Wenn Trump twittert, zücken sie die Lupe. Jedes Wort kommt auf die Goldwaage. Doch das Vertrauen in die Faktenprüfer schwindet. Und es zeigt sich: Fact-Checking ist keine Allzweckwaffe – eher eine journalistische Darstellungsform.
Im März dieses Jahres kündigte das amerikanische „Media Research Center“ eine neue Fact Checking-Initiative an. Das Besondere: Gegenstand der Initiative sind nicht Facebook und Twitter oder die Massenmedien. Gecheckt werden sollen vielmehr: andere Fact Checker.
Glaubt man dem „Media Research Center“, so weisen bestehende Fact Checks – etwa PolitiFact.com, FactCheck.org, Snopes.com, Washington Post Fact Checker, AP Fact Check und CNN Fact Check – einen linken Einschlag auf, der einer Korrektur bedarf. Das „Media Research Center“ ist – anders als der Name suggeriert – keine Forschungsinstitution, sondern eine konservative „Watchdog“-Organisation, die sich dem Kampf gegen linke Einseitigkeit in den Medien verschrieben hat.
Eine plumpe PR-Aktion, könnte man also sagen. Und doch: Eine Umfrage des anerkannten Marktforschungsinstituts Rasmussen ergab, dass 62 Prozent der US-Bürger das Fact Checking der Massenmedien für wenig glaubwürdig halten. Ihr Vorbehalt: Massenmedien würden in einer Weise selektiv Fakten prüfen, die ihren politischen Präferenzen entsprächen. Eine jüngere wissenschaftliche Analyse der Nutzerresonanz auf Fact Checks in sozialen Medien kam ebenfalls zu dem Ergebnis: mehrheitlich stoßen die Faktenprüfer auf Skepsis. Viele Nutzerinnen und Nutzer empfinden die Fact Checks als politisch einseitig.
Der Boom seit 2016
Dennoch boomt das Geschäft mit dem Fact Checking. Eine Analyse des Reuters Institute for the Study of Journalism identifizierte jüngst weltweit 113 Fact Checking-Organisationen, 50 davon weniger als vier Jahre alt. Insbesondere seit 2016 ist ein dynamisches Wachstum zu verzeichnen. Denn 2016 ist das Jahr, in dem Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde. Und damit das Jahr, in dem „Fake News“ zum Gegenstand zahlloser Debatten und politischer Initiativen wurden. Das ist kein Zufall, denn landläufig herrscht der Eindruck, die hemmungslose Verbreitung von „Fake News“ in sozialen Medien habe maßgeblich zur Wahl des politischen Außenseiters beigetragen.
Seit 2016 geht daher die Angst um, das böswillige Streuen von „Fake News“ könnte Wahlen im demokratischen Westen korrumpieren. Die Europäische Kommission richtete darum eine Expertengruppe zur Bekämpfung von Desinformation im Netz ein, die bereits erste Empfehlungen vorlegte – darunter auch: Fact Checking. Mehr noch, die EU installierte selbst eine Fact Checking-Einheit namens „EU vs. Disinfo“, die sich explizit gegen russische Versuche der Einflussnahme auf europäische Wahlen richtet. Diese EU-Initiative erlangte jüngst unrühmliche Bekanntheit, als drei niederländische Medien Klage einreichten, weil sie sich fälschlich als „Quellen der Desinformation“ bezeichnet fanden.
Angesichts dieses Aktionismus mag überraschen, dass bisher nur wenig empirische Evidenz für einen starken Einfluss von „Fake News“ spricht. Selbst im Falle der Trump-Wahl: Eine Studie der Ohio State University kam zwar zum Schluss, dass vor allem solche Wähler, die aus dem demokratischen in das republikanische Lager wechselten, Clinton-kritischen „Fake News“ Glauben schenkten. Eine umfangreiche Analyse der Stanford University zeigte jedoch, dass die Reichweite von „Fake News“ während des Wahlkampfs insgesamt sehr gering war – insbesondere im Vergleich zum Konsum harter Nachrichten.
Auch eine Analyse rund um die letzten Bundestagswahlen 2018 unter dem Titel „Fakten statt Fakes“ konnte keinen maßgeblichen Einfluss von „Fake News“ feststellen. Ganz ähnlich eine Untersuchung des Reuters-Instituts über die Reichweite von Fake-News in Europa: In den französischen und italienischen Medienmärkten erreichten selbst die besucherstärksten Fake-News-Seiten im Netz maximal 3,5 Prozent der Bevölkerung. Ist also Entwarnung angesagt? Nicht unbedingt, denn Analysen zeigen auch, dass sich „Fake News“ aufgrund ihrer sensationalistischen und häufig politisch einseitigen Natur besonders schnell in den sozialen Medien verbreiten. Nicht etwa, weil Algorithmen oder so genannte „Bots“ sie befeuern, sondern weil sie an bekannte, ganz menschliche mediale Nutzungsmotive appellieren.
Widerspruch verhärtet Fronten
Eines davon ist der „Confirmation Bias“, also die Neigung, solche Informationen zu bevorzugen, die bestehende Erwartungen erfüllen. Meldungen über Umweltschäden durch Klimawandel werden etwa eher in linken Kreisen rezipiert, Meldungen über Kriminalität durch Ausländer in rechten. Doch lässt sich dieser Dynamik durch ein Fact Checking wirkungsvoll entgegentreten? Hier ist Skepsis angebracht. Aktuelle wissenschaftliche Studien zeigen eher, dass sich die Fronten verhärten, wenn politisch motivierte Nutzer online mit Informationen konfrontiert werden, die ihrem Standpunkt widersprechen.
Die eingangs zitierten Studien legen nahe, dass dies nicht zuletzt für ebensolche journalistische Darstellungsformen gilt, die im Mantel der Berichtigung daherkommen. Denn darum handelt es sich beim „Fact Check“: eine journalistische Darstellungsform, vergleichbar der Nachricht oder dem Kommentar. Der Unterschied: der „Fact Check“ beansprucht schon in seinem Namen einen besonderen Wahrheitsgehalt. Wer sich aber nicht bloß durch ein Argument herausgefordert, sondern durch einen „Fact Check“ gemaßregelt sieht, ist besonders gefährdet, Widerstand zu entwickeln. In der Post-Trump’schen Begeisterungswelle für den Kampf gegen „Fake News“ droht dieser problematische Charakter des Fact Checkings übersehen zu werden.
Wie fehlbar Journalisten in der Erstellung von Fact Checks sind, zeigt denn auch eine seriöse Alternative zur eingangs erwähnten PR-Aktion, das „Fact Check Review“ der politisch unabhängigen Plattform RealClearPolitics. Diese Analyse dokumentiert, wie häufig Journalisten dazu neigen, nicht etwa Fakten, sondern bloße Meinungsäusserungen einem „Fact Check“ zu unterziehen. Der Fact Check gleicht dann einem Kommentar im falschen Gewande. Nicht minder problematisch ist der Agenda Setting-Charakter des Fact Checking, also die Frage, welche Äußerungen einem Fact Check unterzogen werden – und welche nicht. Alleine dadurch die Selektion der Berichtigungsobjekte kann der Eindruck erweckt werden, eine Seite eines Diskurses neige in besonderem Maße zur Unwahrheit.
Vom Prüfen zum Fälschen
Und so kann nicht überraschen, dass genau jene Hälfte des politischen Spektrums besonders ablehnend auf „Fact Checking“ reagiert, die sich ohnehin traditionell von Journalisten missverstanden fühlt: die rechte. Nach einer Gallup-Umfrage gaben zuletzt gerade noch 14 Prozent der US-Republikaner an, Vertrauen in die Massenmedien aufzuweisen. Die Vorstellung, diesen Wert durch das Belehren mit „Fact Checks“ heben zu können, muss wohl als naiv betrachtet werden. Wahrscheinlicher ist, dass das konfrontative Instrument des Fact Checking die Verhärtung politischer Fronten und die Polarisierung des Diskurses weiter vorantreibt. So paradox es klingt: Das Fact Checking befördert ungewollt die Verbreitung von Fake News.
Massenmedien täten daher gut daran, vom hohen Ross des „Fact Checking“ abzusteigen und Desinformationen dadurch zu bekämpfen, dass sie ihre Aufgabe erfüllen: kritische Recherche, fundierte und ausgewogene Berichterstattung sowie transparente Kommentare. Trotz aller „Fake News“-Panik: auch im digitalen Zeitalter zeigen sich die Mediennutzer erstaunlich kompetent darin, seriöse von unseriösen Quellen zu unterscheiden. Seriosität aber verträgt sich schlecht mit Rechthaberei und überzogenen Wahrheitsansprüchen.
Erstveröffentlichung: NZZ vom 3. November 2018
Bildquelle: pixabay.com
Schlagwörter:Confirmation Bias, Desinformation, Fact Checking, Fake News, Fakten, Media Research Center, Medienvertrauen