigenständigen Tageszeitungen (gemessen in publizistischen Einheiten) auf. Zu Beginn waren 28 Blätter am Markt. Mit der Schließung des Wirtschaftsblatts, einer überregionalen Tageszeitung mit Schwerpunkt Wirtschaft, werden es nur noch 13 sein. Das Schrumpfen war fast immer ökonomisch begründet, was verschiedene Ursachen hat.

Erstens zählen Zeitungen zu den wenigen Produkten, mit deren Verkaufspreis die Produktionskosten nicht gedeckt werden können. Würden Zeitungen so kalkuliert werden, wären sie ein unerschwingliches Gut. Das dürfen sie aber nicht sein, wenn aus demokratiepolitischen Gründen der Zugang zu Information über Medien möglichst niederschwellig (leistbar) bleiben soll.

Daraus folgt, dass sich Medien zweitens (primär) über andere Einnahmen finanzieren müssen (Inserate, Werbung). Wer inseriert, sucht aber naturgegeben jene Blätter aus, mit denen möglichst viele Menschen aus der angestrebten Zielgruppe erreicht werden können – also jene mit hohen Auflagen bzw. hoher Reichweite. Daraus folgt wiederum eine problematische Anzeigen-Auflagen-Spirale: Je höher die Auflage, desto mehr Anzeigen. Nicht immer bürgen auflagenstarke Medien aber für journalistische Qualität, fundierte Recherche und wichtige Hintergrundberichterstattung. Häufig ist eher das Gegenteil der Fall. Erschwerend kommt hinzu, dass Einsparungen sehr häufig Personalkosten betreffen. Dort spart man am meisten, wenn man sich von älteren JournalistInnen frühzeitig (teilweise oder ganz) verabschiedet oder junge Menschen mit weit schlechteren Verträgen ausstattet. Damit verliert man aber notgedrungen Wissen, Können, Erfahrung – und in letzter Konsequenz Qualität wie Reputation.

Österreich zählt zu jenen Demokratien, in denen Pressekonzentration herrscht und zwar in zweierlei Hinsicht: Die relative Konzentration tritt ein, wenn einige Medien im Vergleich zu allen anderen eine viel höhere Reichweite haben – das ist mit der Neuen Kronenzeitung in Österreich der Fall, wie die Auflistung zu den Reichweiten der Österreichischen Tagespresse der Statistik Austria belegt. 2014 betrug die Reichweite der Neuen Kronenzeitung mit 31,6 % deutlich mehr, als jene von Standard, Presse, Kurier und Salzburger Nachrichten zusammen (insgesamt 22 %). Gemeinsam mit der Gratiszeitung Heute (13,8 %) erreichten die beiden Boulevardmedien weit mehr Prozent als alle anderen Medien gemeinsam. Die absolute Konzentration beschreibt den Wegfall publizistischer Einheiten, der sich seit 1960 eben kontinuierlich fortgesetzt und nun einen neuen Tiefpunkt erreicht hat.

Konzentrationsbewegungen am Medienmarkt zählen zu besonders heiklen demokratiepolitischen Indikatoren. Sehr häufig (wenn auch nicht gezwungenermaßen) drückt sich darin nämlich ein Verlust von Vielfalt in Hinblick auf Inhalte, Informationen und Meinungen aus. Damit ist unmittelbar der Kern jeder Demokratie tangiert, die Sicherung der Pressefreiheit und – mit ihr Hand in Hand gehend – der individuellen Meinungsfreiheit – einem verfassungsrechtlich geschützten Grundwert jeder Demokratie.

Die NGO „Reporter ohne Grenzen“ veröffentlicht alljährlich eine Rangliste der Pressefreiheit, unter anderem dokumentiert in einer Weltkarte. Darin belegt Österreich derzeit Rang 11, hat aber gegenüber dem Vorjahr vier Plätze verloren. Im Vergleich zu den Ergebnissen bei den Olympischen Sommerspielen ist das freilich ein guter Platz. Bedenkt man, dass neben Europäischen Staaten wie Finnland, Niederlande oder Norwegen (Platz 1-3) auch Länder wie Costa Rica oder Jamaika vor Österreich liegen, fragt man sich doch, was hierzulande falsch läuft.

Die vieldiskutierte Presseförderung – ein zentrales Instrument zur Förderung von Pressevielfalt und damit Meinungspluralismus – ist, wiewohl unverzichtbar, nur begrenzt als taugliches Steuerungsinstrument zu begreifen.

Der Wegfall des Wirtschaftsblatts mag ob der eher geringen Reichweite (2014 lag die Zeitung bei 1,1 Prozent) verschmerzbar erscheinen. Nimmt man ihn als ein Indiz für die vorhandene Pluralität der Tageszeitungen, so ist der Abgang von profunden SchreiberInnen, DenkerInnen und AnalystInnen zu beklagen, die auf dem engen Personalmarkt der Tagespresse nur schwer ein neues Dach finden werden, der Abschied eines der wenigen Fachmedien am Tageszeitungsmarkt zur Kenntnis zu nehmen und ein Verlust der Vielfalt in demokratiepolitischer Hinsicht zu bedauern.

Erstveröffentlichung: derstandard.at vom 17. August 2016

Bildquelle: Screenshot

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