Der US-Präsident hat mit der Handelspolitik seiner Vorgänger gebrochen und betreibt Politik in Tweets. Das erhöht die Unsicherheit in Bezug auf internationale Politik – und schlägt sich auch in den Medien nieder.
Für Donald Trump bildet der Januar 2020 einen unangenehmen Höhepunkt seiner von Skandalen und politischen Grenzüberschreitungen geprägten Präsidentschaft: Im Senat findet die Anhörung zum Amtsenthebungsverfahren gegen den US-Präsidenten statt. Zwar wird die von den Republikanern dominierte Kammer des US-Kongresses das Verfahren aller Voraussicht nach abschmettern, doch das Trump als dritter US-Präsident überhaupt in ein Amtsenthebungsverfahren verwickelt ist, unterstreicht noch einmal die besonderen Implikationen seiner Präsidentschaft.
Der Multimilliardär hat die bestehende internationale Politik- und Handelsordnungen angegriffen, sich einen Zollstreit mit China geliefert und das nordamerikanische Freihandelsabkommen aufgekündigt, um es dann nach seinen Vorstellungen neu zu verhandeln. Er hat Nordkorea erst mit Vernichtung gedroht, um sich dann als erster US-Präsident mit einem Mitglied der Kim-Familie zu treffen. Zudem ist er aus dem Atomabkommen mit dem Iran und dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen. Kurzum: Donald Trump bricht mit den Traditionen der US-Außen- und Handelspolitik. Er ist kaum berechenbar – und schafft damit Unsicherheit.
Das stellt insbesondere ein ökonomisches Problem dar. Denn Unsicherheit ist dem Wesen nach nicht prognostizierbar. Ökonomische Akteure wie Firmen und Verbraucher können nicht abschätzen, wie wahrscheinlich der Eintritt bestimmter Ereignisse ist. In der Folge warten sie ab und handeln lieber nicht als vermeintlich falsch zu handeln. Dies kann zu ökonomischen Schäden führen, weil beispielsweise wichtige Investitionen nicht getätigt werden.
Rein quantitativer Ansatz wird Komplexität des Themas nicht gerecht
Die Wirtschaftswissenschaften haben sich in den vergangenen Jahren verstärkt mit dem Thema beschäftigt – und ziehen zur Messung ökonomischer Unsicherheit Mediendaten zu Rate. Ein etablierter Ansatz ist der Economic Policy Uncertainty Index (EPU). Dieser zählt die Zahl der veröffentlichen Artikel, in denen bestimmte Wortkombinationen vorkommen, die mit Unsicherheit in Verbindung gebracht werden. Für den deutschen EPU werden die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und das „Handelsblatt“ betrachtet. Dieser rein quantitative Ansatz („Wie oft werden Texte zum Thema Unsicherheit veröffentlicht?“) blendet jedoch die Komplexität des Themas Unsicherheit aus und kann zum Beispiel auch nicht erklären, welche Entwicklungen zum verstärkten Aufkommen von Texten über Unsicherheit beitragen.
Aus diesem Grund hat das Dortmund Center for data-based Media Analysis (DoCMA) – ein Forschungszentrum der TU Dortmund, in dem Kommunikationswissenschaftler, Statistiker und Informatiker kooperieren – 2018 den Uncertainty Perception Indicator (UPI) entwickelt (Müller et al. 2018). Dieser Ansatz basiert ebenfalls auf Zeitungsartikeln, die Texte sind nach den Kriterien des EPU gefiltert. Statt jedoch nur die Zahl der Artikel als Grundlage für den Indikator zu nehmen, wird mittels des KI-Verfahrens Latent Dirichlet Allocation (LDA) analysiert, welche Topics („Unsicherheitsfaktoren“) in den Texten vorkommen und wie sich diese über den Zeitverlauf entwickeln. Also wie hoch der Anteil an Texten zu einem bestimmten Thema im Vergleich zu allen Texten ist, die sich mit Unsicherheit beschäftigen.
Die Topics sind dabei nicht vorgegeben. Der Algorithmus muss vorher nur wissen, wie viele Themen in den untersuchten Textkorpora vermutet werden. Da dies im Vorhinein nur schwer zu bestimmen ist, werden mehrere Modelle mit verschiedene Topic-Anzahlen erstellt. Für die spätere Analyse wird jener Parameterwert genutzt, bei dem sich die Ergebnisse mit Blick auf die Forschungsfrage am besten interpretieren lassen. Wichtig ist hierbei: Bezüglich der Themeninhalte gehen keine Erwartungen der Wissenschaftler ein. Sie können entsprechend auch nicht durch sie verzerrt werden.
Für die erste Anwendung des UPI betrachteten die beteiligten Wissenschaftler die „Süddeutsche Zeitung“ im Zeitraum Anfang 1994 bis Ende 2017. Schon hier zeigte sich eine spannende Entwicklung: Seit der Finanzkrise hat der Anteil der Artikel mit Bezug zu „Wirtschaft“ als Unsicherheitsfaktor deutlich abgenommen, dafür beschäftigen sich immer mehr Texte mit „Politik“. Unsicherheit scheint seit gut zehn Jahren also verstärkt von der Politik und ihren Institutionen auszugehen.
Trump spielt große Rolle für den Unsicherheitsfaktor
In seiner aktuellen Untersuchung zu Trumps Politik hat Henrik Müller, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspolitischen Journalismus am Institut für Journalistik und am DoCMA, den UPI erweitert. Neben der Süddeutschen Zeitung flossen in die Analyse auch Daten der Welt und des Handelsblatts ein. Zudem erstreckte sich der Betrachtungszeitraum von Anfang 2008 bis Mitte 2019. Dabei zeigt sich, dass Donald Trump entscheidend zur wahrgenommenen Unsicherheit beiträgt. So steigt der Anteil des Unsicherheitsfaktors Politik erst mit dem Brexit-Referendum und dann noch einmal deutlich mit Wahl Trumps zum US-Präsidenten. Nachdem die Intensität der Berichterstattung kurzzeitig nachlässt, zieht sie mit Beginn des Handelskriegs wieder an.
Zudem identifiziert der Algorithmus „Trump“ als das charakteristischste Wort für den Unsicherheitsfaktor „Internationale Politik“ (ein Subfaktor des Unsicherheitsfaktors Politik). Wie wichtig Trump für diesen Unsicherheitsfaktor ist, unterstreicht auch der Artikel, der das Topic am besten beschreibt. Er stammt aus der Welt vom 16. März 2018 und trägt die Überschrift „Chinesen rüsten gegen neue Zölle: Nach der Entlassung des Außenministers Rex Tillerson schließt US-Präsident Donald Trump seine Reihen im Handelskonflikt.“
Dass Donald Trump diese dominante Stellung einnimmt, ist auch deshalb bemerkenswert, weil der Untersuchungszeitraum schon im Jahr 2008 beginnt, also sieben Jahre in die Untersuchung eingehen, in denen Trump noch nicht Präsidentschaftskandidat war. In seiner Zeit als US-Präsident scheint er jedoch so viele Berichterstattungsanlässe geboten zu haben, dass er trotzdem entsprechend stark in der Analyse vertreten ist.
Da die Mediendaten nur bis Mitte 2019 vorliegen, haben einige aktuelle Ereignisse keinen Eingang in die Analyse gefunden – zum Beispiel das Amtsenthebungsverfahren, die jüngsten Entwicklungen zwischen den USA und dem Iran nach der Tötung von General Soleimani oder die Einigung auf ein Teilabkommen zwischen den USA und China. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass sich auch diese Entwicklungen deutlich im EPI niederschlagen. Ebenso dürfte Unsicherheit auch das Jahr 2020 prägen. Schließlich stellt sich US-Präsident Trump in diesem Jahr zur Wiederwahl. Gewinnt der Amtsinhaber und bleibt er seinem bisherigen Politikstil treu, drohen der Welt vier weitere Jahre starke Unsicherheit.
Literatur:
Baker, S. R., N. Bloom und S. J. Davis (2016), „Measuring Economic Policy Uncertainty“, The Quarterly Journal of Economics 131(4), 1593–1636.
Blei, D.M., Y. Ng und M. I. Jordan (2003), „Latent dirichlet allocation“, Journal of Machine Learning Research 3, 993 –1022.
Müller, H., G. von Nordheim, K. Boczek, L. Koppers und J. Rahnenführer (2018), „Der Wert der Worte – Wie digitale Methoden helfen, Kommuni-kations- und Wirtschaftswissenschaft zu verknüpfen“, Publizistik 63(4), 557–582.
Der Beitrag beruht auf Veröffentlichungen im ifo Schnelldienst und der Publizistik.
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Schlagwörter:DoCMA, Donald Trump, EPU, Henrik Müller, Unsicherheit, UPI, USA