Felix Koltermann befasst sich als Kommunikationswissenschaftler, Journalist und Fotograf mit Produktion und Stellenwert von Fotos im Journalismus. In seinem neuen Buch beleuchtet er den Status Quo des deutschen Bildjournalismus aus unterschiedlichen Bildwinkeln. Hier spricht er mit EJO-Redakteur Marcus Kreutler über seine Studienergebnisse, den Stellenwert der Bildredaktion in der Ausbildung und Schattenseiten des Bebilderungszwangs im Online-Journalismus.
Sie befassen sich seit über 20 Jahren schwerpunktmäßig mit Fotografie. Wenn Sie an die journalistische Nutzung von Fotos denken: Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Felix Koltermann: Vor allem ist die Anzahl der im Journalismus benutzten Fotografien exponentiell gestiegen. Als ich im Rahmen meines Fotografiestudiums angefangen habe, mich mit dem Thema zu beschäftigen, waren wir noch mitten im Übergang von analog zu digital. In Zeitungen und Magazinen war die Fotografie damals schon ein wichtiges Medium – aber es waren immer nur einzelne Artikel bebildert. Dann kamen die ersten Online-Medien auf, mit einem zunehmenden Bildhunger. Heute ist es einfach so, dass jeder Online-Artikel auch ein Bild hat.
Ihr Buch enthält zwei bislang unveröffentlichte Studien. Die erste befasst sich mit dem Personal, das sich bei deutschen Tageszeitungen als Bild- oder Fotoredakteur:innen mit Fotos befasst. Kurz zusammengefasst: Wie ist denn die Lage?
Ich habe die Studie gemacht, weil es bisher einfach keine Zahlen darüber gab, wie viele festangestellte Fotoredakteurinnen und Bildredakteure wir eigentlich haben – sowohl in Tageszeitungen als auch im gesamten deutschen Journalismus. Das Ergebnis der Untersuchung ist zweigeteilt: Bildredakteur:innen sind in der Breite des deutschen Tageszeitungsjournalismus eine Randerscheinung, relevant vor allem bei überregionalen Medien und dem Boulevard. Fotoredakteur:innen sind umgekehrt bei den großen, überregionalen Tageszeitungen ein Randphänomen geworden, dafür aber noch in einer größeren Anzahl bei lokalen und regionalen Zeitungen vorhanden. Das bedeutet auch: Die bildredaktionellen Tätigkeiten, die ja jeden Tag auch bei Lokalzeitungen anfallen, werden nicht von Bildredakteur:innen durchgeführt. Sie sind eine Querschnittsaufgabe von anderem Redaktionspersonal.
Die freien Fotografinnen und Fotografen waren nicht Thema der Untersuchung?
Die Freien waren deswegen nicht Fokus der Untersuchung, weil sie für den redaktionellen Arbeitsprozess eine weniger große Rolle spielen. Sie sind Zuträger:innen von außen und nicht in redaktionelle Routinen eingebunden, die mich in erster Linie interessiert haben. Die Situation der Freien hat aber mein ehemaliger Kollege Lars Bauernschmitt von der Hochschule Hannover in mehreren Studien untersucht. Sie ist demnach insofern prekär, dass es eigentlich kaum möglich ist, ausschließlich von journalistischer Fotografie zu leben. Wenn man die verschiedenen Berufsgruppen auf dem Bildermarkt vergleicht, etwa in Bereichen wie Fotojournalismus und Werbefotografie, ist das jährliche Einkommen am geringsten bei denen, die Fotojournalismus betreiben – mit wenigen Ausnahmen.
Eine große Herausforderung ist ja die Verifikation von Nachrichten und eben auch von Fotos aus dem Internet – verschärft in jüngerer Zeit noch durch KI-generierte Bilder. Ist dieser Arbeitsbereich vielleicht eine Zukunftsperspektive für Bildredakteurinnen und Bildredakteure?
Das wird definitiv nur ein Randbereich bleiben. Wir haben dazu 2021 in Hannover eine Tagung gemacht, den Studientag Bildredaktion. Dabei gab es ein Panel, das sich mit genau dieser Frage beschäftigt hat: Da waren Kolleg:innen aus verschiedenen Bereichen dabei, die Verifikation bei Agenturen betreiben, aber auch Quality-Monitoring bei großen Verlagen. Tenor war, dass es eigentlich immer nur bei besonderen Ereignissen eine Rolle spielt, im redaktionellen Alltag aber kaum, weil vor allem die Breite der regionalen Zeitungen ihr Material fast ausschließlich von Agenturen bezieht. Das heißt: Der Verifikationsprozess ist an die Agenturen ausgelagert, die als privilegierte Quelle gelten. Weil die meisten Tageszeitungen nur selten direkt auf Amateurbilder zugreifen, ist das für sie keine tägliche Aufgabe. Das ist ein bisschen anders bei den großen, überregionalen Zeitungen, die große Bildredaktionen mit zehn Angestellten und mehr haben. Auch da sind es dann aber höchstens einzelne, die sich damit beschäftigen. Das mag absurd erscheinen angesichts der vielen Bilder, die wir aus dem Nahen Osten oder aus dem Ukraine-Krieg zu sehen bekommen, aber der entscheidende Punkt ist die Auslagerung dieser Prozesse an die Agenturen. Dort spielt es natürlich eine große Rolle, weil die Agenturen entscheiden müssen: Nehmen sie – wenn sie keine eigenen Bilder haben – Material von Amateur:innen auf, und wie können sie es verifizieren?
Sie sprechen gerade große Bildredaktionen an: Wo sitzen denn die Marktführer in dem Bereich?
Die größten Bildredaktionen bei den Tageszeitungen haben Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Allgemeine Zeitung. Das sind große Teams mit einer Zahl von Mitarbeitenden im niedrigen zweistelligen Bereich.
Eine gute Nachricht für die Freien – es gibt noch Tageszeitungen, die Aufträge vergeben und ihre Fotos als wichtige Bildquelle sehen.
Die zweite Studie im Buch bezieht sich auf die Nutzung von Bildinhalten in den überregionalen Teilen von sechs Tageszeitungen (FAZ, FR, Hannoversche Allgemeine, SZ, taz und Welt). Auch hier: Wie lassen sich die Ergebnisse zusammenfassen?
Am interessantesten ist, dass die wichtigste Quelle für Bilder in Deutschland mittlerweile die Deutsche Presse-Agentur ist. Über alle sechs Zeitungen hinweg hat sie 30 Prozent der Bilder gestellt. Zwischen den einzelnen Tageszeitungen unterscheidet sich das nochmal, aber es ist ganz klar, dass die großen Agenturen auch die größten Bilderlieferanten sind. Es gibt aber immerhin fast 14 Prozent Bilder von freien oder beauftragten Fotograf:innen. Das finde ich wiederum eine gute Nachricht für die Freien – es gibt noch Tageszeitungen, die Aufträge vergeben und ihre Fotos als wichtige Bildquelle sehen. Die größten Anteile gab es bei der taz mit 24 Prozent und der Welt mit 21 Prozent. Dabei spielen etwa Porträts von Politiker:innen und Reportageformate eine große Rolle. Das ist natürlich Verlagspolitik, zu entscheiden, wo das Bildmaterial herkommt. Beide Zeitungen haben keine festangestellten Fotograf:innen, im Gegensatz zum Beispiel zur FAZ.
Die Agentur-Fotografinnen und -Fotografen waren nicht Thema der Studie, aber können sie uns einen Einblick in ihre Lage geben?
Die großen Agenturen – also dpa, EPA (European Pressphoto Agency), AFP – sind eines der wenigen Felder, wo in Deutschland noch festangestellte Fotojournalist:innen arbeiten können. Die haben gute Arbeitsbedingungen und oft gute Verträge, zum Teil auch als feste Freie. Ich glaube auch, dass deren Arbeitsfeld relativ stabil ist, aber es ist natürlich ein kleiner Markt. Wenn man das zusammenrechnet, wird man auf eine nicht mehr als mittlere zweistellige Zahl von angestellten Fotograf:innen kommen. Andere Agenturen wie etwa Imago vertreiben dann hauptsächlich Material von freien Fotograf:innen. Das kann man natürlich aus meinen Zahlen so nicht ersehen, aber man kann davon ausgehen, dass bei Nachrichtenagenturen wie dpa zumindest ein Großteil von den eigenen Fotograf:innen stammt.
Es besteht immer weniger ein konkreter Bezug zwischen einem Text und einem Bild als authentischem Dokument. Und da stellt sich die Frage: Ist das den Leser:innen immer klar?
Neben den Studien gibt es in Ihrem Buch noch Kapitel mit Ortsbesuchen, Interviews, und dann auch ein Kapitel mit Bildkritiken – man könnte auch sagen Bildauswahl-Kritiken. Vor allem dort habe ich den Eindruck, dass der Bereich insgesamt unter wirtschaftlichen Zwängen leidet und Sie sich hier mehr von den Verlagen und Redaktionen wünschen?
Ich würde da erstmal widersprechen: Ich glaube nicht, dass es vor allem ein Ressourcenproblem ist, das ich in den Bildkritiken beschreibe. Ich glaube, es ist eher eine inhaltliche Entscheidung: Je mehr Bilder ich in der täglichen Arbeit brauche und je mehr Texte ich ohne konkreten Bezug zu einem bestimmten Bild habe, umso schwieriger ist per se die Bebilderung – und umso mehr muss sie symbolisch sein oder abstrakt visualisieren. Das birgt jedoch meiner Ansicht nach ganz große Herausforderungen, weil die Bild-Text-Relation immer diffuser wird. Es besteht immer weniger ein konkreter Bezug zwischen einem Text und einem Bild als authentischem Dokument. Und da stellt sich die Frage: Ist das den Leser:innen immer klar? Wird zum Beispiel eindeutig darauf hingewiesen, dass die im Bild dargestellte Person gar nicht die im Text erwähnte Person ist? Dass es Symbolbilder sind, die heute im Journalismus und morgen in der Werbung eingesetzt werden? Das hat vielleicht auch mit wirtschaftlichen Zwängen zu tun, aber sehr viel mehr mit Strukturen im Online-Journalismus: Mit der absoluten Bild-Fixierung wie auch mit Trends, für die natürlich auch Redaktionen Verantwortung tragen. Die Struktur, dass jeder Artikel auf einer Website ein Bild braucht, ist ja menschengemacht – aber sie ist letztlich auch eine Falle, die zu dieser Art von problematischer Bildverwendung führt.
Was wären denn Ihre Wünsche an Redaktionen bezüglich der Bildauswahl?
Das Entscheidende für mich ist immer eine transparente Bildunterschrift: Wenn ich Symbolbilder auswähle, insbesondere Stockfotografien, sie als solche zu kennzeichnen. Es gibt zwar Kennzeichnungspflichten, die werde aber ganz unterschiedlich gehandhabt. Das ist das A und O, eine transparente Kontextualisierung, die in der Bildunterschrift darauf hinweist, dass zum Beispiel die dargestellte Person nicht die Person im Text ist. Ich glaube, dass Mediennutzer:innen das anders nicht erkennen, weil sie hier auf einen falschen Pfad geführt werden. Da sehe ich die Verantwortung bei den Redaktionen. Ich persönlich würde mir auch wünschen, dass Verlage grundsätzlich im Online-Journalismus ihre Position überdenken und überlegen: Warum muss ich eigentlich Infrastrukturen schaffen, bei denen jeder Artikel auch ein Bild braucht? Gibt es andere Möglichkeiten, um dieser Falle der Visualisierung zu entgehen? Das ist ja letztlich genau das, was Tageszeitungs-Gestaltung ausmacht. Ich setze Akzente, ich wähle bewusst aus, ich kann entscheiden: Hier habe oder brauche ich kein Bild. Da würde ich mir wünschen, dass die Verlage mutiger sind, auch gegen den Strom zu schwimmen. Mir ist klar, dass ich Bilder brauche, um Artikel auf Social Media auszuspielen. Aber ich finde, wir müssen im Journalismus über die Infrastrukturen reden, weil wir uns ansonsten zu Sklaven dieser Infrastrukturen machen und dann bestimmte Probleme auch kaum lösbar sind.
Also eine Form der Übersetzung des alten Zeitungslayouts in einen Online-Kontext.
Zum Beispiel. Das Entscheidende ist eine ganz klare Kontextualisierung durch Bildunterschriften und, wo es geht, eine so wenig wie möglich symbolische Bebilderung. Stockfotografien, die auch von jedem anderen – zum Beispiel werbetreibenden – Unternehmen genutzt werden können, haben aus meiner Sicht im aktuellen Journalismus nichts zu suchen.
Vermehrt bekommen Reporterinnen und Reporter den Auftrag, auch ein Bild mitzubringen, das dann häufig mit dem Smartphone gemacht wird. Unabhängig von den handwerklichen Ansprüchen oder der Möglichkeit, beides parallel gut zu betreiben, hat das ja auch technische Implikationen: Sehen Sie eine „Verweitwinklung“ des Bildjournalismus oder eine Beschränkung auf bestimmte Motive, die das Smartphone technisch gut abdeckt?
Ich glaube, dass weniger das Smartphone den Einfluss hat als wiederum die Notwendigkeiten der Plattformen, auf denen ich ein Bild brauche, das ich in alle Formate beschneiden kann. Ich brauche heute Bilder, die mehr „Fleisch“ haben, bei denen mehr rundherum zu sehen ist. Und ich brauche andere Bilder, weil die Bilder online oft kleiner sind und ich weniger Details erkennen kann. Das sind eher die Herausforderungen als das Smartphone an sich. Und dann hängt es natürlich von den Verlagen ab, ob die Kolleg:innen, die beides machen, nicht auch eine professionelle Ausrüstung haben können – das widerspricht sich ja nicht.
Wenn wir nochmal auf die Zahlen beim Personal zurückkommen – Ihre Studie ergibt: In 22 von 281 Zeitungen inklusive der Zentralredaktionen beschäftigen sich noch Menschen hauptberuflich mit der Auswahl von Bildern oder geben Fotos in Auftrag. 73 Zeitungen haben noch eigene Fotografinnen und Fotografen. Das klingt im Verhältnis erstmal finster. Was macht denn Hoffnung für die Zukunft des Bildjournalismus?
Das Entscheidende ist: Wir können immer nur über die Zukunft von Fotojournalismus reden, wenn wir eine ökonomische Perspektive haben. Das ist das eine. Das andere: Was sind denn Alleinstellungsmerkmale von Tageszeitungen, und kann da Fotografie eine größere Rolle spielen? Im Moment geht der Trend dahin, Bildmaterial immer nur als Add-On zu sehen und Fotoredaktionen abzuschmelzen, um Geld zu sparen. Bildredaktionen werden langfristig nur bei großen Tageszeitungen eine Rolle spielen, so wie es jetzt eigentlich schon ist. Da werden sie vielleicht sogar ausgebaut, aber selbst dort ist der Trend, dass Bildredaktionen eine Art Servicestelle werden, weil aufgrund der Vielzahl von Bildern bei drei Schichten am Tag gar nicht alle Bilder von den Bildredakteur:innen ausgewählt werden können.
Ich glaube, dass man den Aspekt der Bildproduktion, also das Fotografische, wie auch die Bildredaktion zu einem wesentlichen Teil journalistischer Ausbildung machen muss. Das geht nicht mit einem oder zwei Tagen Workshop. Deswegen war mir diese Studie auch so wichtig: Man muss den Realitäten ins Auge sehen. Fotoredaktionen werden weniger und sind sowieso nur im Lokaljournalismus zu finden, Bildredaktionen sind wichtig, aber nur überregional und eigentlich ein Eliteprodukt – und auch sie werden auf Dauer nie alle benötigten Bilder auswählen können. Das heißt: Bildredaktionelle Arbeit ist keine Spezialisierung, sondern Querschnittsaufgabe.
Vielen Dank für das Gespräch.
Schlagwörter:Bildredaktion, Fotojournalismus, Nachrichtenagenturen, Tageszeitungen