Was vom investigativen Journalismus bleibt

12. Dezember 2017 • Qualität & Ethik • von

Anfang November enthüllten die „Paradise Papers“ die Steuerschlupflöcher von Politikern und Großkonzernen. Weltweit loderte Empörung auf, doch die Hitze hielt nicht lange an. Kaum waren die „Paradise Papers“ bekannt, schon waren sie aus den Schlagzeilen verdrängt. Was bedeutet das für den Journalismus?

„Ein neues Leak erschüttert Konzerne, Politiker und die Welt der Superreichen“, titelte die Süddeutsche Zeitung Anfang November mit großen Lettern auf ihrer Webseite. So harmlos die Bezeichnung „Paradise Papers“ daherkommt, dahinter steckt eine der größten journalistischen Leistungen der letzten Jahre: Über 13 Millionen Dokumente aus mehr als 20 verschiedenen Quellen wurden der Süddeutschen Zeitung zugespielt. Die sensiblen Daten enthalten Belege für umstrittene Steuerpraktiken, Dienstleistungen durch Briefkastenfirmen und versteckte Steueroasen. Mehr als 380 Journalisten von 96 Medien aus 67 Ländern haben mit dem internationalen Netzwerk investigativer Journalisten (ICIJ) zusammengearbeitet und die Unterlagen ein Jahr lang ausgewertet. In Österreich waren die Wiener Wochenzeitung Falter und der ORF beteiligt.

Medien auf der ganzen Welt verbreiteten die brisanten Ergebnisse: 120 Politiker aus fast 50 Ländern tauchen in den Dokumenten auf. Prominente Sportler sind involviert, auch globale Unternehmen wie Apple und Nike. Sie alle sollen von Steuerschlupflöchern Gebrauch machen. Die Botschaft des neuen Leaks ist laut Süddeutscher Zeitung klar: „Kein Politiker, kein Großkonzern, kein Sanktionsbrecher, kein Steuerhinterzieher, kein heimlicher Strippenzieher kann mehr davon ausgehen, dass seine Geschäfte tatsächlich dort bleiben, wo er sie haben will: im Verborgenen“.

Wenn der Aufwand höher als die Resonanz ist

Die „Paradise Papers“ veranschaulichen die enorme Relevanz von investigativem Journalismus: Die neuesten Leaks deckten eine besondere Form der sozialen Ungerechtigkeit auf und führten der Gesellschaft vor Augen, welche Privilegien sich Unternehmen und Privatpersonen zuschanzen und mit welcher gewissenlosen Kaltschnäuzigkeit sie dabei vorgehen. Zu Recht stellt die Medienöffentlichkeit die involvierten Personen an den Pranger und kritisiert die enttarnten Steuerschlupflöcher.

Der journalistische Kraftakt birgt aber erhebliche Risiken: Zum einen müssen die beteiligten Medien damit rechnen, dass Betroffene gegen die Veröffentlichungen klagen. Das Prozesskostenrisiko tragen die Herausgeber der investigativen Medien – und die Prozessgegner haben tiefe Taschen. Zum anderen kostet investigativer Journalismus jede Menge Zeit und Geld. Journalistinnen und Journalisten sind wochenlang mit der Auswertung der Daten beschäftigt. Das will refinanziert sein.

Die synchronisierte Berichterstattung der beteiligten Medien in so vielen Ländern erzeugte bei der Veröffentlichung der „Paradise Papers“ Anfang November globale Aufmerksamkeit, doch das Interesse flaute schon nach wenigen Tagen deutlich ab. Das zeigen statistische Auswertungen durch die Suchmaschine Google: War „Paradise Papers“ am 6. November, also am Tag der Enthüllung, noch der meistgesuchte Begriff in Österreich, sank das Interesse für die Leaks danach rapide.

Ähnlich verhielt es sich schon vor anderthalb Jahren mit den Enthüllungen der „Panama Papers“: Der Journalist Stefan Winterbauer sprach damals von einem „Skandal mit erstaunlich geringer Halbwertzeit“, was Aufmerksamkeit und öffentliches Interesse angeht. Solche Feststellungen lassen daran zweifeln, ob sich investigativer Journalismus für die Medien noch lohnt. So wichtig der Enthüllungsjournalismus also für eine aufgeklärte Gesellschaft ist, so schwierig ist er von werbefinanzierten Medien umzusetzen. Zu groß sind der zeitliche und finanzielle Aufwand, zu gering die gesellschaftliche Resonanz und der ökonomische Profit.

Verzicht auf investigativen Journalismus keine Option

Dabei stellt investigativer Journalismus eine erfolgversprechende Verteidigungsstrategie der klassischen Medien gegenüber einer von Fake News durchsetzten Blogosphäre dar. Faktenprüfung ist die Paradedisziplin gelernter und überzeugter Journalistinnen und Journalisten, und demokratische Gesellschaften vertrauen ihnen zu Recht die Bewirtschaftung der Differenz zwischen Wahrheit und Lüge an. Steigende Abonnementzahlen für US-Medien, die sich faktenbasiertem Journalismus verschrieben haben, nähren die Hoffnung, dass die Menschen an solchen journalistischen Leistungen auch interessiert sind – und dass ihnen diese Leistungen auch bares Geld wert sind.

Bleibt den „Panama“ und „Paradise Papers“ die gesellschaftliche Anerkennung verweht, so bleiben die Werbeerträge aus und die investigativen Medien auf ihren Aufwendungen sitzen. Die Buchhalter in den Medienunternehmen werden in Zukunft den Bleistift besonders scharf spitzen, wenn es das nächste Mal um die Finanzierung der Aufdeckung von Korruption und Misswirtschaft geht.

Auf investigativen Journalismus ganz zu verzichten ist für Demokratien keine Option. Lassen sich solche teuren Recherchen nicht mehr über direkte Erträge der User, und auch nicht mehr über Werbeerlöse finanzieren, so ist an einen dritten Weg zu denken. Österreich hat mit der Einführung der Presseförderung diesen Weg schon vor 40 Jahren eingeschlagen. Die abtretende Regierung ist mit ihrer Reform der Presseförderung gescheitert – die neue Regierung wäre gut beraten, auch investigativen Journalismus als förderungswürdig anzuerkennen. Und anständig mit Finanzmitteln auszustatten.

 

Weiterlesen:

Ludwig, Johannes (2007): Investigativer Journalismus: Handwerk oder „Hohe Kunst“? In: Pöttker, Horst/Schulzki-Haddouti: Vergessen? Verschwiegen? Verdrängt? 10 Jahre „Initiative Nachrichtenaufklärung“. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 103-119.

Meedia (2016): Die Panama Papers: der  „Mega-Skandal“ mit der Mini-Halbwertzeit. Online unter: http://meedia.de/2016/04/12/die-panama-papers-der-mega-skandal-mit-der-mini-halbwertzeit/ (13.11.2017).

Süddeutsche Zeitung (2017): Paradise Papers – Die Schattenwelt des großen Geldes. Online unter: https://projekte.sueddeutsche.de/paradisepapers/politik/das-ist-das-leak-e229478/ (13.11.2017).

 

Erstveröffentlichung: derstandard.at vom 12. Dezember 2017

Bildquelle: Screenshot Süddeutsche Zeitung

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3 Responses to Was vom investigativen Journalismus bleibt

  1. Äh, nein. Dem kann ich so nicht zustimmen. Die Leistung der Rechercheure war grandios, die Ergebnisse umfassend. Aber warum ging’s eigentlich nicht weiter? Ich hatte damit gerechnet, dass der großen Enthüllung auch noch was folgt: Namen. Nachfragen bei den Hinterziehern. Fernsehberichte mit Reportern vor den Briefkästen. Interviews mit den Finanzministern – solche Sachen. Aber der Verbund hat seine Fakten auf den Markt geschmissen, ist gefühlt erstmal in den Urlaub gefahren und wundert sich nun, dass “Paradise Papers” langsam wieder bei den Suchbegriffen sinkt.

    Jetzt mal Butter bei die Fische – da muss mal beispielhaft einer mit seinen Hinterziehungen konfrontiert werden. Strafanzeigen geschrieben und veröffentlicht werden. Gesichter vor die Kameras gezerrt werden. Und go!

  2. Marley Dread sagt:

    +1

    Ein Flugzeugabsturz oder Terroranschlag werden gemolken und clickoptimiert bis zum erbrechen (Tag 5, wir haben nichts neues, aber ein “Experte” darf gerne wild spekulieren was denn hätte sein können).

    Aus jedem Großkonzern kann man eine entsprechende Artikelserie machen. Die Magazine und Zeitungen können das bei anderen Themen auch.

    Der Herr Snowden und die mit seinen Daten anbetrauten Journalisten haben das klüger gemacht und konnten das Thema jahrelang in den Medien halten.

  3. Marc Wickel sagt:

    Vielleicht muss man die Häppchen kleiner machen und über einen längeren Zeitraum verteilen. Alles auf einmal ist viel zu unübersichtlich und wird dann schnell abgehakt, weil man das einfach nicht überblicken kann und auch keine Chance sieht, das in absehbarer Zeit zu schaffen.

    Zudem fand ich bei den Panama Papers es ungeschickt diese namentliche Verbindung zu Putin aufzubauen, obwohl man dem russischen Präsidenten selbst nichts nachweisen konnte. Damit verlor die Veröffentlichung bei den Putin-Freunden unnötigerweise gleich ihre Glaubwürdigkeit.

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