Warum so negativ? – Konstruktiver Journalismus in Deutschland

13. Juli 2016 • Qualität & Ethik • von

life-548690_1920Gewalt bringt Quote? – Konstruktiver Journalismus steuert dem Mythos entgegen, dass der Erfolg von Massenmedien vom Einsatz einer gewissen Dosis Blut und Brutalität abhängig ist und findet damit großen Zuspruch beim Publikum.

Sachlich, lösungsorientiert und zukunftsweisend – so sollte Journalismus sein. Trotzdem skizzieren Massenmedien die Welt jeden Tag als einen Ort des Schreckens. Es gilt die uralte Journalistenregel: „Only bad news are good news“. Vor allem in Zeiten der Krise sind sie besonders gefragt: einfache Rezepte für garantierten Erfolg. Konstruktiver Journalismus ist ein nicht ganz neuer, aber moderner Zugang für einen Journalismus, der neben den Schattenseiten auch das Positive zeigt, der das Gelingen und gute Beispiele in den Vordergrund stellt und auf diese Weise viele neue Leser, Zuhörer und Zuseher hinzugewinnen soll. Die Wahrnehmungsfilter müssen dabei anders justiert werden: Der Journalist soll neben dem Wer? Wo? und Wann? auch nach dem Wie? und dem Was jetzt? fragen. Diese veränderte Fragestellung eröffnet einen neuen Blick auf Geschichten und fördert damit das Engagement und die Eigeninitiative des Publikums.

Bei der diesem Beitrag zugrunde liegenden Masterarbeit wurden vierzehn Journalisten verschiedener deutscher Zeitungen und Magazine befragt, die bereits Erfahrungen mit Konstruktivem Journalismus gesammelt und diese Form der Berichterstattung (zumindest teilweise) in ihren Arbeitsprozess integriert haben. Darunter sind Medienmacher etablierter Titel wie Die Zeit, brand eins, Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag oder taz aber auch verschiedener Independent Magazine wie OYA, enorm, Forum Nachhaltig Wirtschaften, Good Impact, Transform oder Futurzwei und journalistische Startups wie Perspective Daily.

Warum wir mehr Konstruktiven Journalismus brauchen

In repräsentativen Befragungen wird der Zustand der Welt deutlich schlechter eingeschätzt als er tatsächlich ist. Betrachtet man aber Indikatoren wie Lebenserwartung, gesundheitliche Versorgung oder Einkommen, ist es den meisten Menschen – zumindest in der westlichen Welt – nie so gut wie heute gegangen. Das Bild gerät jedoch in Schieflage, weil positive Entwicklungen oder potenzielle Lösungsansätze in der Berichterstattung häufig außen vor gelassen werden und der Nachrichtenfaktor Negativität in der Regel überwiegt.

Studien zeigen aber, dass sich Menschen insbesondere dann von Medien abwenden, wenn das dargestellte Thema schwer lösbare Probleme enthält. Medienwissenschaftler an der Universität Southampton haben herausgefunden, dass eine Überbetonung negativer Nachrichten nicht die gesellschaftlichen Zustände ändere, sondern lediglich die Gemütszustände der Rezipienten. Laut einer Forsa-Umfrage, die im vergangenen Jahr von RTL in Auftrag gegeben wurde, würden viele Zuschauer jedoch gerne häufiger positive Meldungen sehen. Auch Studien der Angewandten Positiven Psychologie zeigen, dass lösungsorientierte Texte positive Emotionen erzeugen, besser behalten werden können und das Publikum zu eigenen Handlungen veranlassen.

Ist althergebrachter Journalismus deshalb destruktiv?

Das Konzept wird häufig missverstanden. Es geht dabei jedoch nicht darum, unkritisch zu sein, die Welt schönzufärben, oder um Wohlfühl-Journalismus, der Geschichten über süße Katzenbabys erzählt. Konstruktiver Journalismus benennt klar das Problem, geht aber noch einen entscheidenden Schritt weiter: Er weist auf Vorschläge für Alternativen hin und fragt nach Perspektiven, die anschließend diskutiert werden können.

Die befragten Journalisten sehen jedoch keinen Widerspruch zur journalistischen Kernaufgabe als vierte Macht im Staat: Man könne gleichzeitig konstruktiv und kritisch über Themen mit gesellschaftlicher Relevanz berichten. Jens Bergmann von brand eins betont in diesem Zusammenhang, dass aber auch die Suche nach Missständen fair, differenziert und wahrheitsgetreu ablaufen sollte. Trotzdem müssten auch potenzielle Lösungen stets „auf Herz und Nieren geprüft werden“, so die freie Journalistin Anja Humburg.

Die Lage in Deutschland

Auch international gewinnen Constructive News immer mehr Zuspruch. Vor allem Redaktionen in Skandinavien und den USA haben gute Erfahrungen damit gemacht und berichten von einer deutlichen Reichweitensteigerung. Hierzulande findet Konstruktiver Journalismus jedoch eher abseits der breiten Masse statt. Dennoch setzen sich mittlerweile auch immer mehr Redaktionen von Mainstream-Medien damit auseinander: So hatten sich im vergangenen Jahr mit ZDF-Moderator Claus Kleber und ARD-Aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke zwei namhafte deutsche TV-Journalisten dafür ausgesprochen, im Zuge der Flüchtlingsdebatte vermehrt konstruktiv zu berichten.

Ein Großteil der Befragten nannte außerdem Die Zeit als gutes Beispiel für Constructive News in Deutschland: Dort verwende man vor allen Dingen verschiedene erklär- und datenjournalistische Elemente, um den Lesern die Themen lösungsorientiert zugänglich zu machen. Vor drei Jahren habe man bei der Zeit bereits mit der Serie „Gute Nachrichten“ erste Erfahrungen gesammelt. Spiegel Online experimentierte im vergangenen Jahr ebenfalls mit Konstruktivem Journalismus und veröffentlichte einen Tag lang „Artikel, die weitergehen“ und Der Spiegel druckt seit Anfang 2016 die lösungsorientierte Kolumne „Früher war alles schlechter“. Auch die taz hat in der Vergangenheit einige Sonderausgaben zu Constructive News veröffentlicht („Eine andere Welt wird sichtbar“, „Wir steigern das Bruttosozialglück“, „Power aus der Provinz“) – mit Erfolg: laut Ute Scheub, Mitbegründerin der taz, war die erste Ausgabe zu lösungsorientiertem Journalismus die meist verkaufte taz-Nummer des Jahres 2009.

Vor allem der Wunsch Initiative zu ergreifen ist beispielsweise für viele Leser der Magazine brand eins und enorm ein wichtiger Impuls. Dort verfolge man den Ansatz, besonders gute Ideen darzustellen, Geschichten des Gelingens zu zeigen und Menschen zu porträtieren, die auch unter Schwierigkeiten etwas gründen, sagt der Journalist Michael Gleich. Alle befragten Journalisten erhielten zu ihren konstruktiven Beiträgen überwiegend positives Feedback und die Berichterstattung habe in vielen Fällen dazu geführt, dass die Leser selbst die Ärmel hochgekrempelt hätten und etwas angehen wollten. Zahlreiche erfolgreiche (Crowdfunding-)Projekte junger Medien (z.B. Perspective Daily) illustrieren, dass eine deutliche Nachfrage nach lösungsorientierter Berichterstattung besteht.

Das Prinzip Hoffnung

Die Mehrheit der Journalisten sieht in konstruktiver Berichterstattung auch großes Potenzial für die Entwicklung neuer Formate: Man schaffe damit Möglichkeiten für neue Erzählformen, die sich mit Visionen, Utopien und Szenarien beschäftigen, die mit Motivation oder mit positiven Assoziationen verbunden sind. Zudem könne man mit dem Konzept langfristige Trends und Entwicklungen deutlich machen und somit die Wirkungsweise eines Lösungsansatzes besser erfassen.

Die Journalistin Merle Bornemann vom Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag ist der Ansicht, dass die konstruktive Berichterstattung über die Flüchtlingskrise möglicherweise dazu beitragen werde, andere Themen künftig auf die gleiche Weise zu bearbeiten. Zudem ist es denkbar, sich von den klassischen journalistischen Formen zu verabschieden. Bei Perspective Daily hat man sich beispielsweise von festen Rubriken verabschiedet: Dort setzt man innerhalb der Plattform auf Schlagworte, die durch verschiedene Formate oder datenjournalistische Elemente inhaltlich unterstützt werden.

Insgesamt zeigt die Studie, dass sich das journalistische Selbstverständnis gerade verändert, bei einigen Journalistinnen und Journalisten ein Umdenken stattfindet und immer mehr durch ihre Berichterstattung stärker zum gesellschaftlichen Wandel beitragen wollen. „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, so heißt es schon bei Hölderlin. Wo Dauerkrisen und Probleme sind, wächst die Sehnsucht nach potenziellen Lösungen. Immer mehr Journalisten und Medien interessieren sich für eine Erweiterung des Blicks in genau diese Richtung. Doch es ist, wie Links- oder Rechtshänder zu sein: Wir bevorzugen eine Hand, können aber mit etwas mehr Mühe auch die andere verwenden.

Bildquelle: pixabay.com

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