Der Sieg von Donald Trump macht den Zusammenprall zweier Kommunikationskulturen manifest. Doch Wissenschaft und Medien verstehen die neuen Verhältnisse noch nicht.
Sicherlich gab es einzelne Stimmen in den Medien, von Journalisten und von Politikern, die im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf einen Sieg von Donald Trumps für gar nicht so unwahrscheinlich hielten. Aber der Tenor war: Hillary Clinton wird es schaffen. Warum haben die Medien den Sieg von Trump nicht vorausgesehen oder zumindest nicht als durchaus wahrscheinlich dargestellt?
Darauf gibt es drei Antworten.
Probleme von Umfragen
Erste Antwort: Die etablierten Medien haben auf einen Sieg von Clinton gesetzt, weil sie sich gestützt haben auf die Demoskopen mit ihrem wissenschaftlich abgesicherten Instrumentarium. Die Umfragen signalisierten, dass es knapp werden würde, dass es aber für einen Sieg Clintons reichen würde. In der Tat hat sie auch im Gesamtergebnis mehr Stimmen bekommen.
Das verschiebt die Frage auf die Demoskopen: Warum haben sie die Chancen Trumps unterschätzt? Für den Wahlsieg ist nicht eine landesweite Mehrheit erforderlich, sondern es entscheidet das spezielle Verhältnis in den einzelnen Staaten und insbesondere in den Swing States. Wenn es aber in den einzelnen Staaten knapp wird, wenn zwei oder drei Prozent über Sieg oder Niederlage entscheiden und die Stimmen für die Unterlegenen unter den Tisch fallen, dann kann den Umfragen mit ihrer Marge von vier Prozent Fehlertoleranz keine Prognose entnommen werden. Diese Unsicherheit wurde in der medialen Spiegelung der Umfragen nicht immer deutlich genug signalisiert.
Im Weiteren können die Umfragen das Ausmaß der Last-Minute-Mobilisierung nur schätzen. Trump hat aber offensichtlich in einem hohen Maß aus der Gruppe der vormaligen Nicht-Wähler Stimmen für sich mobilisiert. Dieses Ausmaß war in den Schätzmodellen der Umfrageinstitute so nicht vorgesehen. Trump hat es geschafft, auf den letzten Drücker viele aus seinem Wählerpotential zur Wahlurne zu bringen, die sonst nicht wählen. Clinton hat hingegen auch nicht annähernd ihr Wählerpotential mobilisieren können. Darauf deutet auch die trotz der Polarisierung erstaunlich niedrige Wahlbeteiligung im Vergleich zu früheren Präsidentschaftswahlen hin. Vor allem in den ethnischen Minderheitsgruppen hat Clinton nicht die Zustimmung erfahren, die notwendig gewesen wäre.
Ferner wurde die Mobilisierung zugunsten von Trump durch die Demoskopen unterschätzt, weil die Trump-Wähler für die Umfrageinstitute schwer erreichbar sind. Sie sind politikverdrossen und misstrauisch, auch gegenüber Umfragen. Sie geben sich nicht als Trump-Anhänger zu erkennen oder verweigern sich generell einer Umfrage. Ihr Verhalten muss dann mit komplizierten Modellen geschätzt werden.
Abgeschottete Welten
Zweite Antwort: Die Journalisten in den etablierten Medien wollten die Möglichkeit eines Trump-Sieges nicht wahrhaben. Man konnte und wollte es sich nicht vorstellen, dass es so viel Verblendung und Unwissenheit geben könnte. Dies beruht auf einer journalistischen Vorstellung von Welt. Auch Journalisten leben in einer Filter-Bubble, in der bevorzugt die Kommunikation mit ihresgleichen gepflegt wird. Die ist geprägt von bestimmten Annahmen über die politische Welt. Es soll professionell, vernünftig, rational zugehen. Diese Vorstellung wird geteilt mit den Politikern und mit andern Teilen der Elite. Journalisten verkehren hauptsächlich mit Journalisten und mit anderen Hochgebildeten, arbeiten in Städten und sehen in der Regel die politische Entwicklung eher zuversichtlich. Journalisten nehmen zwar wahr, dass es irgendwo da draußen noch andere politische
Vorstellungen und Einstellungen und Verhaltensweisen gibt, aber die werden nicht akzeptiert. Zu denjenigen mit niedriger Bildung, die auf dem Lande wohnen, die Verzweifelten und Abgehängten, die Wütenden, zu denen besteht keine persönliche Beziehung, das ist außerhalb des Horizonts. Das wird ignoriert, und wenn es sich meldet, wird mit aller Kraft versucht, es auszugrenzen und totzuschweigen.
Es ergeben sich so weitgehend getrennte Kommunikationswelten mit ganz unterschiedlichen Codes, also mit unterschiedlichen Zeichensystemen: Der Code der politischen Kommunikation in den etablierten Kreisen unterscheidet sich deutlich vom Code in den Kreisen, aus denen beispielsweise die Trump-Anhänger mobilisiert werden. Eine Verständigung ist deshalb schwer. Die Rhetorik von Trump bringt das zum Ausdruck: Sie verweigert sich den Regeln einer aufgeklärten Öffentlichkeit und entfaltet ein völlig anderes Denken und Sprechen. Darin gilt Wahrheit wenig, Expressivität und Authentizität viel. Es kommt auf plastische Bilder, eindrückliche Erzählungen und kräftige Wunschvorstellungen an. Man kann das schlimm finden, aber man muss erst einmal akzeptieren, dass es eine solche andere politische Kommunikation gibt.
Neue Öffentlichkeiten
Dritte Antwort: Diese andere politische Kommunikation hat in den sozialen Netzmedien ihre eigene Öffentlichkeit gefunden. Twitter, Facebook oder Whatsapp bilden das Rückgrat einer Kommunikation unter ihresgleichen, die Einzelnen fühlen sich nicht isoliert und abgehängt, sondern als Teil einer Gemeinschaft. Das durchbricht die Schweigespirale, die durch etablierte Medien in Gang gehalten wird. Erst wenn man diese Kommunikation einbezieht in die Diagnose der öffentlichen Meinung, ist ein verlässliches Bild möglich.
Aber weder die Massenmedien noch die Wissenschaft können bisher die Stimmungen in den sozialen Netzwerken angemessen einschätzen. Es gibt noch keine zuverlässigen Indikatoren für Stimmungen oder für Handlungsabsichten derer, die bevorzugt in den sozialen Netzmedien politisch kommunizieren. Noch kann der chaotischen politischen Kommunikation in den Netzmedien nicht entnommen werden, in welche Richtung die öffentliche Meinung geht.
Es wären sehr schwierige Probleme zu lösen, bevor verlässliche Prognosen gemacht werden können. Das beginnt bei der Lautstärke einzelner Personen, deren Wirkung auf andere nicht abzuschätzen ist. Und es endet nicht bei Bots, also maschinell generierten und placierten Meinungsäußerungen, deren Ausmaß und Reichweite schwer ermittelbar ist. Noch gibt es keine leistungsfähigen Methoden und Instrumente, um der Kommunikation in den sozialen Netzmedien Hinweise zu entnehmen, wie sich die öffentliche Meinung entwickeln wird, wie von den Stimmen dort auf die Bevölkerung oder einzelne Gruppen zu schließen ist.
Die drei Antworten auf die Frage, warum die Medien Trumps Sieg nicht vorausgesehen haben, gelten auch für unsere Überraschung durch den Brexit oder durch die AfD-Erfolge. Man kann gespannt sein, wie lange Medien und Wissenschaft brauchen, um sich in der neuen politischen Welt zurechtzufinden.
Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung vom 19. November 2016
Bildquelle: Darron Birgenheier / Flickr CC: Donald Trump in Reno, Nevada; Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/
Schlagwörter:Donald Trump, Facebook, Filter Bubble, Hillary Clinton, Journalisten, Kommunikationswelten, Medien, Soziale Medien, Twitter, Umfragen, US-Präsidentschaftswahl, USA, Whatsapp, Wissenschaft