Eigentlich ist WhatsApp als Messenger dazu da, Unterhaltungen zu führen. Im brasilianischen Präsidentschaftswahlkampf 2018 wurde die App allerdings strategisch dazu genutzt, Fake News zu verbreiten. Diese beeinflussten die Wahl und könnten ein Faktor sein, der Jair Bolsonaro zum Sieg verholfen hat, wie eine Studie zeigt.
Im Oktober 2018 gewann der Rechtspopulist mit rund 55 Prozent der Stimmen gegen seinen linken Kontrahenten Fernando Haddad in einer Stichwahl. Dass Bolsonaro die Wahl für sich entscheiden konnte, kam für viele Beobachter überraschend. Allerdings befand sich das südamerikanische Land in den Jahren zuvor in einer politischen und wirtschaftlichen Krise. Die Bevölkerung war wütend und unzufrieden, die Atmosphäre stark polarisiert und der Hass gegen die linke Arbeiterpartei PT, die jahrelang den Präsidenten stellte, groß. Aufgeheizt wurde die Stimmung während des Wahlkampfes dann mit Fake News, die hauptsächlich Haddad schadeten und Bolsonaro in ein gutes Licht stellen sollten. Unternehmen sollen gezielt dazu beauftragt worden sein, diese Massen an Falsch- und Desinformation unter anderem in Gruppenchats zu verschicken – ein illegales Vorgehen. Um dieses zu untersuchen und aufzuklären, nahm im September 2019 ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss seine Arbeit auf – das ganze Ausmaß wurde nach und nach bekannt.
Im Rahmen einer Studie der Organisation Avaaz gaben 98 Prozent der 1.491 befragten Wähler Bolsonaros an, mindestens einer Falschnachricht ausgesetzt gewesen zu sein. Knapp 90 Prozent davon sollen geglaubt haben, dass diese Inhalte auf Wahrheiten basierten.
Inwiefern hat also die Verbreitung von Fake News die Wahl und damit den Sieg Bolsonaros beeinflusst? Mit dieser Frage setzt sich die Studie im Rahmen einer Bachelorarbeit am Institut für Journalistik der TU Dortmund auseinander. Acht brasilianische Experten wurden dazu befragt, darunter Journalistik-ProfessorInnen, eine Journalistin, ein Forscher und ein Marketingexperte.
Mehrheit der Fake News waren Pro-Bolsonaro
WhatsApp ist in Brasilien extrem beliebt, vor der Wahl im Jahr 2018 gab es dort 120 Millionen aktive Nutzer bei einer Bevölkerung von 209 Millionen Menschen. Damit war es das Land auf der Welt mit dem zweitgrößten WhatsApp-Markt, nur der indische ist größer. Besonders aktiv sind die Menschen dort in Gruppen, darunter auch öffentliche. Diesen kann man über Links beitreten, die auf speziell darauf ausgerichteten Websites zu finden sind. Eine Besonderheit in Brasilien ist, dass viele Menschen den Messenger dazu benutzen, um sich zu informieren.
Vorausgehende Studien stellten bereits heraus, dass Fake News öfter weitergeleitet und viel mehr verbreitet worden sind als andere Inhalte, und zwar von einer größeren Zahl an Nutzern und in mehr Gruppen. Weiterhin heißt es, dass die Mehrheit der Inhalte Pro-Bolsonaro und Anti-Haddad waren, was damit begründet wird, dass die Partei Bolsonaros diese Kommunikationsstruktur eher entwickelt hatte als die Partei von Fernando Haddad. Außerdem gaben Studien Hinweise darauf, dass Inhalte automatisiert, also von Bots, verschickt wurden. Auch die Mitglieder des Untersuchungsausschusses und die Presse gehen davon aus. Es scheint zudem ein regelrechtes Netzwerk an Gruppen gegeben zu haben, in denen einige Mitglieder auffällig viele Nachrichten versendeten.
Fake News beeinflussten die Präsidentschaftswahl
Dass Fake News die Wahl beeinflusst haben, bejahten alle befragten Experten. Die Meinungen darüber, wie stark der Einfluss war, reichten allerdings von sehr stark bis sehr schwach. Die Hälfte der Befragten sagte, dass Bolsonaro auch ohne die Strategie gewonnen hätte, die Fake News also nicht wahlentscheidend waren. Allerdings kann herausgestellt werden, dass diese zumindest dazu beitrugen, die bereits vorhandenen Abneigungen gegen Haddad zu verstärken sowie Vorurteile aufzubauen und in dieser Art und Weise ein Einfluss auf die Wahl ausgeübt wurde. So können die Fake News zu einer Verschärfung der Polarisierung beigetragen haben.
Voraussetzungen, die vor allem in Brasilien dazu führten, dass die Fake News erfolgreich sein konnten, sahen die Experten vor allem im Zero Rating, das in Brasilien weit verbreitet ist. Es bezeichnet die Möglichkeit, einen Handyvertrag abzuschließen, bei dem der durch die Nutzung von WhatsApp entstandene Datenverbrauch kostenlos ist. Hinzu komme, dass die Menschen viel Zeit auf WhatsApp verbringen und somit den Fake News sehr oft und sehr lang ausgesetzt seien, oft ohne sie zu verifizieren. Außerdem gebe es viele funktionale Analphabeten im Land, die WhatsApp viel nutzen, aber die Inhalte, die sie dort empfangen, nicht richtig einordnen könnten.
Durch die Befragung der Experten und vorausgegangene Studien stellte sich heraus, dass WhatsApp, obwohl es kein klassisches soziales Netzwerk ist und somit keinen Feed hat, eine ideale Plattform für die Verbreitung von Fake News ist. Dies liegt an mehreren Faktoren. Zunächst herrscht ein großes Vertrauen, bedingt durch den Fakt, dass die Chats mit Freunden, Bekannten und Familie ein privater Raum sind und man die Personen kennt, mit denen man spricht. Man vertraut ihnen mehr als anonymen und fremden Nutzern in anderen Netzwerken. Außerdem gibt es auf WhatsApp keinen Algorithmus. Inhalte, für die man sich sonst nicht interessieren würde, werden nicht herausgefiltert, sodass man in Gruppen viel mehr gegensätzlichen politischen Meinungen ausgesetzt ist, von denen man dann vielleicht am Ende überzeugt wird.
Besonders problematisch ist den Experten zufolge, dass WhatsApp eine Plattform ist, die sehr schwer zu regulieren ist. Die Nachrichten sind verschlüsselt und es bieten sich für den Nutzer kaum Möglichkeiten nachzuvollziehen, woher die Inhalte ursprünglich kamen. Die Umgebung sei somit sehr intransparent und es sei sehr schwierig, von außen einzugreifen. Für die politischen Akteure, die unter Umständen gezielt Falsch- und Desinformationen verbreiten, sei WhatsApp auch dahingehend ideal, als dass sich damit Nutzer sehr schnell und einfach mobilisieren ließen.
Chance für den Journalismus
Insgesamt ist hervorzuheben, dass die Verbreitung von Fake News über WhatsApp und die strategische Nutzung der Plattform zu Wahlkampfzwecken dem Land geschadet haben. Allerdings besteht die Hoffnung, dass die Bevölkerung durch die Erfahrungen aus dem Jahr 2018 gelernt hat und vorsichtiger agieren wird. Außerdem wird die illegale strategische Nutzung von WhatsApp in Form von massenhaft verschickten Nachrichten untersucht und könnte Erkenntnisse liefern, welche Akteure dafür verantwortlich waren und wie dies in Zukunft verhindert werden kann. Für den Journalismus kann die Situation als Herausforderung gesehen werden, sich gegen die verbreiteten Fake News zu behaupten und unermüdlich daran zu arbeiten, die Inhalte zu verifizieren sowie die Menschen über das dahintersteckende System aufzuklären. So könnte möglicherweise auch neues Vertrauen in die Medien entstehen, das in Brasilien zuletzt stark gesunken ist.
Literatur:
Avaaz (2018): Roubadas pelo WhatsApp! Pesquisa Mostra que Eleições Brasileiras foram „inundadas“ por Fake News. Zugriff am 21.01.2020, 17:44 Uhr unter https://secure.avaaz.org/act/media.php?press_id=917
Almeida, J. M., Benevenuto, F., Melo, P., Reis, J. C. S., Resende, G. & Vascolcelos, M. (2019): Analyzing Textual (Mis)Information Shared in WhatsApp Groups. In WebSci’19: Proceedings of the 10th ACM Conference on Web Science (S. 225-234). New York: Association for Computing Machinery.
Howard, P. N., Kira, B., Kollanyi, B., Machado, C. & Narayanan, V. (2019): A Study of Misinformation in WhatsApp groups with a focus on the Brazilian Presidential Elections. In WWW’19: Companion Proceedings of The 2019 World Wide Web Conference (S. 1013-1019). New York: Association for Computing Machinery.
Konopacki, M. & Machado, C. (o. J.): Poder Computacional: Automação no uso do WhatsApp nas Eleições. Estudo sobre o uso de ferramentas de automatização para o impulsionamento digital de campanhas políticas nas eleições brasileiras de 2018. o. O.: Instituto de Tecnologia & Sociedade do Rio.
De Oliveira Brinkhoff, Elisa (2020): Die Verbreitung von Fake News über WhatsApp. Eine Untersuchung über den Einfluss auf die brasilianische Präsidentschaftswahl 2018 mit Experteninterviews. Unveröffentlichte Bachelorarbeit am Institut für Journalistik der TU Dortmund.
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